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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Kunstrichtung hier einen weiten Raum gewonnen, eine anschauliche Kenntniß
aber von diesen Bestrebungen niemals erworben, auch bei der Geringschätzung,
mit der in Oestreich selbst die heimische Kunst betrachtet wurde, keinen Impuls
dazu empfangen. In den letzten Jahren machte nicht die wiener Kunst, da¬
gegen der Streit der wiener Künstler und Künstlervereine untereinander viel
zu reden. Also gibt es doch in Wien eine Künstlerschaft, obgleich 5le, polizei¬
gerichtlichen Enthüllungen -- denn vor dem Forum der Polizei werden theil¬
weise diese Kämpfe ausgefochten -- kein glänzendes Licht auf ihre artistische
Bedeutung werfen. Erst jetzt in München treten die Wiener zum erstenmale
vor die deutsche Welt, ihre Zerwürfnisse offen zur Schau tragend durch die
Absonderung des Künstlervereins zur Eintracht von der Akademie und dem
mit dieser verbundenen Dürerverein. Unter dem Schutz der Akademie wer¬
den uns die Werke älterer Künstler, das wahrhaft entsetzliche Faustbild von
L. Schmorr, das seiner Zeit als eine unsterbliche Schöpfung gepriesen wurde,
Führichs trauernde Juden, die der Schmerz nicht in Stein, sondern in Holz
verwandelt hat, ein paar gelenkte Bilder von Amerling, die geistlosen aber
angenehmen Porträts von Schrotzberg u. s. w. vorgeführt. Auch mehre
in Italien wirkende Maler, wie der langweilig stilifirende Landschafter
Marco in Florenz und Blaas in Venedig, dessen pomphaft angepriesener
Raub venetianischer Bräute ein schwaches Product ist, eintönig in der Kom¬
position, ohne Haltung in der Zeichnung und fade in der Farbe, haben hier
Platz gefunden. Unter den jüngeren, der Akademie zugewandten Kräften wird
uns Wurzinger als die bedeutendste geschildert. In der That überragt sein
Bild: Kaiser Ferdinand II. wird durch Dampierres Kuirassire aus der Gewalt
der Rebellen befreit, nicht allein durch seine Dimensionen, sondern auch durch
innern Werth die benachbarten Werke. Es ist das ein anerkennungswerther
Versuch, ein historisches Motiv individuell lebendig darzustellen und von der
banalen Manier, Geschichte zu malen, abzugehen. Wurzingers Leistung
würde noch mehr als unsere bloße Achtung gewinnen, wenn nicht die Mühe,
die es dem Künstler gekostet hat, die Charaktere zu erfinden und den einzelnen
Gestalten Bewegung und Ausdruck zu geben, so deutlich aus dem Bild spräche,
und wenn die Anstrengung, die auf die frappante Wiedergabe von Sammt
und Seide verwendet wurde, glücklicher verwischt wäre. Stoffmalerei, der man
den schwerfälligen.Ursprung ansieht, verliert alle Wirkung.

Unter der Fahne der "Eintracht" scheint sich die Mehrzahl der selbststän¬
digen Künstler Wiens gesammelt zu haben, Künstler, die von der deutschen
Culturbewegung mächtiger ergriffen wurden und mit dem, was "draußen im
Reiche" die Kunst bedeutet, ziemlich vertraut sind. Ob Naht das anerkannte
Haupt d.ieser Gruppe ist, wissen wir nicht, jedenfalls bildet er die hervor¬
ragendste Erscheinung; auch übt er auf mehre jüngere Maler einen sichtlichen


Gmizbvten IV. 1858. 19

Kunstrichtung hier einen weiten Raum gewonnen, eine anschauliche Kenntniß
aber von diesen Bestrebungen niemals erworben, auch bei der Geringschätzung,
mit der in Oestreich selbst die heimische Kunst betrachtet wurde, keinen Impuls
dazu empfangen. In den letzten Jahren machte nicht die wiener Kunst, da¬
gegen der Streit der wiener Künstler und Künstlervereine untereinander viel
zu reden. Also gibt es doch in Wien eine Künstlerschaft, obgleich 5le, polizei¬
gerichtlichen Enthüllungen — denn vor dem Forum der Polizei werden theil¬
weise diese Kämpfe ausgefochten — kein glänzendes Licht auf ihre artistische
Bedeutung werfen. Erst jetzt in München treten die Wiener zum erstenmale
vor die deutsche Welt, ihre Zerwürfnisse offen zur Schau tragend durch die
Absonderung des Künstlervereins zur Eintracht von der Akademie und dem
mit dieser verbundenen Dürerverein. Unter dem Schutz der Akademie wer¬
den uns die Werke älterer Künstler, das wahrhaft entsetzliche Faustbild von
L. Schmorr, das seiner Zeit als eine unsterbliche Schöpfung gepriesen wurde,
Führichs trauernde Juden, die der Schmerz nicht in Stein, sondern in Holz
verwandelt hat, ein paar gelenkte Bilder von Amerling, die geistlosen aber
angenehmen Porträts von Schrotzberg u. s. w. vorgeführt. Auch mehre
in Italien wirkende Maler, wie der langweilig stilifirende Landschafter
Marco in Florenz und Blaas in Venedig, dessen pomphaft angepriesener
Raub venetianischer Bräute ein schwaches Product ist, eintönig in der Kom¬
position, ohne Haltung in der Zeichnung und fade in der Farbe, haben hier
Platz gefunden. Unter den jüngeren, der Akademie zugewandten Kräften wird
uns Wurzinger als die bedeutendste geschildert. In der That überragt sein
Bild: Kaiser Ferdinand II. wird durch Dampierres Kuirassire aus der Gewalt
der Rebellen befreit, nicht allein durch seine Dimensionen, sondern auch durch
innern Werth die benachbarten Werke. Es ist das ein anerkennungswerther
Versuch, ein historisches Motiv individuell lebendig darzustellen und von der
banalen Manier, Geschichte zu malen, abzugehen. Wurzingers Leistung
würde noch mehr als unsere bloße Achtung gewinnen, wenn nicht die Mühe,
die es dem Künstler gekostet hat, die Charaktere zu erfinden und den einzelnen
Gestalten Bewegung und Ausdruck zu geben, so deutlich aus dem Bild spräche,
und wenn die Anstrengung, die auf die frappante Wiedergabe von Sammt
und Seide verwendet wurde, glücklicher verwischt wäre. Stoffmalerei, der man
den schwerfälligen.Ursprung ansieht, verliert alle Wirkung.

Unter der Fahne der „Eintracht" scheint sich die Mehrzahl der selbststän¬
digen Künstler Wiens gesammelt zu haben, Künstler, die von der deutschen
Culturbewegung mächtiger ergriffen wurden und mit dem, was „draußen im
Reiche" die Kunst bedeutet, ziemlich vertraut sind. Ob Naht das anerkannte
Haupt d.ieser Gruppe ist, wissen wir nicht, jedenfalls bildet er die hervor¬
ragendste Erscheinung; auch übt er auf mehre jüngere Maler einen sichtlichen


Gmizbvten IV. 1858. 19
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[0153] Kunstrichtung hier einen weiten Raum gewonnen, eine anschauliche Kenntniß aber von diesen Bestrebungen niemals erworben, auch bei der Geringschätzung, mit der in Oestreich selbst die heimische Kunst betrachtet wurde, keinen Impuls dazu empfangen. In den letzten Jahren machte nicht die wiener Kunst, da¬ gegen der Streit der wiener Künstler und Künstlervereine untereinander viel zu reden. Also gibt es doch in Wien eine Künstlerschaft, obgleich 5le, polizei¬ gerichtlichen Enthüllungen — denn vor dem Forum der Polizei werden theil¬ weise diese Kämpfe ausgefochten — kein glänzendes Licht auf ihre artistische Bedeutung werfen. Erst jetzt in München treten die Wiener zum erstenmale vor die deutsche Welt, ihre Zerwürfnisse offen zur Schau tragend durch die Absonderung des Künstlervereins zur Eintracht von der Akademie und dem mit dieser verbundenen Dürerverein. Unter dem Schutz der Akademie wer¬ den uns die Werke älterer Künstler, das wahrhaft entsetzliche Faustbild von L. Schmorr, das seiner Zeit als eine unsterbliche Schöpfung gepriesen wurde, Führichs trauernde Juden, die der Schmerz nicht in Stein, sondern in Holz verwandelt hat, ein paar gelenkte Bilder von Amerling, die geistlosen aber angenehmen Porträts von Schrotzberg u. s. w. vorgeführt. Auch mehre in Italien wirkende Maler, wie der langweilig stilifirende Landschafter Marco in Florenz und Blaas in Venedig, dessen pomphaft angepriesener Raub venetianischer Bräute ein schwaches Product ist, eintönig in der Kom¬ position, ohne Haltung in der Zeichnung und fade in der Farbe, haben hier Platz gefunden. Unter den jüngeren, der Akademie zugewandten Kräften wird uns Wurzinger als die bedeutendste geschildert. In der That überragt sein Bild: Kaiser Ferdinand II. wird durch Dampierres Kuirassire aus der Gewalt der Rebellen befreit, nicht allein durch seine Dimensionen, sondern auch durch innern Werth die benachbarten Werke. Es ist das ein anerkennungswerther Versuch, ein historisches Motiv individuell lebendig darzustellen und von der banalen Manier, Geschichte zu malen, abzugehen. Wurzingers Leistung würde noch mehr als unsere bloße Achtung gewinnen, wenn nicht die Mühe, die es dem Künstler gekostet hat, die Charaktere zu erfinden und den einzelnen Gestalten Bewegung und Ausdruck zu geben, so deutlich aus dem Bild spräche, und wenn die Anstrengung, die auf die frappante Wiedergabe von Sammt und Seide verwendet wurde, glücklicher verwischt wäre. Stoffmalerei, der man den schwerfälligen.Ursprung ansieht, verliert alle Wirkung. Unter der Fahne der „Eintracht" scheint sich die Mehrzahl der selbststän¬ digen Künstler Wiens gesammelt zu haben, Künstler, die von der deutschen Culturbewegung mächtiger ergriffen wurden und mit dem, was „draußen im Reiche" die Kunst bedeutet, ziemlich vertraut sind. Ob Naht das anerkannte Haupt d.ieser Gruppe ist, wissen wir nicht, jedenfalls bildet er die hervor¬ ragendste Erscheinung; auch übt er auf mehre jüngere Maler einen sichtlichen Gmizbvten IV. 1858. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/153>, abgerufen am 03.07.2024.