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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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schaulich machen, sondern auch ein übersichtliches Bild der gegenwärtigen
Kunstthätigkeit entwerfen und den Antheil, welchen die verschiedenen "Schulen"
an dem deutschen Kunstleben nehmen, enthüllen. Für sich allein erfüllt sie
diese Aufgabe wegen der ungleichmäßigen Vertretung der einzelnen Künstler¬
gruppen nur mangelhaft; nimmt man jedoch die Erinnerung zu Hilfe und er¬
gänzt die auffallendsten Lücken in Gedanken, so wird man die richtige
Schätzung der drei Hauptorte deutscher Kunstthätigkeit: München, Düsseldorf,
Berlin und der Kunststättcn zweiten Ranges: Dresden, Karlsruhe, Frankfurt,
Wien wol treffen.

An Kunstschulen in dem ehemals giltigen Sinn des Wortes darf man
natürlich nicht denken. Die Abgeschlossenheit lokaler Cultur, worauf die¬
selben früher beruhten, ist gebrochen, die selbstständige Kunstentwicklung in
engen Kreisen, die sich gegeneinander spröde verhalten, durch unsere Vildungs-
zustände beseitigt. Ueberdies lehren die Thatsachen, daß wir unter unsern
Kunstschulen zunächst nur äußere Sammelpunkte künstlerischer Wirksamkeit
begreifen dürfen. Wollten wir den gleichen Maßstab, wie er an die florentinische,
oder kölnische Schule gelegt wird, z. B. aus Düsseldorf anwenden, so würden
sofort die zahlreichen norddeutschen Elemente, die in dieser Schule verborgen
sind, jede Ableitung von rheinischen Einflüssen verwehren. Wie viel kommt
bei den dresdner Künstlern auf den altheimischen Charakter, wie viel auf die
unmittelbaren ^Einwirkungen der düsseidorfer und Münchner Schule, die durch
Hühner, Bendemann und Schmorr hier vertreten ist? Von den schroffen Gegen¬
sätzen, in welche sich die wiener Künstlergruppe spaltet, welcher hat Anspruch,
als Ausfluß der östreichischen Natur zu gelten? Daß die monumentale Münchner
Kunst mit dem bairischen Volksthum wenig oder nichts gemein hat, ist längst
anerkannt, u. s. w. Dennoch geht die Zerfahrenheit nicht so weit, daß wir
nur eine endlose Summe isolirter Individuen zu betrachten hätten. Die viel¬
jährige stetige Kunstübung an einem und demselben Orte hat allmälig eine
Tradition geschaffen, eine allgemeine Grundlage gebildet, auf welcher die ein¬
zelnen Künstler fußen und wie auf gemeinsamem Boden sich bewegen. Ost
überspringt sogar diese Solidarität die richtigen Grenzen und verkürzt die
Rechte der Individualität. In Düsseldorf z. B. hat das Zusammenleben der Maler
eine Schulmanier licrvorgerufen, . welche alle Unmittelbnrkeit und das frische
Leben aus ihren Werken verbannte. Jedenfalls kann die Berechtigung, unsere
Künstler in größeren Gruppen zusammenzufassen, nicht angefochten we.rden.
-- Keine Kunstschule erregte die öffentliche Neugierde in so hohem Grade,
wie die bis jetzt eigentlich nur aus Zeitungsberichten bekannte Wiener Schule. Nur
äußerst selten hatte man in deutschen Ausstellungen Gelegenheit, östreichische
Bilder zu schauen. Man hatte wol gehört, daß die elegante Portrütirkunst
eines Lawrence in Wien eine Reihe Nachfolger gesunden, die streng katholische


schaulich machen, sondern auch ein übersichtliches Bild der gegenwärtigen
Kunstthätigkeit entwerfen und den Antheil, welchen die verschiedenen „Schulen"
an dem deutschen Kunstleben nehmen, enthüllen. Für sich allein erfüllt sie
diese Aufgabe wegen der ungleichmäßigen Vertretung der einzelnen Künstler¬
gruppen nur mangelhaft; nimmt man jedoch die Erinnerung zu Hilfe und er¬
gänzt die auffallendsten Lücken in Gedanken, so wird man die richtige
Schätzung der drei Hauptorte deutscher Kunstthätigkeit: München, Düsseldorf,
Berlin und der Kunststättcn zweiten Ranges: Dresden, Karlsruhe, Frankfurt,
Wien wol treffen.

An Kunstschulen in dem ehemals giltigen Sinn des Wortes darf man
natürlich nicht denken. Die Abgeschlossenheit lokaler Cultur, worauf die¬
selben früher beruhten, ist gebrochen, die selbstständige Kunstentwicklung in
engen Kreisen, die sich gegeneinander spröde verhalten, durch unsere Vildungs-
zustände beseitigt. Ueberdies lehren die Thatsachen, daß wir unter unsern
Kunstschulen zunächst nur äußere Sammelpunkte künstlerischer Wirksamkeit
begreifen dürfen. Wollten wir den gleichen Maßstab, wie er an die florentinische,
oder kölnische Schule gelegt wird, z. B. aus Düsseldorf anwenden, so würden
sofort die zahlreichen norddeutschen Elemente, die in dieser Schule verborgen
sind, jede Ableitung von rheinischen Einflüssen verwehren. Wie viel kommt
bei den dresdner Künstlern auf den altheimischen Charakter, wie viel auf die
unmittelbaren ^Einwirkungen der düsseidorfer und Münchner Schule, die durch
Hühner, Bendemann und Schmorr hier vertreten ist? Von den schroffen Gegen¬
sätzen, in welche sich die wiener Künstlergruppe spaltet, welcher hat Anspruch,
als Ausfluß der östreichischen Natur zu gelten? Daß die monumentale Münchner
Kunst mit dem bairischen Volksthum wenig oder nichts gemein hat, ist längst
anerkannt, u. s. w. Dennoch geht die Zerfahrenheit nicht so weit, daß wir
nur eine endlose Summe isolirter Individuen zu betrachten hätten. Die viel¬
jährige stetige Kunstübung an einem und demselben Orte hat allmälig eine
Tradition geschaffen, eine allgemeine Grundlage gebildet, auf welcher die ein¬
zelnen Künstler fußen und wie auf gemeinsamem Boden sich bewegen. Ost
überspringt sogar diese Solidarität die richtigen Grenzen und verkürzt die
Rechte der Individualität. In Düsseldorf z. B. hat das Zusammenleben der Maler
eine Schulmanier licrvorgerufen, . welche alle Unmittelbnrkeit und das frische
Leben aus ihren Werken verbannte. Jedenfalls kann die Berechtigung, unsere
Künstler in größeren Gruppen zusammenzufassen, nicht angefochten we.rden.
— Keine Kunstschule erregte die öffentliche Neugierde in so hohem Grade,
wie die bis jetzt eigentlich nur aus Zeitungsberichten bekannte Wiener Schule. Nur
äußerst selten hatte man in deutschen Ausstellungen Gelegenheit, östreichische
Bilder zu schauen. Man hatte wol gehört, daß die elegante Portrütirkunst
eines Lawrence in Wien eine Reihe Nachfolger gesunden, die streng katholische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/152>, abgerufen am 02.07.2024.