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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Einfluß. Die Liebe und das Verständniß der Venetianerfarbe. das N'ahi aus¬
zeichnet, hat er auch seinen Schülern mitgetheilt und ein lebendiges Gefühl
für Harmonie in ihnen geweckt. Sie gehen in ihrer Nachbildung des Vcnc-
tianercolorites nicht so weit wie Feuerbach, der zum Kopisten herabsinkt und
lieber alle Selbststündigkeit aufgibt, als daß er einen Schmuzflcck seiner Vor¬
bilder zu" reproduciren vergäße. Sie unterscheiden richtiger zwischen Studien
und eignem Schaffen und werden nur häufig durch das Streben, durch das
Colorit zu modelliren, zu einer unbestimmten Charakteristik verführt. Immer¬
hin kommt durch diese Richtung ein frisches und entwicklungsfähiges Element
in die östreichische Kunst, die seit sechzig Jahren hin- und hergeworfen von
französischen und englischen Einflüssen, nacheinander der duseligste" Romantik
und dem Nazarcnerthum Unterthan, der endlichen ruhigen und sicheren Ent¬
wicklung gar sehr bedürftig ist.'

Füger in Wien und Mathäi in Dresden zeigen uns die Gleichgiltigkeit
deutscher Kunstanschauungen im Anfang des Jahrhunderts. Während aber
seitdem in Wien wie auch sonst an den meisten Büttelpunkten des artistischen
Wirkens die gewaltigsten Sprünge in der Entwicklung bemerkbar werden, zeigt
>die dresdner Künstlergruppe eine gewisse Zähigkeit und hat sich, wenn wir
Hübners Versuche, in Porträtfiguren Geschichte zu malen, ausnehmen, von den
jüngsten Zeitströmungen ziemlich sern gehalten. Zunächst hängt dies von zu¬
fälligen äußern Verhältnissen ub, welche den sächsischen Künstlern ein kühneres
Aufdrehen verwehren. Das Wort: Kunst gibt Gunst, gilt auch umgekehrt:
Gunst gibt Kunst, und wo die erstere mangelt und der künstlerischen Thätig¬
keit kein großer Spielraum gegönnt wird, hat diese alle Hände voll zu thun,
das Erworbene zu wahren. Dann aber findet auch nirgend wieder die ältere
Weise so liebenswürdige Repräsentanten wie hier. L. Richter als Erzähler
deutschen Familien- und Volkslebens gehört nicht zu den Alten, das Neue und
Neueste wird längst antiquirt sein und diese reinen und frischen Schöpfungen
noch immer ihre Jugend bewahren; aber als Landschaftsmaler reiht er sich
durch die Schärfe, mit welcher er alle Formen zeichnet, und die geringe Be¬
tonung des eigentlich Malerischen der frühern Künstlergencration an. Doch
auch hier spricht sich eine so tiefe gemüthliche Innigkeit aus, über der Erfin¬
dung der Einzelmotive hat Richter so wenig die sinnige, seelenvolle Auffassung
vergessen, daß man gern vor diesen Werken, wie z. B. vor der Abendland¬
schaft (aus dem Jahr 1842 mit der knorrigen Eiche im Vordergrund) weilte.
Gäbe es in der Malerei etwas Analoges mit dem Volksliede, so würde un¬
bedingt Richter als der Vertreter dieser Gattung zu bezeichnen sein.

In Karlsruhe währt das Kunstleben eine viel zu kurze Zeit, als daß
sich bereits.ein bestimmter Charakter hätte ausbilden können. Vorläufig ruht
auf Schirmer die ganze Last der Vertretung, da Koopmann und Descoudres


Einfluß. Die Liebe und das Verständniß der Venetianerfarbe. das N'ahi aus¬
zeichnet, hat er auch seinen Schülern mitgetheilt und ein lebendiges Gefühl
für Harmonie in ihnen geweckt. Sie gehen in ihrer Nachbildung des Vcnc-
tianercolorites nicht so weit wie Feuerbach, der zum Kopisten herabsinkt und
lieber alle Selbststündigkeit aufgibt, als daß er einen Schmuzflcck seiner Vor¬
bilder zu» reproduciren vergäße. Sie unterscheiden richtiger zwischen Studien
und eignem Schaffen und werden nur häufig durch das Streben, durch das
Colorit zu modelliren, zu einer unbestimmten Charakteristik verführt. Immer¬
hin kommt durch diese Richtung ein frisches und entwicklungsfähiges Element
in die östreichische Kunst, die seit sechzig Jahren hin- und hergeworfen von
französischen und englischen Einflüssen, nacheinander der duseligste» Romantik
und dem Nazarcnerthum Unterthan, der endlichen ruhigen und sicheren Ent¬
wicklung gar sehr bedürftig ist.'

Füger in Wien und Mathäi in Dresden zeigen uns die Gleichgiltigkeit
deutscher Kunstanschauungen im Anfang des Jahrhunderts. Während aber
seitdem in Wien wie auch sonst an den meisten Büttelpunkten des artistischen
Wirkens die gewaltigsten Sprünge in der Entwicklung bemerkbar werden, zeigt
>die dresdner Künstlergruppe eine gewisse Zähigkeit und hat sich, wenn wir
Hübners Versuche, in Porträtfiguren Geschichte zu malen, ausnehmen, von den
jüngsten Zeitströmungen ziemlich sern gehalten. Zunächst hängt dies von zu¬
fälligen äußern Verhältnissen ub, welche den sächsischen Künstlern ein kühneres
Aufdrehen verwehren. Das Wort: Kunst gibt Gunst, gilt auch umgekehrt:
Gunst gibt Kunst, und wo die erstere mangelt und der künstlerischen Thätig¬
keit kein großer Spielraum gegönnt wird, hat diese alle Hände voll zu thun,
das Erworbene zu wahren. Dann aber findet auch nirgend wieder die ältere
Weise so liebenswürdige Repräsentanten wie hier. L. Richter als Erzähler
deutschen Familien- und Volkslebens gehört nicht zu den Alten, das Neue und
Neueste wird längst antiquirt sein und diese reinen und frischen Schöpfungen
noch immer ihre Jugend bewahren; aber als Landschaftsmaler reiht er sich
durch die Schärfe, mit welcher er alle Formen zeichnet, und die geringe Be¬
tonung des eigentlich Malerischen der frühern Künstlergencration an. Doch
auch hier spricht sich eine so tiefe gemüthliche Innigkeit aus, über der Erfin¬
dung der Einzelmotive hat Richter so wenig die sinnige, seelenvolle Auffassung
vergessen, daß man gern vor diesen Werken, wie z. B. vor der Abendland¬
schaft (aus dem Jahr 1842 mit der knorrigen Eiche im Vordergrund) weilte.
Gäbe es in der Malerei etwas Analoges mit dem Volksliede, so würde un¬
bedingt Richter als der Vertreter dieser Gattung zu bezeichnen sein.

In Karlsruhe währt das Kunstleben eine viel zu kurze Zeit, als daß
sich bereits.ein bestimmter Charakter hätte ausbilden können. Vorläufig ruht
auf Schirmer die ganze Last der Vertretung, da Koopmann und Descoudres


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[0154] Einfluß. Die Liebe und das Verständniß der Venetianerfarbe. das N'ahi aus¬ zeichnet, hat er auch seinen Schülern mitgetheilt und ein lebendiges Gefühl für Harmonie in ihnen geweckt. Sie gehen in ihrer Nachbildung des Vcnc- tianercolorites nicht so weit wie Feuerbach, der zum Kopisten herabsinkt und lieber alle Selbststündigkeit aufgibt, als daß er einen Schmuzflcck seiner Vor¬ bilder zu» reproduciren vergäße. Sie unterscheiden richtiger zwischen Studien und eignem Schaffen und werden nur häufig durch das Streben, durch das Colorit zu modelliren, zu einer unbestimmten Charakteristik verführt. Immer¬ hin kommt durch diese Richtung ein frisches und entwicklungsfähiges Element in die östreichische Kunst, die seit sechzig Jahren hin- und hergeworfen von französischen und englischen Einflüssen, nacheinander der duseligste» Romantik und dem Nazarcnerthum Unterthan, der endlichen ruhigen und sicheren Ent¬ wicklung gar sehr bedürftig ist.' Füger in Wien und Mathäi in Dresden zeigen uns die Gleichgiltigkeit deutscher Kunstanschauungen im Anfang des Jahrhunderts. Während aber seitdem in Wien wie auch sonst an den meisten Büttelpunkten des artistischen Wirkens die gewaltigsten Sprünge in der Entwicklung bemerkbar werden, zeigt >die dresdner Künstlergruppe eine gewisse Zähigkeit und hat sich, wenn wir Hübners Versuche, in Porträtfiguren Geschichte zu malen, ausnehmen, von den jüngsten Zeitströmungen ziemlich sern gehalten. Zunächst hängt dies von zu¬ fälligen äußern Verhältnissen ub, welche den sächsischen Künstlern ein kühneres Aufdrehen verwehren. Das Wort: Kunst gibt Gunst, gilt auch umgekehrt: Gunst gibt Kunst, und wo die erstere mangelt und der künstlerischen Thätig¬ keit kein großer Spielraum gegönnt wird, hat diese alle Hände voll zu thun, das Erworbene zu wahren. Dann aber findet auch nirgend wieder die ältere Weise so liebenswürdige Repräsentanten wie hier. L. Richter als Erzähler deutschen Familien- und Volkslebens gehört nicht zu den Alten, das Neue und Neueste wird längst antiquirt sein und diese reinen und frischen Schöpfungen noch immer ihre Jugend bewahren; aber als Landschaftsmaler reiht er sich durch die Schärfe, mit welcher er alle Formen zeichnet, und die geringe Be¬ tonung des eigentlich Malerischen der frühern Künstlergencration an. Doch auch hier spricht sich eine so tiefe gemüthliche Innigkeit aus, über der Erfin¬ dung der Einzelmotive hat Richter so wenig die sinnige, seelenvolle Auffassung vergessen, daß man gern vor diesen Werken, wie z. B. vor der Abendland¬ schaft (aus dem Jahr 1842 mit der knorrigen Eiche im Vordergrund) weilte. Gäbe es in der Malerei etwas Analoges mit dem Volksliede, so würde un¬ bedingt Richter als der Vertreter dieser Gattung zu bezeichnen sein. In Karlsruhe währt das Kunstleben eine viel zu kurze Zeit, als daß sich bereits.ein bestimmter Charakter hätte ausbilden können. Vorläufig ruht auf Schirmer die ganze Last der Vertretung, da Koopmann und Descoudres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/154>, abgerufen am 24.08.2024.