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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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über seine letzten wahnwitzigen Einfälle, deren Schilderung allerdings indem
Mann einen Bewohner von Bettern vermuthen läßt. Treten wir den Ori¬
ginalen^ selbst gegenüber, so wird zwar unser Urtheil nicht milder, wir erken¬
nen aber die Quelle seiner Irrthümer. Diese aber verdient wahrlich keinen
Spott. Daß Turner zuletzt auf alle Gegenständlichkeit verzichtete und die
Farbentöne selbststündig setzte, ist nur der Ausfluß eines übertriebenen Strebens
naH Farbenharmonie. Ehe sich dasselbe in Einseitigkeit verlor und zur Ma¬
rotte wurde, schuf Turner Werke, die ihn den größten Landschaftsmalern der
Vergangenheit an die Seite setzen. An diese nun gemahnt W. Schirmers
Schilderung in der merkwürdigsten Weise. Neben Schirmers Bild fesseln in
der Ausstellung das Auge zwei holländische Winterlandschaften von Ed. Hilde-
brandt, zunächst durch die vollendete Treue der Schilderung, dann aber auch
durch die feinsinnige Abtönung des Kolorits, wodurch alles Staunen über
das von xlus ultra, des Naturalismus in den Hintergrund gedrängt und für
- einen echt künstlerischen Genuß Raum gewonnen wird.

Das Resultat, das sich aus der vergleichenden Betrachtung des Sonst
und Jetzt in der Landschaftsmalerei ergibt, daß unsere Künstler nicht allein
an Fülle der Anschauung, sondern auch an malerischem Blick und Geschick
gewonnen haben, ohne deshalb ihre poetische Begabung -- die Poesie steckt
eben in der Malerei -- einzubüßen, würde gewiß eine wohlthätige Ergänzung
gefunden haben, wenn die Gattung der Porträtmalerei, an welcher Fortschritt
oder Verfall des Kunstsinnes am deutlichsten sich offenbart, eine reichere Ver¬
tretung gefunden hätte. Aber hier vollends gewahrt man eigentlich nur die
Lücken der Ausstellung. Und so müssen wir uns damit begnügen, den Er¬
folg, den aus dem jüngern Künstlerkreise Röling in Düsseldorf und Correns
in München errungen haben, zu constatiren und zu berichten,'daß auch in
diesem Fach das Beste aus Berlin stammt. Das schon früher erwähnte
Fraucnbildniß von Gustav Richter liefert nicht allein das Zeugniß von den
ungewöhnlichen malerischen Anlagen des Künstlers, sondern ist auch an und
für sich ein tadelloses Werk, das an die berühmten Leistungen der Vergangen¬
heit nahe heranreicht. Sollte der Versuch einer historischen Ausstellung in
spätern Jahren sich wiederholen, was wir herzlich wünschen und hoffen, so
würden wir die reichere Vertretung dieses Faches, die Anordnung einer förm¬
lichen historischen Porträtgalerie dringend empfehlen. Wo, wie hier, die Ge¬
genstände der Darstellung gleichartig sind, läßt sich über den formellen Werth
die sicherste Entscheidung treffen. Darauf aber kommt es bei einer Ausstel¬
lung, die uns die Entwicklung unserer Kunst anschaulich machen soll, wesentlich an.

Die müncher Ausstellung trägt neben dem Titel einer historischen noch
den zweiten einer allgemeinen deutschen Ausstellung. Sie soll uns nicht allein
die Wandlungen der deutschen Kunst im Laufe der letzten sechzig Jahre an-


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über seine letzten wahnwitzigen Einfälle, deren Schilderung allerdings indem
Mann einen Bewohner von Bettern vermuthen läßt. Treten wir den Ori¬
ginalen^ selbst gegenüber, so wird zwar unser Urtheil nicht milder, wir erken¬
nen aber die Quelle seiner Irrthümer. Diese aber verdient wahrlich keinen
Spott. Daß Turner zuletzt auf alle Gegenständlichkeit verzichtete und die
Farbentöne selbststündig setzte, ist nur der Ausfluß eines übertriebenen Strebens
naH Farbenharmonie. Ehe sich dasselbe in Einseitigkeit verlor und zur Ma¬
rotte wurde, schuf Turner Werke, die ihn den größten Landschaftsmalern der
Vergangenheit an die Seite setzen. An diese nun gemahnt W. Schirmers
Schilderung in der merkwürdigsten Weise. Neben Schirmers Bild fesseln in
der Ausstellung das Auge zwei holländische Winterlandschaften von Ed. Hilde-
brandt, zunächst durch die vollendete Treue der Schilderung, dann aber auch
durch die feinsinnige Abtönung des Kolorits, wodurch alles Staunen über
das von xlus ultra, des Naturalismus in den Hintergrund gedrängt und für
- einen echt künstlerischen Genuß Raum gewonnen wird.

Das Resultat, das sich aus der vergleichenden Betrachtung des Sonst
und Jetzt in der Landschaftsmalerei ergibt, daß unsere Künstler nicht allein
an Fülle der Anschauung, sondern auch an malerischem Blick und Geschick
gewonnen haben, ohne deshalb ihre poetische Begabung — die Poesie steckt
eben in der Malerei — einzubüßen, würde gewiß eine wohlthätige Ergänzung
gefunden haben, wenn die Gattung der Porträtmalerei, an welcher Fortschritt
oder Verfall des Kunstsinnes am deutlichsten sich offenbart, eine reichere Ver¬
tretung gefunden hätte. Aber hier vollends gewahrt man eigentlich nur die
Lücken der Ausstellung. Und so müssen wir uns damit begnügen, den Er¬
folg, den aus dem jüngern Künstlerkreise Röling in Düsseldorf und Correns
in München errungen haben, zu constatiren und zu berichten,'daß auch in
diesem Fach das Beste aus Berlin stammt. Das schon früher erwähnte
Fraucnbildniß von Gustav Richter liefert nicht allein das Zeugniß von den
ungewöhnlichen malerischen Anlagen des Künstlers, sondern ist auch an und
für sich ein tadelloses Werk, das an die berühmten Leistungen der Vergangen¬
heit nahe heranreicht. Sollte der Versuch einer historischen Ausstellung in
spätern Jahren sich wiederholen, was wir herzlich wünschen und hoffen, so
würden wir die reichere Vertretung dieses Faches, die Anordnung einer förm¬
lichen historischen Porträtgalerie dringend empfehlen. Wo, wie hier, die Ge¬
genstände der Darstellung gleichartig sind, läßt sich über den formellen Werth
die sicherste Entscheidung treffen. Darauf aber kommt es bei einer Ausstel¬
lung, die uns die Entwicklung unserer Kunst anschaulich machen soll, wesentlich an.

Die müncher Ausstellung trägt neben dem Titel einer historischen noch
den zweiten einer allgemeinen deutschen Ausstellung. Sie soll uns nicht allein
die Wandlungen der deutschen Kunst im Laufe der letzten sechzig Jahre an-


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[0151] , über seine letzten wahnwitzigen Einfälle, deren Schilderung allerdings indem Mann einen Bewohner von Bettern vermuthen läßt. Treten wir den Ori¬ ginalen^ selbst gegenüber, so wird zwar unser Urtheil nicht milder, wir erken¬ nen aber die Quelle seiner Irrthümer. Diese aber verdient wahrlich keinen Spott. Daß Turner zuletzt auf alle Gegenständlichkeit verzichtete und die Farbentöne selbststündig setzte, ist nur der Ausfluß eines übertriebenen Strebens naH Farbenharmonie. Ehe sich dasselbe in Einseitigkeit verlor und zur Ma¬ rotte wurde, schuf Turner Werke, die ihn den größten Landschaftsmalern der Vergangenheit an die Seite setzen. An diese nun gemahnt W. Schirmers Schilderung in der merkwürdigsten Weise. Neben Schirmers Bild fesseln in der Ausstellung das Auge zwei holländische Winterlandschaften von Ed. Hilde- brandt, zunächst durch die vollendete Treue der Schilderung, dann aber auch durch die feinsinnige Abtönung des Kolorits, wodurch alles Staunen über das von xlus ultra, des Naturalismus in den Hintergrund gedrängt und für - einen echt künstlerischen Genuß Raum gewonnen wird. Das Resultat, das sich aus der vergleichenden Betrachtung des Sonst und Jetzt in der Landschaftsmalerei ergibt, daß unsere Künstler nicht allein an Fülle der Anschauung, sondern auch an malerischem Blick und Geschick gewonnen haben, ohne deshalb ihre poetische Begabung — die Poesie steckt eben in der Malerei — einzubüßen, würde gewiß eine wohlthätige Ergänzung gefunden haben, wenn die Gattung der Porträtmalerei, an welcher Fortschritt oder Verfall des Kunstsinnes am deutlichsten sich offenbart, eine reichere Ver¬ tretung gefunden hätte. Aber hier vollends gewahrt man eigentlich nur die Lücken der Ausstellung. Und so müssen wir uns damit begnügen, den Er¬ folg, den aus dem jüngern Künstlerkreise Röling in Düsseldorf und Correns in München errungen haben, zu constatiren und zu berichten,'daß auch in diesem Fach das Beste aus Berlin stammt. Das schon früher erwähnte Fraucnbildniß von Gustav Richter liefert nicht allein das Zeugniß von den ungewöhnlichen malerischen Anlagen des Künstlers, sondern ist auch an und für sich ein tadelloses Werk, das an die berühmten Leistungen der Vergangen¬ heit nahe heranreicht. Sollte der Versuch einer historischen Ausstellung in spätern Jahren sich wiederholen, was wir herzlich wünschen und hoffen, so würden wir die reichere Vertretung dieses Faches, die Anordnung einer förm¬ lichen historischen Porträtgalerie dringend empfehlen. Wo, wie hier, die Ge¬ genstände der Darstellung gleichartig sind, läßt sich über den formellen Werth die sicherste Entscheidung treffen. Darauf aber kommt es bei einer Ausstel¬ lung, die uns die Entwicklung unserer Kunst anschaulich machen soll, wesentlich an. Die müncher Ausstellung trägt neben dem Titel einer historischen noch den zweiten einer allgemeinen deutschen Ausstellung. Sie soll uns nicht allein die Wandlungen der deutschen Kunst im Laufe der letzten sechzig Jahre an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/151>, abgerufen am 02.07.2024.