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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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er überall aus dem echten Bedürfniß geistiger Unabhängigkeit entspringt: er
zog Verweise und Strafen auf sich, weil er gegen die Schulordnung auch in
der Spielstunde unablässig thätig war. Jeder Eindruck rief in ihm ein leiden¬
schaftliches Arbeiten hervor; er vermochte nicht zu ruhen, bis er ein klares,
seinem innern Standpunkt gemäßes Ergebniß gewonnen hatte. So brachte
er z. B. aus dem elterlichen Hause eine fromme und naive Religiosität nach
Paris in die militärische Vorbereitungsschule mit, und sah sich bald wegen
seines kirchlichen Sinnes den Spöttereien seiner jungen Genossen ausgesetzt.
Eine Weile trug er es, unberührt iU seinem Innern; einmal aber in seinem
Gefühl gestört, beschloß er eine gründliche Prüfung, und studirte nun einige
Jahre lang neben Mathematik und Kriegswissenschasten mit sachmäßigem Ei¬
fer Theologie, bis er sich mit jedem Zweifel auseinandergesetzt und dann frei¬
lich von seinem kindlichen Glauben nicht viel mehr erhalten hatte. Bei die¬
ser Arbeitskraft und Gründlichkeit entwickelte sich bald bei ihm ein Eigensinn
des Geistes, welcher in mannigfaltiger Folge strahlendes Licht und tiefen
Schatten auf seinen Charakter warf. Er war nicht abzuschrecken durch die
Schwierigkeit einer großen Aufgabe, aber auch unfähig, einem einmal in das
Auge gefaßten Hirngespinnst den Rücken zu kehren. Jahre lang wandte er
Zeit und Kraft vergebens auf das Problem, den Luftballon willkürlich zu
lenken, und fühlte sich für das Mißlingen kaum entschädigt, wenn er mit drei¬
undzwanzig Jahren zum Jngenieurhauptmann, zum geachteten Schriftsteller,
Zum Entdecker eines großen mechanischen Gesetzes gestiegen war. Sonst hatte
er keine Leidenschaft, als.die des Erkennens; es gab für ihn keine äußerliche
Verlockung; Mäßigkeit und Uneigennützigkeit verstanden sich seiner nur nach
Wissen durstenden Natur von selbst. Nicht minder sicher stand bei ihm, für den
es keinen Reiz als die Wahrheit des Gedankens gab, die Festigkeit, jede Ueber¬
zeugung zu wahren und zu bekennen; während alle andern Güter der Welt
ihn gleichgiltig ließen, fiel ihm an dieser Stelle Pflicht und Genuß, Ehrgeiz
und Selbstachtung ohne weiteres zusammen. So lebte und webte er, ohne
irgend eine Rücksicht auf seine äußeren Verhältnisse, in Studium und Wissen¬
schaft. Er hatte nichts dagegen, wenn seine lebenslustigen Kameraden ihn
das Original, den Philosophen nannten; er ließ es über sich ergehen, daß
seine Vorgesetzten die selbstständige'eit seiner Kritik einmal durch längere Haft
"> der Bastille ahndeten. Aber wo seinen Ansichten und Grundsätzen ein
Widerspruch in den Weg trat, da rührte sich seine schwere, heiße Natur in
ihren Tiefen. Seinem Geist fehlte jede Art von Biegsamkeit; er vermochte
"und nicht auf Augenblicke einen fremden Standpunkt zu verstehen, und jeder
Gegner schien ihm also mit bösem Willen an der unleugbaren Wahrheit
selbst zu freveln. Um Politik hatte er sich bis dahin nur einmal und bei¬
läufig bekümmert, als er in einer Lobrede auf Marschall Vauban dessen


Grcnzborm IV. 1L58. 18

er überall aus dem echten Bedürfniß geistiger Unabhängigkeit entspringt: er
zog Verweise und Strafen auf sich, weil er gegen die Schulordnung auch in
der Spielstunde unablässig thätig war. Jeder Eindruck rief in ihm ein leiden¬
schaftliches Arbeiten hervor; er vermochte nicht zu ruhen, bis er ein klares,
seinem innern Standpunkt gemäßes Ergebniß gewonnen hatte. So brachte
er z. B. aus dem elterlichen Hause eine fromme und naive Religiosität nach
Paris in die militärische Vorbereitungsschule mit, und sah sich bald wegen
seines kirchlichen Sinnes den Spöttereien seiner jungen Genossen ausgesetzt.
Eine Weile trug er es, unberührt iU seinem Innern; einmal aber in seinem
Gefühl gestört, beschloß er eine gründliche Prüfung, und studirte nun einige
Jahre lang neben Mathematik und Kriegswissenschasten mit sachmäßigem Ei¬
fer Theologie, bis er sich mit jedem Zweifel auseinandergesetzt und dann frei¬
lich von seinem kindlichen Glauben nicht viel mehr erhalten hatte. Bei die¬
ser Arbeitskraft und Gründlichkeit entwickelte sich bald bei ihm ein Eigensinn
des Geistes, welcher in mannigfaltiger Folge strahlendes Licht und tiefen
Schatten auf seinen Charakter warf. Er war nicht abzuschrecken durch die
Schwierigkeit einer großen Aufgabe, aber auch unfähig, einem einmal in das
Auge gefaßten Hirngespinnst den Rücken zu kehren. Jahre lang wandte er
Zeit und Kraft vergebens auf das Problem, den Luftballon willkürlich zu
lenken, und fühlte sich für das Mißlingen kaum entschädigt, wenn er mit drei¬
undzwanzig Jahren zum Jngenieurhauptmann, zum geachteten Schriftsteller,
Zum Entdecker eines großen mechanischen Gesetzes gestiegen war. Sonst hatte
er keine Leidenschaft, als.die des Erkennens; es gab für ihn keine äußerliche
Verlockung; Mäßigkeit und Uneigennützigkeit verstanden sich seiner nur nach
Wissen durstenden Natur von selbst. Nicht minder sicher stand bei ihm, für den
es keinen Reiz als die Wahrheit des Gedankens gab, die Festigkeit, jede Ueber¬
zeugung zu wahren und zu bekennen; während alle andern Güter der Welt
ihn gleichgiltig ließen, fiel ihm an dieser Stelle Pflicht und Genuß, Ehrgeiz
und Selbstachtung ohne weiteres zusammen. So lebte und webte er, ohne
irgend eine Rücksicht auf seine äußeren Verhältnisse, in Studium und Wissen¬
schaft. Er hatte nichts dagegen, wenn seine lebenslustigen Kameraden ihn
das Original, den Philosophen nannten; er ließ es über sich ergehen, daß
seine Vorgesetzten die selbstständige'eit seiner Kritik einmal durch längere Haft
"> der Bastille ahndeten. Aber wo seinen Ansichten und Grundsätzen ein
Widerspruch in den Weg trat, da rührte sich seine schwere, heiße Natur in
ihren Tiefen. Seinem Geist fehlte jede Art von Biegsamkeit; er vermochte
"und nicht auf Augenblicke einen fremden Standpunkt zu verstehen, und jeder
Gegner schien ihm also mit bösem Willen an der unleugbaren Wahrheit
selbst zu freveln. Um Politik hatte er sich bis dahin nur einmal und bei¬
läufig bekümmert, als er in einer Lobrede auf Marschall Vauban dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/145>, abgerufen am 03.07.2024.