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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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war in ihnen angeregt, und so wandten sie auch der Republik den Rücken,
sobald ein noch lorbcerrcicherer Führer erschien und richteten endlich auch die¬
sen zu Grunde durch die Habgier und Selbstsucht, welche einst neben allem
Nuhincsdurst die Revolution in ihrem Herzen groß gezogen hatte. Ihre tech¬
nische Ausbildung blieb in den wenigen Uebungsmonaten allerdings mangel¬
haft. Es fehlte noch immer wie im vorigen Herbst an Manövrirfähigkeit und
an standhafter Ruhe in der Vertheidigung. Die Führer sahen es wol, aber
empfanden wenig Sorge darüber. Wenn die deutschen Truppen rascher ihr
Feuer wiederholten, so mahnten die französischen Offiziere zum stürmenden
Anlauf mit dem Bajonett, der Lieblingswaffe, sagten sie, der Republikaner.
stoben einmal ihre ungeübten Haufen in plötzlichem Schrecken auseinander,
so zuckten sie gelassen die Achseln, weil die Flüchtigen sich doch auch ebenso
plötzlich zu neuem Angriff ernannten. Wenn ihre Soldaten bei jeder künst¬
lichen Evolution in Verwirrung geriethen, so lehrten sie ihnen Verachtung
aller Künstlichkeit und blindes Vertrauen allein in den vorwärtsdrängenden
Muth. Nur keinen Augenblick Ruhe, unablässige Strapaze in Wind und Wet¬
ter, unaufhörliche Belästigung des Feindes im kleinen Krieg, unablässiges
Anstürmen in hellen Haufen, mag fallen was will, die Republik hat Men¬
schen genug, um daß sie siege, daß die Truppen, der Feind, die Nation es
lerne, Frankreichs Heer könne niemals geschlagen werden. So mahnten die
Generale das Heer, so die Negierung die Generale. Mit höchster Ungeduld
kamen die Anfragen aus Paris, wie lange es noch dauern könne, bis man
den Feind überraschend im Felde erscheine, nichts als Muth und Bajonette
seien zur Offensive erforderlich, mit Energie und Henkersbeil sei Süumniß und
schlechter Wille zu überwinden. Dieses verwilderte Kriegssustem wurde da¬
durch deu Feinden furchtbar, daß in den Wohlfahrtsausschuß ein Mann ein¬
trat, der mit wirklichem organisatorischen Talent ausgestattet, wenigstens in
diesem einen Zweig der Verwaltung der liederlichen Jakobinerwirthschast ein
Ende machte. In der Charakteristik dieses interessanten Menschen folgen wir
Sybel.

Carnot war 17 53 zu Nolay, einem kleinen Städtchen der Bourgogne
geboren, Sohn eines mit achtzehn Kindern- gesegneten Advocaten, in schlich¬
ten Verhältnissen und sorgfältiger Erziehung herangewachsen. Seinen mili¬
tärischen Sinn verrieth er schon als zehnjähriger Knabe, indem er im Thea¬
ter zu Dijon bei dem Anblick eines kriegerischen Schauspiels zu großer Er¬
heiterung des Publicums die Aufführung durch heftiges Rufen unterbrach, man
solle die Soldaten und Kanonen anders stellen, sonst gebe man dem Feind
alles in die Hände. Diese Lebhaftigkeit des Ergreifens zeigte er dann auf
allen Stufen des Unterrichts und entwickelte sie rasch zu Selbstständigkeit der
Auffassung und Wärme des Urtheils. Sehr früh zeigte er den eisernen Fleiß, wie


war in ihnen angeregt, und so wandten sie auch der Republik den Rücken,
sobald ein noch lorbcerrcicherer Führer erschien und richteten endlich auch die¬
sen zu Grunde durch die Habgier und Selbstsucht, welche einst neben allem
Nuhincsdurst die Revolution in ihrem Herzen groß gezogen hatte. Ihre tech¬
nische Ausbildung blieb in den wenigen Uebungsmonaten allerdings mangel¬
haft. Es fehlte noch immer wie im vorigen Herbst an Manövrirfähigkeit und
an standhafter Ruhe in der Vertheidigung. Die Führer sahen es wol, aber
empfanden wenig Sorge darüber. Wenn die deutschen Truppen rascher ihr
Feuer wiederholten, so mahnten die französischen Offiziere zum stürmenden
Anlauf mit dem Bajonett, der Lieblingswaffe, sagten sie, der Republikaner.
stoben einmal ihre ungeübten Haufen in plötzlichem Schrecken auseinander,
so zuckten sie gelassen die Achseln, weil die Flüchtigen sich doch auch ebenso
plötzlich zu neuem Angriff ernannten. Wenn ihre Soldaten bei jeder künst¬
lichen Evolution in Verwirrung geriethen, so lehrten sie ihnen Verachtung
aller Künstlichkeit und blindes Vertrauen allein in den vorwärtsdrängenden
Muth. Nur keinen Augenblick Ruhe, unablässige Strapaze in Wind und Wet¬
ter, unaufhörliche Belästigung des Feindes im kleinen Krieg, unablässiges
Anstürmen in hellen Haufen, mag fallen was will, die Republik hat Men¬
schen genug, um daß sie siege, daß die Truppen, der Feind, die Nation es
lerne, Frankreichs Heer könne niemals geschlagen werden. So mahnten die
Generale das Heer, so die Negierung die Generale. Mit höchster Ungeduld
kamen die Anfragen aus Paris, wie lange es noch dauern könne, bis man
den Feind überraschend im Felde erscheine, nichts als Muth und Bajonette
seien zur Offensive erforderlich, mit Energie und Henkersbeil sei Süumniß und
schlechter Wille zu überwinden. Dieses verwilderte Kriegssustem wurde da¬
durch deu Feinden furchtbar, daß in den Wohlfahrtsausschuß ein Mann ein¬
trat, der mit wirklichem organisatorischen Talent ausgestattet, wenigstens in
diesem einen Zweig der Verwaltung der liederlichen Jakobinerwirthschast ein
Ende machte. In der Charakteristik dieses interessanten Menschen folgen wir
Sybel.

Carnot war 17 53 zu Nolay, einem kleinen Städtchen der Bourgogne
geboren, Sohn eines mit achtzehn Kindern- gesegneten Advocaten, in schlich¬
ten Verhältnissen und sorgfältiger Erziehung herangewachsen. Seinen mili¬
tärischen Sinn verrieth er schon als zehnjähriger Knabe, indem er im Thea¬
ter zu Dijon bei dem Anblick eines kriegerischen Schauspiels zu großer Er¬
heiterung des Publicums die Aufführung durch heftiges Rufen unterbrach, man
solle die Soldaten und Kanonen anders stellen, sonst gebe man dem Feind
alles in die Hände. Diese Lebhaftigkeit des Ergreifens zeigte er dann auf
allen Stufen des Unterrichts und entwickelte sie rasch zu Selbstständigkeit der
Auffassung und Wärme des Urtheils. Sehr früh zeigte er den eisernen Fleiß, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/144>, abgerufen am 22.07.2024.