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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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System eines der Armuth günstigen Stcuerwesens feierte und dabei nach¬
drücklich die Barbarei der bestehenden Mißbräuche verurtheilte. Seine durch¬
aus nach Innen gekehrte Natur hatte wenig Interesse für die verwickelten
Ausgaben des praktischen Staatslebens; dies berührte ihn nur, wo es zugleich
ein allgemein menschliches Gefühl in ihm anregte. So gewann ihn, dessen
ganzes Wesen ein einziger Drang nach Unabhängigkeit war, die Revolution
sogleich und vollständig für die große Sache der Freiheit, Gleichheit und
Bruderliebe. 1791 kam er als Abgeordneter von Calais in die gesetzgebende
Versammlung, schloß sich nach jener allgemeinen Stimmung der Linken an,
und hielt nun mit der ganzen Konsequenz des Mathematikers oder wenn man
lieber will, mit der vollen Ungelenkigkeit des Gelehrten an dem einmal er¬
griffenen Standpunkt fest. Es war in der That wieder 'die Macht der Theorie,
die ihn ausschließlich bestimmte. Er beharrte aus den für wahr erkannten
Principien, ohne einen Blick auf die täglich furchtbareren Folgen, ohne einen
Gedanken an thatsächliche Bedingungen oder Störungen des Gelingens, ohne
eine Ahnung, daß die Politik nicht blos mit Lehrsätzen, sondern mit Kräften
und mit Leidenschaften abzurechnen hat. Grade die sittliche Festigkeit seines
Wesens machte auch seine doctrinüre Zähigkeit ganz unerschütterlich. Er, der
selbst kein Opfer achtete und keinen Kummer kannte, wo es auf eine Ueber¬
zeugung ankam, er hätte mit ehrlichem Herzen in Robespierres Worte ein¬
stimmen können: möge das Land zu Grunde gehen, aber die Principien
bleiben. So stimmte er, der geschulte Offizier, für die Rüstung des Pöbels
mit Piken, für die Entbindung der Soldaten vom blinden Gehorsam, für die
Schleifung aller Citadellen in den Festungen, damit sie nicht zu Zwingburgen
der Städte würden. So gab er, sonst der gerechteste und gewissenhafteste
Mensch, sein Votum für die Hinrichtung des Königs, trat in Robespierres
Wohlfahrtsausschuß, und schloß sich hier in besonderem Verständniß an Collot
und Billaud, an die Faction der Hebertisten. Denn so wenig er sonst deren
innere Gemeinheit theilte, so fand er bei ihnen lebhaftem Eifer für Krieg
und Kriegswesen, als.bei irgend einer andern Partei, und mochte ihre rohe
Brutalität als rückhaltlose Hingebung an die Principien entschuldigen. Immer
unterschied sich seine persönliche Haltung von der ihrigen trotz des Bündnisses.
Ein einziges Mal war er im Club der Jakobiner, und hörte eine Rede, daß
es sonst keine echten Patrioten gäbe als die Mitglieder des Clubs: er" war
sofort entschieden, den Fuß nicht mehr in die Gesellschaft zu setzen. Während
rings um ihn her alle selbstsüchtigen Leidenschaften tobten, hatte er keinen
Gedanken an sich selbst; er, der Generale ein- und absetzte, blieb nach wie
vor Hauptmann, rückte erst nach zwei Jahren im Dienstalter zum Major auf,
und gab nach jeder Reise die unverbrauchter Diäten gewissenhaft der Staats¬
kasse zurück, zum Aerger der Finanzbeamten, welche in ihren Einnahme-


System eines der Armuth günstigen Stcuerwesens feierte und dabei nach¬
drücklich die Barbarei der bestehenden Mißbräuche verurtheilte. Seine durch¬
aus nach Innen gekehrte Natur hatte wenig Interesse für die verwickelten
Ausgaben des praktischen Staatslebens; dies berührte ihn nur, wo es zugleich
ein allgemein menschliches Gefühl in ihm anregte. So gewann ihn, dessen
ganzes Wesen ein einziger Drang nach Unabhängigkeit war, die Revolution
sogleich und vollständig für die große Sache der Freiheit, Gleichheit und
Bruderliebe. 1791 kam er als Abgeordneter von Calais in die gesetzgebende
Versammlung, schloß sich nach jener allgemeinen Stimmung der Linken an,
und hielt nun mit der ganzen Konsequenz des Mathematikers oder wenn man
lieber will, mit der vollen Ungelenkigkeit des Gelehrten an dem einmal er¬
griffenen Standpunkt fest. Es war in der That wieder 'die Macht der Theorie,
die ihn ausschließlich bestimmte. Er beharrte aus den für wahr erkannten
Principien, ohne einen Blick auf die täglich furchtbareren Folgen, ohne einen
Gedanken an thatsächliche Bedingungen oder Störungen des Gelingens, ohne
eine Ahnung, daß die Politik nicht blos mit Lehrsätzen, sondern mit Kräften
und mit Leidenschaften abzurechnen hat. Grade die sittliche Festigkeit seines
Wesens machte auch seine doctrinüre Zähigkeit ganz unerschütterlich. Er, der
selbst kein Opfer achtete und keinen Kummer kannte, wo es auf eine Ueber¬
zeugung ankam, er hätte mit ehrlichem Herzen in Robespierres Worte ein¬
stimmen können: möge das Land zu Grunde gehen, aber die Principien
bleiben. So stimmte er, der geschulte Offizier, für die Rüstung des Pöbels
mit Piken, für die Entbindung der Soldaten vom blinden Gehorsam, für die
Schleifung aller Citadellen in den Festungen, damit sie nicht zu Zwingburgen
der Städte würden. So gab er, sonst der gerechteste und gewissenhafteste
Mensch, sein Votum für die Hinrichtung des Königs, trat in Robespierres
Wohlfahrtsausschuß, und schloß sich hier in besonderem Verständniß an Collot
und Billaud, an die Faction der Hebertisten. Denn so wenig er sonst deren
innere Gemeinheit theilte, so fand er bei ihnen lebhaftem Eifer für Krieg
und Kriegswesen, als.bei irgend einer andern Partei, und mochte ihre rohe
Brutalität als rückhaltlose Hingebung an die Principien entschuldigen. Immer
unterschied sich seine persönliche Haltung von der ihrigen trotz des Bündnisses.
Ein einziges Mal war er im Club der Jakobiner, und hörte eine Rede, daß
es sonst keine echten Patrioten gäbe als die Mitglieder des Clubs: er" war
sofort entschieden, den Fuß nicht mehr in die Gesellschaft zu setzen. Während
rings um ihn her alle selbstsüchtigen Leidenschaften tobten, hatte er keinen
Gedanken an sich selbst; er, der Generale ein- und absetzte, blieb nach wie
vor Hauptmann, rückte erst nach zwei Jahren im Dienstalter zum Major auf,
und gab nach jeder Reise die unverbrauchter Diäten gewissenhaft der Staats¬
kasse zurück, zum Aerger der Finanzbeamten, welche in ihren Einnahme-


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[0146] System eines der Armuth günstigen Stcuerwesens feierte und dabei nach¬ drücklich die Barbarei der bestehenden Mißbräuche verurtheilte. Seine durch¬ aus nach Innen gekehrte Natur hatte wenig Interesse für die verwickelten Ausgaben des praktischen Staatslebens; dies berührte ihn nur, wo es zugleich ein allgemein menschliches Gefühl in ihm anregte. So gewann ihn, dessen ganzes Wesen ein einziger Drang nach Unabhängigkeit war, die Revolution sogleich und vollständig für die große Sache der Freiheit, Gleichheit und Bruderliebe. 1791 kam er als Abgeordneter von Calais in die gesetzgebende Versammlung, schloß sich nach jener allgemeinen Stimmung der Linken an, und hielt nun mit der ganzen Konsequenz des Mathematikers oder wenn man lieber will, mit der vollen Ungelenkigkeit des Gelehrten an dem einmal er¬ griffenen Standpunkt fest. Es war in der That wieder 'die Macht der Theorie, die ihn ausschließlich bestimmte. Er beharrte aus den für wahr erkannten Principien, ohne einen Blick auf die täglich furchtbareren Folgen, ohne einen Gedanken an thatsächliche Bedingungen oder Störungen des Gelingens, ohne eine Ahnung, daß die Politik nicht blos mit Lehrsätzen, sondern mit Kräften und mit Leidenschaften abzurechnen hat. Grade die sittliche Festigkeit seines Wesens machte auch seine doctrinüre Zähigkeit ganz unerschütterlich. Er, der selbst kein Opfer achtete und keinen Kummer kannte, wo es auf eine Ueber¬ zeugung ankam, er hätte mit ehrlichem Herzen in Robespierres Worte ein¬ stimmen können: möge das Land zu Grunde gehen, aber die Principien bleiben. So stimmte er, der geschulte Offizier, für die Rüstung des Pöbels mit Piken, für die Entbindung der Soldaten vom blinden Gehorsam, für die Schleifung aller Citadellen in den Festungen, damit sie nicht zu Zwingburgen der Städte würden. So gab er, sonst der gerechteste und gewissenhafteste Mensch, sein Votum für die Hinrichtung des Königs, trat in Robespierres Wohlfahrtsausschuß, und schloß sich hier in besonderem Verständniß an Collot und Billaud, an die Faction der Hebertisten. Denn so wenig er sonst deren innere Gemeinheit theilte, so fand er bei ihnen lebhaftem Eifer für Krieg und Kriegswesen, als.bei irgend einer andern Partei, und mochte ihre rohe Brutalität als rückhaltlose Hingebung an die Principien entschuldigen. Immer unterschied sich seine persönliche Haltung von der ihrigen trotz des Bündnisses. Ein einziges Mal war er im Club der Jakobiner, und hörte eine Rede, daß es sonst keine echten Patrioten gäbe als die Mitglieder des Clubs: er" war sofort entschieden, den Fuß nicht mehr in die Gesellschaft zu setzen. Während rings um ihn her alle selbstsüchtigen Leidenschaften tobten, hatte er keinen Gedanken an sich selbst; er, der Generale ein- und absetzte, blieb nach wie vor Hauptmann, rückte erst nach zwei Jahren im Dienstalter zum Major auf, und gab nach jeder Reise die unverbrauchter Diäten gewissenhaft der Staats¬ kasse zurück, zum Aerger der Finanzbeamten, welche in ihren Einnahme-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/146>, abgerufen am 02.07.2024.