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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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tilgenden Einflüssen, oder sie litten an der bekanntlich von Zeit zu Zeit epi¬
demisch grassirenden^eschränktheit des Untcrthancnverstandes. Noch höher
steigerte sich aber die gouvernementale Verstimmung, als auch die Kammer der
gebornen und ernannten Reichsrathe, trotzdem Fürst Thurn und Taxis, der
Sieger von Bronnzell, mit voller Rüstung für die unverkürzten Militärforde-
rungen einsprang, so vollkommen im Princip mit der "untern Schwester¬
kammer" zusammenstimmte, daß der Ministerpräsident, um wenigstens deren
materielle Zugeständnisse zu retten, selber die Zustimmung zu ihrem Beschluß
befürwortete (12. Febr.). Eiligst wurde das Gesetz promulgirt, schon am
6.- März das Anlehen zur Subscription zum Cours von 94^ mit 4'/^ Proc.
aufgelegt und als Vertrauensvotum des Publicums für die ministerielle Po¬
litik verkündet, daß am 18. desselben Monats die Zeichnungen bereits ge¬
schlossen worden seien. Von dem lucrativen Geschäft, welches damit die Kapita¬
listen in dieser geschäftslosen Zeit machten, geschah keine Erwähnung; man
begrüßte alle Zeichnungen wie lauter Loyalitätsadressen.

Es war freilich auch überaus nothwendig. Denn während das Publi¬
kum sich mit diesem Speculationsgeschäft abgab, erörterte die Kammer das
Armeebudget, das Lottvwcsen und die Staatsrechnungcn in einer Weise, daß
eine Vertagung auf unbestimmte Zeit oder eine Auflösung und "Appellation
an das Volk" tagtäglich als offenere oder verdccktere Drohung in die Öffent¬
lichkeit gesendet wurde. Allein die Kammer war sich ihrer Aufgabe be¬
wußt und beeilte sich eben nicht allzusehr, für das erst am 8. März vorge¬
legte Budget pro 1855--61, welches abermals mit einem Deficit von ö Millionen
Gulden abschloß, ihre materiellen Bewilligungen zumachen, und gab bei jeder
einzelnen Position'ihre Bedenken gegen die Verwaltungspraxis und ihre
Wünsche für bessere Organisation kund. Die Erörterung der Staatsabrcchnungen
und speciell des Kriegsministeriums verwandelte die bisherigen Differenzen
endlich in einen entschiedenen Bruch. In den Armeeausgaben, wie bei an¬
dern Positionen waren die Budgetansätze weitaus- überschritten. Nirgend aber
standen die Überschreitungen in so rücksichtsloser Weise, so ohne Rechtferti¬
gung und Entschuldigung in die Abrechnungen aufgenommen, als in denen
des Kriegsministeriums. Der eingehaltenen Form nach hätte man füglich
daran zweifeln können, ob überhaupt ein Normalbudget existire. Hierbei zu¬
erst, aber auch desto energischer, machten sich die Beschwerden über die wie
absichtlich zur Schau getragene Geringschätzung der Verwaltung gegen die con-
stitutionellen Institutionen Luft. Man erkannte zwar schließlich die Militär¬
rechnungen von 1849--52 an, nicht aber die Überschreitungen im Pen¬
sionsetat.

Dadurch ward der .Kriegsminister in eine so unhaltbare Stellung gebracht,
daß sein (am 25. März erfolgender) Rücktritt eine unausweichliche Nothwen-


tilgenden Einflüssen, oder sie litten an der bekanntlich von Zeit zu Zeit epi¬
demisch grassirenden^eschränktheit des Untcrthancnverstandes. Noch höher
steigerte sich aber die gouvernementale Verstimmung, als auch die Kammer der
gebornen und ernannten Reichsrathe, trotzdem Fürst Thurn und Taxis, der
Sieger von Bronnzell, mit voller Rüstung für die unverkürzten Militärforde-
rungen einsprang, so vollkommen im Princip mit der „untern Schwester¬
kammer" zusammenstimmte, daß der Ministerpräsident, um wenigstens deren
materielle Zugeständnisse zu retten, selber die Zustimmung zu ihrem Beschluß
befürwortete (12. Febr.). Eiligst wurde das Gesetz promulgirt, schon am
6.- März das Anlehen zur Subscription zum Cours von 94^ mit 4'/^ Proc.
aufgelegt und als Vertrauensvotum des Publicums für die ministerielle Po¬
litik verkündet, daß am 18. desselben Monats die Zeichnungen bereits ge¬
schlossen worden seien. Von dem lucrativen Geschäft, welches damit die Kapita¬
listen in dieser geschäftslosen Zeit machten, geschah keine Erwähnung; man
begrüßte alle Zeichnungen wie lauter Loyalitätsadressen.

Es war freilich auch überaus nothwendig. Denn während das Publi¬
kum sich mit diesem Speculationsgeschäft abgab, erörterte die Kammer das
Armeebudget, das Lottvwcsen und die Staatsrechnungcn in einer Weise, daß
eine Vertagung auf unbestimmte Zeit oder eine Auflösung und „Appellation
an das Volk" tagtäglich als offenere oder verdccktere Drohung in die Öffent¬
lichkeit gesendet wurde. Allein die Kammer war sich ihrer Aufgabe be¬
wußt und beeilte sich eben nicht allzusehr, für das erst am 8. März vorge¬
legte Budget pro 1855—61, welches abermals mit einem Deficit von ö Millionen
Gulden abschloß, ihre materiellen Bewilligungen zumachen, und gab bei jeder
einzelnen Position'ihre Bedenken gegen die Verwaltungspraxis und ihre
Wünsche für bessere Organisation kund. Die Erörterung der Staatsabrcchnungen
und speciell des Kriegsministeriums verwandelte die bisherigen Differenzen
endlich in einen entschiedenen Bruch. In den Armeeausgaben, wie bei an¬
dern Positionen waren die Budgetansätze weitaus- überschritten. Nirgend aber
standen die Überschreitungen in so rücksichtsloser Weise, so ohne Rechtferti¬
gung und Entschuldigung in die Abrechnungen aufgenommen, als in denen
des Kriegsministeriums. Der eingehaltenen Form nach hätte man füglich
daran zweifeln können, ob überhaupt ein Normalbudget existire. Hierbei zu¬
erst, aber auch desto energischer, machten sich die Beschwerden über die wie
absichtlich zur Schau getragene Geringschätzung der Verwaltung gegen die con-
stitutionellen Institutionen Luft. Man erkannte zwar schließlich die Militär¬
rechnungen von 1849—52 an, nicht aber die Überschreitungen im Pen¬
sionsetat.

Dadurch ward der .Kriegsminister in eine so unhaltbare Stellung gebracht,
daß sein (am 25. März erfolgender) Rücktritt eine unausweichliche Nothwen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/134>, abgerufen am 22.07.2024.