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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Stimmung der Landesvertretung mit dem Landesrcgimcnt du. Die Milch der
frommen Denkungsart begann stark zu sauern, und zwe^ nicht blos im Ler-
chenfeldschen Centrum, sondern auch in der streng katholischen Rechten, welche
dem Ministerium ihrerseits nicht vergab, daß dasselbe einen Antrag zu Fall
brachte, welcher einen Versassungsartitcl, wonach die Zinsenüberschüsse reicher
Kirchen "unter Mitwirkung des Staates" zu den Bedürfnissen dürftiger Ge¬
meinden'concurriren, ganz beiläufig hatte beseitigen wollen. Nun kam es an
die wichtigste Frage, an die oben berührte Creditforderung für die Armeeent¬
faltung Baierns, "ohne welche den Ereignissen (des orientalischen Kriegs)
nicht beruhigt entgegengesehen werden könne". Und hier war es Herr v, Lerchen-
feld. welcher als Berichterstatter der Commission mit hoch überraschendem
Nachdruck und einerlei ihm unerhörten Energie die Maßlose Verschwendung
der Kriegsverwaltung Schwarz auf Weiß so überzeugend nachwies, daß die
Kammer ohne alle materielle Discussion und mit großer Mehrheit
(97 gegen 25 Stimmen) nach dem Commissionsantrag die angesonnene Summe
auf die Hälfte herabsetzte. Was aber das Allerbedenklichste, das war die Art
selbst dieser Bewilligung. Herr v. d. Pfordten hatte nämlich die Mahnung,
daß die baierische Politik sich national erweisen und in der orientalischen An¬
gelegenheit an Oestreich anschließen solle, mit gewohnter Redefertigkeit benutzt,
um zu erklären: entweder vertraue man der Regierung und dann bewillige
man ihr, gleichviel ob viel ob wenig; oder man vertraue ihr nicht, dann
solle man auch keinen Kreuzer geben, die Minister würden als Ehrenmänner
wissen, was sie zu thun hätten. Diese in jeder Session wiederholte und
niemals vollzogene Drohung mit einem Rücktritt des Ministerpräsidenten
war allerdings praktisch, nach den bisherigen Ersahrungen, keine Alternative
zu der Gefahr, daß jede Bewilligung, die größte, wie die kleinste, ein spe¬
cielles Vertrauensvotum involvire. Man wünschte also jedenfalls gegen letz¬
tere Voraussetzung zu Protestiren, und so erklärten nach und nach die Führer
aller selbstständigen Fractionen einzeln, indem sie für den Commissions¬
antrag stimmten, dem gegenwärtigen Ministerium damit durchaus kein Ver¬
trauensvotum ertheilen zu wollen.

In den gouvernementalen Kreisen war dadurch die Entrüstung so hoch
angeschwollen, daß selbst die offiziöse Presse gegen die Kammer plaidiren
wußte; nicht gegen die irn speciellen Fall kundgegebenes Ansichten, sondern
gegen den ganzen Geist und ihre gesammte Haltung. Dieselben Elemente,
welche seit sechs Jahren als wohldenkend und wahrhaft patriotisch gepriesen
Worden waren, erlagen- jetzt plötzlich -- der inspirirter Presse zufolge, in
welcher sich namentlich die von Dr. Jäger geleitete Pfälzer Zeitung durch
wohldicnerische Schmähsucht auszeichnete -- der Verführung durch die
am-g. xoxularis, der parlamentarischen Eitelkeit, verdächtigen und verband-


Stimmung der Landesvertretung mit dem Landesrcgimcnt du. Die Milch der
frommen Denkungsart begann stark zu sauern, und zwe^ nicht blos im Ler-
chenfeldschen Centrum, sondern auch in der streng katholischen Rechten, welche
dem Ministerium ihrerseits nicht vergab, daß dasselbe einen Antrag zu Fall
brachte, welcher einen Versassungsartitcl, wonach die Zinsenüberschüsse reicher
Kirchen „unter Mitwirkung des Staates" zu den Bedürfnissen dürftiger Ge¬
meinden'concurriren, ganz beiläufig hatte beseitigen wollen. Nun kam es an
die wichtigste Frage, an die oben berührte Creditforderung für die Armeeent¬
faltung Baierns, „ohne welche den Ereignissen (des orientalischen Kriegs)
nicht beruhigt entgegengesehen werden könne". Und hier war es Herr v, Lerchen-
feld. welcher als Berichterstatter der Commission mit hoch überraschendem
Nachdruck und einerlei ihm unerhörten Energie die Maßlose Verschwendung
der Kriegsverwaltung Schwarz auf Weiß so überzeugend nachwies, daß die
Kammer ohne alle materielle Discussion und mit großer Mehrheit
(97 gegen 25 Stimmen) nach dem Commissionsantrag die angesonnene Summe
auf die Hälfte herabsetzte. Was aber das Allerbedenklichste, das war die Art
selbst dieser Bewilligung. Herr v. d. Pfordten hatte nämlich die Mahnung,
daß die baierische Politik sich national erweisen und in der orientalischen An¬
gelegenheit an Oestreich anschließen solle, mit gewohnter Redefertigkeit benutzt,
um zu erklären: entweder vertraue man der Regierung und dann bewillige
man ihr, gleichviel ob viel ob wenig; oder man vertraue ihr nicht, dann
solle man auch keinen Kreuzer geben, die Minister würden als Ehrenmänner
wissen, was sie zu thun hätten. Diese in jeder Session wiederholte und
niemals vollzogene Drohung mit einem Rücktritt des Ministerpräsidenten
war allerdings praktisch, nach den bisherigen Ersahrungen, keine Alternative
zu der Gefahr, daß jede Bewilligung, die größte, wie die kleinste, ein spe¬
cielles Vertrauensvotum involvire. Man wünschte also jedenfalls gegen letz¬
tere Voraussetzung zu Protestiren, und so erklärten nach und nach die Führer
aller selbstständigen Fractionen einzeln, indem sie für den Commissions¬
antrag stimmten, dem gegenwärtigen Ministerium damit durchaus kein Ver¬
trauensvotum ertheilen zu wollen.

In den gouvernementalen Kreisen war dadurch die Entrüstung so hoch
angeschwollen, daß selbst die offiziöse Presse gegen die Kammer plaidiren
wußte; nicht gegen die irn speciellen Fall kundgegebenes Ansichten, sondern
gegen den ganzen Geist und ihre gesammte Haltung. Dieselben Elemente,
welche seit sechs Jahren als wohldenkend und wahrhaft patriotisch gepriesen
Worden waren, erlagen- jetzt plötzlich — der inspirirter Presse zufolge, in
welcher sich namentlich die von Dr. Jäger geleitete Pfälzer Zeitung durch
wohldicnerische Schmähsucht auszeichnete — der Verführung durch die
am-g. xoxularis, der parlamentarischen Eitelkeit, verdächtigen und verband-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/133>, abgerufen am 03.07.2024.