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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Ziel, nicht die Stationen ihres Weges vorauswissen können; Consequenzen-
reiterei sei einem praktischen Staatsmann unmöglich. Wenn die Kammer
ihren eignen revolutionären Ursprung nicht verleugnen wolle (man darf nicht
vergessen, daß sie nach einer Kammerauflösung gewählt wurde, welche Herr
v. d. Pfordten selbst vollzogen), so beweise das zu viel, darum nichts als eben
"den sympathischen Zug der Zeit nach dem Revolutionären".

* Allein die Kammer blieb trotzdem unempfänglich für diesen Panegyrikus
auf die Inconsequenz staatsmännischer Praxis und beharrte bei ihrem Be¬
schluß. Das Votum erschien um so bedeutsamer, als die Drohung mit einer
Octroyirung durchaus nicht undeutlich gefallen war. Daß es indessen der
Kammer nicht um Oppositionsmacherci oder Consequenzenreiterei zu thun war,
wie ihrer Mehrheit"vom Ministcrtische Schuld gegeben wurde, zeigten mehre
folgende Beschlüsse, bei denen die alte Praxis befolgt wurde, der Regierung
den Willen zu thun, ohne mit ihren Principien übereinzustimmen. Allein
der alte harmlose Friede blieb dennoch getrübt, die alte Willfährigkeit nicht
mehr fraglos. Im Februar 1850 hatte Herr v. Lerchenfeld, welcher zufolge
der Augsb. Allg. Zeitung "der liebenswürdige Staatsmann" Mr xrMrenee
ist, bei Gelegenheit der parlamentarischen Behandlung des baierischen Pre߬
gesetzes die Behauptung aufgestellt, daß die baierische Presse sich in den Hän¬
den von "Buben" befinde. Diese Zeit war 1855 lange vorüber, auch schrieb
Herr v. Lerchenfeld keine Artikel mehr, und blos in der Allg. Zeitung finden
sich noch seine Kammerreden, aus dem stenographischen ins Deutsche über¬
setzt, als ebenso ungetrübte wie endlose Glanzbreiten. Er'war es nun. der
mit edler Selbstüberwindung eingestand, wie sehr man sich damals getäuscht
habe, als man das baierische Preßgesetz nach der Regierungsvorlage ange¬
nommen hatte. Es war nämlich eine Klage an die Kammer vom Redacteur
des "Nürnberger Couriers" gelangt, welcher mit monatelang consequent fort¬
gesetzten Confiscationen, von denen keine einzige von der richterlichen Be¬
hörde als gerechtfertigt anerkannt wurde, zu Tode gemaßregelt worden war.
Die Kammer erkannte die Klage für begründet und beschloß nahezu einstim¬
mig den Antrag auf deren Abstellung. Dagegen meinte der Minister des
Innern, diese ganze systematische Polizeiwillkür gehöre gar nicht zur Compe-
tenz der Kammer, "da kein Verfassungsgesetz verletzt sei". Ja, um dies den
Landesvertretern recht praktisch zu demonstriren, wurden bereits am andern
Tage (24. u. 25. Jan. 1855) durch das ganze Königreich alle Zeitungen be¬
schlagnahmt, welche in selbstständigen, wenn auch rein rcferirenden Artikeln
diese Kammerdebatte mittheilten. Nur M gewärmte A. A. Zeitung entging
vorsichtig demselben Geschick, indem sie das officielle sogenannte Mutterproto¬
koll und einen Auszug vom Ausschußbericht veröffentlichte.

Auch diese Zwischenfälle trugen nicht grade zu freundlichster Ueberein-


Ziel, nicht die Stationen ihres Weges vorauswissen können; Consequenzen-
reiterei sei einem praktischen Staatsmann unmöglich. Wenn die Kammer
ihren eignen revolutionären Ursprung nicht verleugnen wolle (man darf nicht
vergessen, daß sie nach einer Kammerauflösung gewählt wurde, welche Herr
v. d. Pfordten selbst vollzogen), so beweise das zu viel, darum nichts als eben
„den sympathischen Zug der Zeit nach dem Revolutionären".

* Allein die Kammer blieb trotzdem unempfänglich für diesen Panegyrikus
auf die Inconsequenz staatsmännischer Praxis und beharrte bei ihrem Be¬
schluß. Das Votum erschien um so bedeutsamer, als die Drohung mit einer
Octroyirung durchaus nicht undeutlich gefallen war. Daß es indessen der
Kammer nicht um Oppositionsmacherci oder Consequenzenreiterei zu thun war,
wie ihrer Mehrheit"vom Ministcrtische Schuld gegeben wurde, zeigten mehre
folgende Beschlüsse, bei denen die alte Praxis befolgt wurde, der Regierung
den Willen zu thun, ohne mit ihren Principien übereinzustimmen. Allein
der alte harmlose Friede blieb dennoch getrübt, die alte Willfährigkeit nicht
mehr fraglos. Im Februar 1850 hatte Herr v. Lerchenfeld, welcher zufolge
der Augsb. Allg. Zeitung „der liebenswürdige Staatsmann" Mr xrMrenee
ist, bei Gelegenheit der parlamentarischen Behandlung des baierischen Pre߬
gesetzes die Behauptung aufgestellt, daß die baierische Presse sich in den Hän¬
den von „Buben" befinde. Diese Zeit war 1855 lange vorüber, auch schrieb
Herr v. Lerchenfeld keine Artikel mehr, und blos in der Allg. Zeitung finden
sich noch seine Kammerreden, aus dem stenographischen ins Deutsche über¬
setzt, als ebenso ungetrübte wie endlose Glanzbreiten. Er'war es nun. der
mit edler Selbstüberwindung eingestand, wie sehr man sich damals getäuscht
habe, als man das baierische Preßgesetz nach der Regierungsvorlage ange¬
nommen hatte. Es war nämlich eine Klage an die Kammer vom Redacteur
des „Nürnberger Couriers" gelangt, welcher mit monatelang consequent fort¬
gesetzten Confiscationen, von denen keine einzige von der richterlichen Be¬
hörde als gerechtfertigt anerkannt wurde, zu Tode gemaßregelt worden war.
Die Kammer erkannte die Klage für begründet und beschloß nahezu einstim¬
mig den Antrag auf deren Abstellung. Dagegen meinte der Minister des
Innern, diese ganze systematische Polizeiwillkür gehöre gar nicht zur Compe-
tenz der Kammer, „da kein Verfassungsgesetz verletzt sei". Ja, um dies den
Landesvertretern recht praktisch zu demonstriren, wurden bereits am andern
Tage (24. u. 25. Jan. 1855) durch das ganze Königreich alle Zeitungen be¬
schlagnahmt, welche in selbstständigen, wenn auch rein rcferirenden Artikeln
diese Kammerdebatte mittheilten. Nur M gewärmte A. A. Zeitung entging
vorsichtig demselben Geschick, indem sie das officielle sogenannte Mutterproto¬
koll und einen Auszug vom Ausschußbericht veröffentlichte.

Auch diese Zwischenfälle trugen nicht grade zu freundlichster Ueberein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/132>, abgerufen am 02.07.2024.