Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Plan des Buchs und wie derselbe sich unter seinen Händen mehr und mehr
erweiterte und vertiefte, enthält dieser Briefwechsel die vollständigsten Notizen.
Die Alten waren schon damals seine Muster, doch ist er überzeugt, daß man
sie übertreffen könne und spricht sich über einzelne unter ihnen, namentlich
Livius und Plutarch, die er später sehr verehrte, ihrer Weitschweifigkeit wegen
geringschätzig aus. Schon damals beginnt er die Geschichte als ein Magazin
von Erfahrungen und Observationen über die Menschen und über die Staaten
-zu betrachten und seine Resultate in kurzen Sätzen zu Papier zu bringen, un¬
gefähr wie es später Jean Paul machte/") Noch begnügt er sich meistens
mit Uebersetzungen, "Die Sprachen rauben mir in diesen Jahren eigenen
Denkens zu viel Zeit .... Sachen taugen doch mehr als Wörter."
lOctober 1772.) Ueberhnupt wirkt das Vorbild der Franzosen damals noch
sehr lebhast auf ihn. Auch seine Excerpte will er aufgeben. "Außer der
Vaterlandsgeschichte excerpire ich künftig nichts mehr. Die größten Alten,
alle Schüler, Maler und Annalisten der Natur thaten es auch nicht; die
Pedanten unserer Ahnen erstickten darunter. Es erdrückt die Dcnkungssertig-
keit, macht faul, wortklauberisch, stiehlt Zeit als Buchstabe, welcher tödtet.
. . . Wie viel erhabener vor der Gelehrsamkeit ist Weisheit des Lebens und
des Bürgers! Fühlst du nicht auch täglich mehr die Nichtigkeit des Vielwisscns,
die Thorheit jeder .Spekulation, welche über den Iioi, sens sich verirrt?" --
Oefter wird er in seine" Plänen irre, wenn die kleinlichen Zänkereien der
Schweizer in theologischen wie in politischen Dingen ihn ärgern, z. B. 10. Oct.
i.772. "IM der Mühe werth, für diese Leute zu arbeiten? Ich sage es dir
frei und ohne Zurückhaltung, die Erweiterung meiner Kenntnisse vom Geist
meiner Mitbürger, meine eigene Erfahrung, degoutiren mich fast ganz von
dem Project, die Geschichte des Vaterlandes zu beschreiben. Wenn ich durch
unsägliche Mühe, durch tausend Hindernisse durchdringe, und Wahrheit finde
und Wahrheit schreibe, wahrlich, Freund! ich will wetten, mein Buch wird
verboten und verbrannt." Dann aber ergreift irgend ein rührender Zug, den
er in seinen Chroniken findet, seine Seele und erwärmt sie zu neuer Be¬
geisterung. "Ich hoffe, meinem künftigen Fleiß in vaterländischen Geschichten
und Rechten soll der vorige gar nicht gleich kommen. Ich will sie nicht als
Schriftsteller blos, sondern als freier Bürger ^treiben. Ich möchte nicht nur
die Annalen des Vaterlandes schreiben; ich wünschte mir durch Verdienste und
Thaten auch einen Platz in denselben." Die beiden Freunde machen mit¬
einander aus, die Arbeit zu theilen. Müller will die Geschichte bis 1308



") Z- B, folgenden Satz würde man leicht I. Paul zuschreiben: "Die Wahrheit ist
aus den Erzählungen mancher Chronisten schwerer herauszufinden, als die Insecten aus
dem Essig; denn wir dürfen weder vom Verkleinerung"- noch Vergrößerungsglas Gebrauch
machen." (1774).

Plan des Buchs und wie derselbe sich unter seinen Händen mehr und mehr
erweiterte und vertiefte, enthält dieser Briefwechsel die vollständigsten Notizen.
Die Alten waren schon damals seine Muster, doch ist er überzeugt, daß man
sie übertreffen könne und spricht sich über einzelne unter ihnen, namentlich
Livius und Plutarch, die er später sehr verehrte, ihrer Weitschweifigkeit wegen
geringschätzig aus. Schon damals beginnt er die Geschichte als ein Magazin
von Erfahrungen und Observationen über die Menschen und über die Staaten
-zu betrachten und seine Resultate in kurzen Sätzen zu Papier zu bringen, un¬
gefähr wie es später Jean Paul machte/") Noch begnügt er sich meistens
mit Uebersetzungen, „Die Sprachen rauben mir in diesen Jahren eigenen
Denkens zu viel Zeit .... Sachen taugen doch mehr als Wörter."
lOctober 1772.) Ueberhnupt wirkt das Vorbild der Franzosen damals noch
sehr lebhast auf ihn. Auch seine Excerpte will er aufgeben. „Außer der
Vaterlandsgeschichte excerpire ich künftig nichts mehr. Die größten Alten,
alle Schüler, Maler und Annalisten der Natur thaten es auch nicht; die
Pedanten unserer Ahnen erstickten darunter. Es erdrückt die Dcnkungssertig-
keit, macht faul, wortklauberisch, stiehlt Zeit als Buchstabe, welcher tödtet.
. . . Wie viel erhabener vor der Gelehrsamkeit ist Weisheit des Lebens und
des Bürgers! Fühlst du nicht auch täglich mehr die Nichtigkeit des Vielwisscns,
die Thorheit jeder .Spekulation, welche über den Iioi, sens sich verirrt?" —
Oefter wird er in seine» Plänen irre, wenn die kleinlichen Zänkereien der
Schweizer in theologischen wie in politischen Dingen ihn ärgern, z. B. 10. Oct.
i.772. „IM der Mühe werth, für diese Leute zu arbeiten? Ich sage es dir
frei und ohne Zurückhaltung, die Erweiterung meiner Kenntnisse vom Geist
meiner Mitbürger, meine eigene Erfahrung, degoutiren mich fast ganz von
dem Project, die Geschichte des Vaterlandes zu beschreiben. Wenn ich durch
unsägliche Mühe, durch tausend Hindernisse durchdringe, und Wahrheit finde
und Wahrheit schreibe, wahrlich, Freund! ich will wetten, mein Buch wird
verboten und verbrannt." Dann aber ergreift irgend ein rührender Zug, den
er in seinen Chroniken findet, seine Seele und erwärmt sie zu neuer Be¬
geisterung. „Ich hoffe, meinem künftigen Fleiß in vaterländischen Geschichten
und Rechten soll der vorige gar nicht gleich kommen. Ich will sie nicht als
Schriftsteller blos, sondern als freier Bürger ^treiben. Ich möchte nicht nur
die Annalen des Vaterlandes schreiben; ich wünschte mir durch Verdienste und
Thaten auch einen Platz in denselben." Die beiden Freunde machen mit¬
einander aus, die Arbeit zu theilen. Müller will die Geschichte bis 1308



") Z- B, folgenden Satz würde man leicht I. Paul zuschreiben: „Die Wahrheit ist
aus den Erzählungen mancher Chronisten schwerer herauszufinden, als die Insecten aus
dem Essig; denn wir dürfen weder vom Verkleinerung«- noch Vergrößerungsglas Gebrauch
machen." (1774).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186472"/>
            <p xml:id="ID_146" prev="#ID_145" next="#ID_147"> Plan des Buchs und wie derselbe sich unter seinen Händen mehr und mehr<lb/>
erweiterte und vertiefte, enthält dieser Briefwechsel die vollständigsten Notizen.<lb/>
Die Alten waren schon damals seine Muster, doch ist er überzeugt, daß man<lb/>
sie übertreffen könne und spricht sich über einzelne unter ihnen, namentlich<lb/>
Livius und Plutarch, die er später sehr verehrte, ihrer Weitschweifigkeit wegen<lb/>
geringschätzig aus. Schon damals beginnt er die Geschichte als ein Magazin<lb/>
von Erfahrungen und Observationen über die Menschen und über die Staaten<lb/>
-zu betrachten und seine Resultate in kurzen Sätzen zu Papier zu bringen, un¬<lb/>
gefähr wie es später Jean Paul machte/") Noch begnügt er sich meistens<lb/>
mit Uebersetzungen, &#x201E;Die Sprachen rauben mir in diesen Jahren eigenen<lb/>
Denkens zu viel Zeit .... Sachen taugen doch mehr als Wörter."<lb/>
lOctober 1772.) Ueberhnupt wirkt das Vorbild der Franzosen damals noch<lb/>
sehr lebhast auf ihn. Auch seine Excerpte will er aufgeben. &#x201E;Außer der<lb/>
Vaterlandsgeschichte excerpire ich künftig nichts mehr. Die größten Alten,<lb/>
alle Schüler, Maler und Annalisten der Natur thaten es auch nicht; die<lb/>
Pedanten unserer Ahnen erstickten darunter. Es erdrückt die Dcnkungssertig-<lb/>
keit, macht faul, wortklauberisch, stiehlt Zeit als Buchstabe, welcher tödtet.<lb/>
. . . Wie viel erhabener vor der Gelehrsamkeit ist Weisheit des Lebens und<lb/>
des Bürgers! Fühlst du nicht auch täglich mehr die Nichtigkeit des Vielwisscns,<lb/>
die Thorheit jeder .Spekulation, welche über den Iioi, sens sich verirrt?" &#x2014;<lb/>
Oefter wird er in seine» Plänen irre, wenn die kleinlichen Zänkereien der<lb/>
Schweizer in theologischen wie in politischen Dingen ihn ärgern, z. B. 10. Oct.<lb/>
i.772. &#x201E;IM der Mühe werth, für diese Leute zu arbeiten? Ich sage es dir<lb/>
frei und ohne Zurückhaltung, die Erweiterung meiner Kenntnisse vom Geist<lb/>
meiner Mitbürger, meine eigene Erfahrung, degoutiren mich fast ganz von<lb/>
dem Project, die Geschichte des Vaterlandes zu beschreiben. Wenn ich durch<lb/>
unsägliche Mühe, durch tausend Hindernisse durchdringe, und Wahrheit finde<lb/>
und Wahrheit schreibe, wahrlich, Freund! ich will wetten, mein Buch wird<lb/>
verboten und verbrannt." Dann aber ergreift irgend ein rührender Zug, den<lb/>
er in seinen Chroniken findet, seine Seele und erwärmt sie zu neuer Be¬<lb/>
geisterung. &#x201E;Ich hoffe, meinem künftigen Fleiß in vaterländischen Geschichten<lb/>
und Rechten soll der vorige gar nicht gleich kommen. Ich will sie nicht als<lb/>
Schriftsteller blos, sondern als freier Bürger ^treiben. Ich möchte nicht nur<lb/>
die Annalen des Vaterlandes schreiben; ich wünschte mir durch Verdienste und<lb/>
Thaten auch einen Platz in denselben." Die beiden Freunde machen mit¬<lb/>
einander aus, die Arbeit zu theilen.  Müller will die Geschichte bis 1308</p><lb/>
            <note xml:id="FID_9" place="foot"> ") Z- B, folgenden Satz würde man leicht I. Paul zuschreiben: &#x201E;Die Wahrheit ist<lb/>
aus den Erzählungen mancher Chronisten schwerer herauszufinden, als die Insecten aus<lb/>
dem Essig; denn wir dürfen weder vom Verkleinerung«- noch Vergrößerungsglas Gebrauch<lb/>
machen." (1774).</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0060] Plan des Buchs und wie derselbe sich unter seinen Händen mehr und mehr erweiterte und vertiefte, enthält dieser Briefwechsel die vollständigsten Notizen. Die Alten waren schon damals seine Muster, doch ist er überzeugt, daß man sie übertreffen könne und spricht sich über einzelne unter ihnen, namentlich Livius und Plutarch, die er später sehr verehrte, ihrer Weitschweifigkeit wegen geringschätzig aus. Schon damals beginnt er die Geschichte als ein Magazin von Erfahrungen und Observationen über die Menschen und über die Staaten -zu betrachten und seine Resultate in kurzen Sätzen zu Papier zu bringen, un¬ gefähr wie es später Jean Paul machte/") Noch begnügt er sich meistens mit Uebersetzungen, „Die Sprachen rauben mir in diesen Jahren eigenen Denkens zu viel Zeit .... Sachen taugen doch mehr als Wörter." lOctober 1772.) Ueberhnupt wirkt das Vorbild der Franzosen damals noch sehr lebhast auf ihn. Auch seine Excerpte will er aufgeben. „Außer der Vaterlandsgeschichte excerpire ich künftig nichts mehr. Die größten Alten, alle Schüler, Maler und Annalisten der Natur thaten es auch nicht; die Pedanten unserer Ahnen erstickten darunter. Es erdrückt die Dcnkungssertig- keit, macht faul, wortklauberisch, stiehlt Zeit als Buchstabe, welcher tödtet. . . . Wie viel erhabener vor der Gelehrsamkeit ist Weisheit des Lebens und des Bürgers! Fühlst du nicht auch täglich mehr die Nichtigkeit des Vielwisscns, die Thorheit jeder .Spekulation, welche über den Iioi, sens sich verirrt?" — Oefter wird er in seine» Plänen irre, wenn die kleinlichen Zänkereien der Schweizer in theologischen wie in politischen Dingen ihn ärgern, z. B. 10. Oct. i.772. „IM der Mühe werth, für diese Leute zu arbeiten? Ich sage es dir frei und ohne Zurückhaltung, die Erweiterung meiner Kenntnisse vom Geist meiner Mitbürger, meine eigene Erfahrung, degoutiren mich fast ganz von dem Project, die Geschichte des Vaterlandes zu beschreiben. Wenn ich durch unsägliche Mühe, durch tausend Hindernisse durchdringe, und Wahrheit finde und Wahrheit schreibe, wahrlich, Freund! ich will wetten, mein Buch wird verboten und verbrannt." Dann aber ergreift irgend ein rührender Zug, den er in seinen Chroniken findet, seine Seele und erwärmt sie zu neuer Be¬ geisterung. „Ich hoffe, meinem künftigen Fleiß in vaterländischen Geschichten und Rechten soll der vorige gar nicht gleich kommen. Ich will sie nicht als Schriftsteller blos, sondern als freier Bürger ^treiben. Ich möchte nicht nur die Annalen des Vaterlandes schreiben; ich wünschte mir durch Verdienste und Thaten auch einen Platz in denselben." Die beiden Freunde machen mit¬ einander aus, die Arbeit zu theilen. Müller will die Geschichte bis 1308 ") Z- B, folgenden Satz würde man leicht I. Paul zuschreiben: „Die Wahrheit ist aus den Erzählungen mancher Chronisten schwerer herauszufinden, als die Insecten aus dem Essig; denn wir dürfen weder vom Verkleinerung«- noch Vergrößerungsglas Gebrauch machen." (1774).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/60
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/60>, abgerufen am 21.12.2024.