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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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beschreiben, die Fortsetzung soll Füßli vorbehalten bleiben. Zuletzt aber
überzeugt er sich, daß seine Studien über die Grenzen eines Handbuchs
hinausgehn. Er überläßt diese Arbeit ganz an Füßli und macht sich einen
andern Plan, "co sieu, i>0MUs vt moribus Ilolveticorum (deutsch oder fran¬
zösisch, versteht sich) nach Taciti Modell ein Buch zu schreiben, in welches
unsere ganze Geschichte, Statistik und Juridik hineinkommt, welches aber^
nicht mehr Worte als Sachen enthalten und nicht corpulent werden soll.
An Füßli spricht er sich auch am aufrichtigsten über seine religiösen Ansichten
aus. "Die unseligen symbolischen Bücher! Wer doch diesen unedeln Zwang
wegnähme! diesen Despotismus über den menschlichen Geist stürzte, zer¬
trümmerte, ausrottete! . . Ich verabscheue alles, was mir Fesseln anlegen
will. . Nicht einer Puffbohne sind sie werth, alle diese Auswüchse frucht¬
barer Geister, vom unseligen Athanasius an bis auf den abgedankter Senior
Götz." (24 Jan. 1772)*) -- Sehr eifrig nimmt er sich (12. Febr.) Schlözers
an, den Lavater und die Seinigen verketzern, weil er Julian und Diocletian
lobt. -- "Mir ist alles ziemlich natürlich in meiner christlichen Religion . . .
Meine Grundsätze stimmen am meisten mit der Theologie überein, die
Friedrich des Großen Priester predigen; die gewesen ist, ehe Moses war, und
bleiben wird, wenn Athanas' und Augustin zur Ehre des menschlichen Ver¬
standes verwünscht werden. Ein Mann, der den Weltschöpfer verehrt, und
edel denkt, ist meiner Liebe würdig, er mag seine Glaubensbrüder sonst in
Rom, in Wittenberg, in Zürich oder beim Dalci Lama haben . . . Das
allein sind der Gottheit würdige Lehrsätze, die zur moralischen Verbesserung
d. h. zur Glückseligkeit der Meuschen beitragen. Wenn ein Boll Sätze
glaubt, die diesen Grundsätzen zuwiderlaufen, so halt ichs freilich für
Schuldigkeit, ihm die Augen zu öffnen; nur muß ich ihm die Augen nicht
aus dem Kopf schlagen. Man preise die Sache mit Klugheit an . . . Nichts
ist mir abgeschmackter als die Wuudertheologie; das Geräusch von der Ein¬
sprache, dem Durchbruch, dem unwiderstehlichen Zug; die Gefahr eigener
Untersuchung und Tugendübung." (27. Febr.) Er fürchtet, mit diesen Grund¬
sätzen bei seinem Freund anzustoßen: "Aber das kann ich Ihnen sagen, daß
ich meine Begriffe vom Geist der ganz moralischen christlichen Religion,
meinen Haß aller scholastischen Thorheiten, die man seit Athanasius Zeiten in
die christliche Theologie hineingeschusicrt hat, daß ich das alles weder Ihnen
noch einem Menschen zu gefallen jemals abschwören werde. Ich will lieber
"in Ketzer sein als nachbeten." (18. März.) -- "Jene populäre Weisheit,
welche den Chinesen Confutsc, Brama den Indern, Zoroaster den Persern.



') Aus demselben Brief: "Wielands Musarion gefällt mir besser, als die meisten seiner
frühern Schriften. Alle jene affectirte Tugend, alles jenes affectirte Feuer, jenen nachgeahmten
Enthusiasmus kann ich nicht ausstehen."

beschreiben, die Fortsetzung soll Füßli vorbehalten bleiben. Zuletzt aber
überzeugt er sich, daß seine Studien über die Grenzen eines Handbuchs
hinausgehn. Er überläßt diese Arbeit ganz an Füßli und macht sich einen
andern Plan, „co sieu, i>0MUs vt moribus Ilolveticorum (deutsch oder fran¬
zösisch, versteht sich) nach Taciti Modell ein Buch zu schreiben, in welches
unsere ganze Geschichte, Statistik und Juridik hineinkommt, welches aber^
nicht mehr Worte als Sachen enthalten und nicht corpulent werden soll.
An Füßli spricht er sich auch am aufrichtigsten über seine religiösen Ansichten
aus. „Die unseligen symbolischen Bücher! Wer doch diesen unedeln Zwang
wegnähme! diesen Despotismus über den menschlichen Geist stürzte, zer¬
trümmerte, ausrottete! . . Ich verabscheue alles, was mir Fesseln anlegen
will. . Nicht einer Puffbohne sind sie werth, alle diese Auswüchse frucht¬
barer Geister, vom unseligen Athanasius an bis auf den abgedankter Senior
Götz." (24 Jan. 1772)*) — Sehr eifrig nimmt er sich (12. Febr.) Schlözers
an, den Lavater und die Seinigen verketzern, weil er Julian und Diocletian
lobt. — „Mir ist alles ziemlich natürlich in meiner christlichen Religion . . .
Meine Grundsätze stimmen am meisten mit der Theologie überein, die
Friedrich des Großen Priester predigen; die gewesen ist, ehe Moses war, und
bleiben wird, wenn Athanas' und Augustin zur Ehre des menschlichen Ver¬
standes verwünscht werden. Ein Mann, der den Weltschöpfer verehrt, und
edel denkt, ist meiner Liebe würdig, er mag seine Glaubensbrüder sonst in
Rom, in Wittenberg, in Zürich oder beim Dalci Lama haben . . . Das
allein sind der Gottheit würdige Lehrsätze, die zur moralischen Verbesserung
d. h. zur Glückseligkeit der Meuschen beitragen. Wenn ein Boll Sätze
glaubt, die diesen Grundsätzen zuwiderlaufen, so halt ichs freilich für
Schuldigkeit, ihm die Augen zu öffnen; nur muß ich ihm die Augen nicht
aus dem Kopf schlagen. Man preise die Sache mit Klugheit an . . . Nichts
ist mir abgeschmackter als die Wuudertheologie; das Geräusch von der Ein¬
sprache, dem Durchbruch, dem unwiderstehlichen Zug; die Gefahr eigener
Untersuchung und Tugendübung." (27. Febr.) Er fürchtet, mit diesen Grund¬
sätzen bei seinem Freund anzustoßen: „Aber das kann ich Ihnen sagen, daß
ich meine Begriffe vom Geist der ganz moralischen christlichen Religion,
meinen Haß aller scholastischen Thorheiten, die man seit Athanasius Zeiten in
die christliche Theologie hineingeschusicrt hat, daß ich das alles weder Ihnen
noch einem Menschen zu gefallen jemals abschwören werde. Ich will lieber
«in Ketzer sein als nachbeten." (18. März.) — „Jene populäre Weisheit,
welche den Chinesen Confutsc, Brama den Indern, Zoroaster den Persern.



') Aus demselben Brief: „Wielands Musarion gefällt mir besser, als die meisten seiner
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Enthusiasmus kann ich nicht ausstehen."
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[0061] beschreiben, die Fortsetzung soll Füßli vorbehalten bleiben. Zuletzt aber überzeugt er sich, daß seine Studien über die Grenzen eines Handbuchs hinausgehn. Er überläßt diese Arbeit ganz an Füßli und macht sich einen andern Plan, „co sieu, i>0MUs vt moribus Ilolveticorum (deutsch oder fran¬ zösisch, versteht sich) nach Taciti Modell ein Buch zu schreiben, in welches unsere ganze Geschichte, Statistik und Juridik hineinkommt, welches aber^ nicht mehr Worte als Sachen enthalten und nicht corpulent werden soll. An Füßli spricht er sich auch am aufrichtigsten über seine religiösen Ansichten aus. „Die unseligen symbolischen Bücher! Wer doch diesen unedeln Zwang wegnähme! diesen Despotismus über den menschlichen Geist stürzte, zer¬ trümmerte, ausrottete! . . Ich verabscheue alles, was mir Fesseln anlegen will. . Nicht einer Puffbohne sind sie werth, alle diese Auswüchse frucht¬ barer Geister, vom unseligen Athanasius an bis auf den abgedankter Senior Götz." (24 Jan. 1772)*) — Sehr eifrig nimmt er sich (12. Febr.) Schlözers an, den Lavater und die Seinigen verketzern, weil er Julian und Diocletian lobt. — „Mir ist alles ziemlich natürlich in meiner christlichen Religion . . . Meine Grundsätze stimmen am meisten mit der Theologie überein, die Friedrich des Großen Priester predigen; die gewesen ist, ehe Moses war, und bleiben wird, wenn Athanas' und Augustin zur Ehre des menschlichen Ver¬ standes verwünscht werden. Ein Mann, der den Weltschöpfer verehrt, und edel denkt, ist meiner Liebe würdig, er mag seine Glaubensbrüder sonst in Rom, in Wittenberg, in Zürich oder beim Dalci Lama haben . . . Das allein sind der Gottheit würdige Lehrsätze, die zur moralischen Verbesserung d. h. zur Glückseligkeit der Meuschen beitragen. Wenn ein Boll Sätze glaubt, die diesen Grundsätzen zuwiderlaufen, so halt ichs freilich für Schuldigkeit, ihm die Augen zu öffnen; nur muß ich ihm die Augen nicht aus dem Kopf schlagen. Man preise die Sache mit Klugheit an . . . Nichts ist mir abgeschmackter als die Wuudertheologie; das Geräusch von der Ein¬ sprache, dem Durchbruch, dem unwiderstehlichen Zug; die Gefahr eigener Untersuchung und Tugendübung." (27. Febr.) Er fürchtet, mit diesen Grund¬ sätzen bei seinem Freund anzustoßen: „Aber das kann ich Ihnen sagen, daß ich meine Begriffe vom Geist der ganz moralischen christlichen Religion, meinen Haß aller scholastischen Thorheiten, die man seit Athanasius Zeiten in die christliche Theologie hineingeschusicrt hat, daß ich das alles weder Ihnen noch einem Menschen zu gefallen jemals abschwören werde. Ich will lieber «in Ketzer sein als nachbeten." (18. März.) — „Jene populäre Weisheit, welche den Chinesen Confutsc, Brama den Indern, Zoroaster den Persern. ') Aus demselben Brief: „Wielands Musarion gefällt mir besser, als die meisten seiner frühern Schriften. Alle jene affectirte Tugend, alles jenes affectirte Feuer, jenen nachgeahmten Enthusiasmus kann ich nicht ausstehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/61>, abgerufen am 21.12.2024.