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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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ausbrechenden Streitigkeiten über Zinzendorf und die Dogmatik verleideten ihm
noch mehr sein Amt, an dem er ohnehin nie ein erhebliches Interesse genom¬
men hatte.

Im I'.i-Jima Lümbrioum, einer hoffnungsvollen Seminararbeit, geht Müller
mit der lateinischen Sprache grade so um als später mit der deutschen. Er karge
auf eine merkwürdige Weise mit der Zahl der Worte, nur die allernoth-
wendigsten Satztheile sind geblieben, die Satze sind ganz zusammenhanglos
nebeneinandergestellt, ungefähr wie man eine Geschichtstabelle sich denkt. Hin
und wieder hört man Cäsar und Tacitus heraus, dabei zeigt aber der Stil,
so unschön er ist, doch eine gewisse Eigenthümlichkeit. In seinem Bemühn,
nur die nackten Thatsachen zu geben, hält er sich am liebsten an charakteristische
Anekdoten; allgenieine Reflexionen vermeidet er eher, als daß er sie aufsuchte.
Die Kritik verräth gewissenhaften Fleiß und eine sür einen Jüngling gewiß
sehr seltene Sorgfalt in Bezug aufZeitfolge, Geographie u. tgi,, aber die all¬
gemein historische Bortenntnih ist noch gering. Die Art und Weise, wie er die
Thatsachen aus den Quellen herausschält, ist bereits dieselbe, die er später in der
Schweizergeschichte anwendet; nur daß diesmal der Stoff weniger ausgiebig war.

Mit leidenschaftlichem Eifer vertiefte er sich sofort in die Forschungen der
vaterländischen Geschichte. Immer lagen ganze Haufen von Handschriften,
Chroniken, Urkunden u. s. w. über die Schweizergeschichte auf und unter
seinem Tisch und in allen Ecken des kleinen Studirzimmers, die ihm auf die
freigebigste Weise von allen Orten her, auch aus Klöstern, mitgetheilt wurden.
Den Seinigen erzählte er über dem Abendessen, was er Tags über Merkwür¬
diges gefunden hatte. Mit edler Uneigennützigst überließ ihm Haller seine
unschätzbare Urkundensammlung, durch die ganze Schweiz ging die gespannte
Erwartung des viel versprechenden Werkes. In seiner Bemühung, für das
Handbuch der Schweizergeschichte den hinreichenden Stoff zu finden, wandte er
sich u. a. an Heinrich Füßli') und die Bereitwilligkeit, mit der dieser ihn
unterstützte, führte zu einer dauernden und für beide Theile fruchtbaren.Freund¬
schaft. "Ich möchte, "schreibt er ihm den 20. Sept. 1771/' mit kritischer Ge¬
nauigkeit in einen mächtigen Quartband aus unsern Annalen und historischen
Nachrichten alles das concentriren was Auswärtigen von der Geschichte der
helvetischen Nation erheblich und interessant ist ... . Zugleich möchte ich
so viel sagen, als einem umgekehrten, wenigstens unhistorischen Helvetier von
den Thaten seiner Väter zu wissen nöthig ist, und es auf solche Weise er¬
zählen, daß der in Manchen fast erstorbene Patriotismus wieder aufgeweckt
und unsere Landsleute zu mehren, der Söhne Teils würdigen Thaten, zu
größerer und edlerer Denkungsart begeistert winden." -- Ueber den ersten



In Zürich 1744-1832^ Buchhändler, heyle 1806--1821 das Künstlerlexikon seines
V aters fort.
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ausbrechenden Streitigkeiten über Zinzendorf und die Dogmatik verleideten ihm
noch mehr sein Amt, an dem er ohnehin nie ein erhebliches Interesse genom¬
men hatte.

Im I'.i-Jima Lümbrioum, einer hoffnungsvollen Seminararbeit, geht Müller
mit der lateinischen Sprache grade so um als später mit der deutschen. Er karge
auf eine merkwürdige Weise mit der Zahl der Worte, nur die allernoth-
wendigsten Satztheile sind geblieben, die Satze sind ganz zusammenhanglos
nebeneinandergestellt, ungefähr wie man eine Geschichtstabelle sich denkt. Hin
und wieder hört man Cäsar und Tacitus heraus, dabei zeigt aber der Stil,
so unschön er ist, doch eine gewisse Eigenthümlichkeit. In seinem Bemühn,
nur die nackten Thatsachen zu geben, hält er sich am liebsten an charakteristische
Anekdoten; allgenieine Reflexionen vermeidet er eher, als daß er sie aufsuchte.
Die Kritik verräth gewissenhaften Fleiß und eine sür einen Jüngling gewiß
sehr seltene Sorgfalt in Bezug aufZeitfolge, Geographie u. tgi,, aber die all¬
gemein historische Bortenntnih ist noch gering. Die Art und Weise, wie er die
Thatsachen aus den Quellen herausschält, ist bereits dieselbe, die er später in der
Schweizergeschichte anwendet; nur daß diesmal der Stoff weniger ausgiebig war.

Mit leidenschaftlichem Eifer vertiefte er sich sofort in die Forschungen der
vaterländischen Geschichte. Immer lagen ganze Haufen von Handschriften,
Chroniken, Urkunden u. s. w. über die Schweizergeschichte auf und unter
seinem Tisch und in allen Ecken des kleinen Studirzimmers, die ihm auf die
freigebigste Weise von allen Orten her, auch aus Klöstern, mitgetheilt wurden.
Den Seinigen erzählte er über dem Abendessen, was er Tags über Merkwür¬
diges gefunden hatte. Mit edler Uneigennützigst überließ ihm Haller seine
unschätzbare Urkundensammlung, durch die ganze Schweiz ging die gespannte
Erwartung des viel versprechenden Werkes. In seiner Bemühung, für das
Handbuch der Schweizergeschichte den hinreichenden Stoff zu finden, wandte er
sich u. a. an Heinrich Füßli') und die Bereitwilligkeit, mit der dieser ihn
unterstützte, führte zu einer dauernden und für beide Theile fruchtbaren.Freund¬
schaft. „Ich möchte, „schreibt er ihm den 20. Sept. 1771/' mit kritischer Ge¬
nauigkeit in einen mächtigen Quartband aus unsern Annalen und historischen
Nachrichten alles das concentriren was Auswärtigen von der Geschichte der
helvetischen Nation erheblich und interessant ist ... . Zugleich möchte ich
so viel sagen, als einem umgekehrten, wenigstens unhistorischen Helvetier von
den Thaten seiner Väter zu wissen nöthig ist, und es auf solche Weise er¬
zählen, daß der in Manchen fast erstorbene Patriotismus wieder aufgeweckt
und unsere Landsleute zu mehren, der Söhne Teils würdigen Thaten, zu
größerer und edlerer Denkungsart begeistert winden." — Ueber den ersten



In Zürich 1744-1832^ Buchhändler, heyle 1806—1821 das Künstlerlexikon seines
V aters fort.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/59>, abgerufen am 21.12.2024.