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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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jener mit erbeuteten 60,000 Thlr. nach Caracas und spielte eine Zeit lang den
großen Herrn. Dagegen wurde ein anderer wohlgelittener Beamter, den man
an die Douane von La Guaira befördern wollte, der aber zu gewissenhaft für
eine Stellung war, an welcher der untrennbare Fluch der Untreue hastete,
im Ministerrathe ein Dummkopf gescholten, weil er dieselbe aufgeschlagen. --
Bei dieser vielköpfigen Hydra mußte es begreiflich auch zu kleinen Kollisionen
der Interessen kommen. So wendete sich eine arme Mulattin an den Kriegs¬
minister, flehentlich um Freilassung ihres einzigen Sohnes bittend, den man
zum Militär weggeholt halte. Unglücklicherweise war der Sohn in der Com¬
pagnie des Obersten Monagas junior Pfeifer, also neben dem Trommler die
integrirende Hälfte des vierbeinigen Musikcorps. Der schlaue Minister weist
die Frau an den unkundigen Präsidenten, der schließlich willfährig ihr ein
Handbillet zur Freilassung übergibt. Kaum gelangt dieses in die Hände des
jungen Obersten, so stürzt er aufgebracht mitten in den Ministerrath. "Aber
Papa, ruft er aus. was soll das heißen? Das ist doch mein Pfeifer, den kann
ich nicht missen." und zerreißt das Billet. Die Frau blieb ohne ihren Sohn.
-- In jener Zeit war es nicht rathsam, Abends durch die abgelegenem Stra¬
ßen von Caracas unbewaffnet zu gehen. Monatelang zogen Diebesbanden
umher, zum Entsetzen der besitzenden Familien, deren keine sich sorglos der
Nachtruhe hingeben konnte, erbrachen jedes Schloß, tranken im Beisein der
geknebelten Opfer auf das Wohl ihres Protectors Monagas und plünderten
Hab und Gut. Als endlich eines Morgens die Anführer auf frischer That
ertappt und sofort niedergestreckt waren, trat auf Zeit wieder Ruhe ein.

Trotz dieser Wirthschaft verhielt sich anfangs das Land ruhig, ohne daß
man von militärischem Terrorismus in jener Zeit reden könnte, denn die
Zahl der stehenden Truppen war gar nicht bedeutend. Es hatte vielmehr
allen Anschein, als ob das Volk zufrieden wäre. Der Handel ging seinen
gewohnten Gang, eher zunehmend als sinkend; die socialen Freuden gaben
Ersatz für die politische Misöre und die allgemeine Indolenz, die grauenhafte
Apathie, welche sich über die Gesellschaft lagerte, ließ den schleichenden Gang
der Tage, die Versumpfung alles öffentlichen Lebens kaum empfinden. Die
Monotonie des ewigen Frühlings, das tiefe Schweigen der tropischen Natur
und der mächtigen Berge, welche die Hauptstadt umschließen, ging Hand in
Hand mit dem Schlummer alles geistigen Lebens, mit dem dumpfen Brüten
des Menschengeistes, der nur zum Vegetiren. der Pflanze gleich, verurtheilt
schien. Eine neue Geißel, das gelbe Fieber, mußte erst hinzukommen, um
in die erschlafften Gemüther einen Stachel einzusetzen, der sich -- wenn auch
fruchtlos -- gegen die zur Ordnung verkehrte Unordnung der Politik zu wen¬
den suchte. Ein bedeutender Arzt und durch seine Bildung wie Energie her¬
vorragender Mann, der aber trotz geistiger Ueberlegenheit und edler Motive


jener mit erbeuteten 60,000 Thlr. nach Caracas und spielte eine Zeit lang den
großen Herrn. Dagegen wurde ein anderer wohlgelittener Beamter, den man
an die Douane von La Guaira befördern wollte, der aber zu gewissenhaft für
eine Stellung war, an welcher der untrennbare Fluch der Untreue hastete,
im Ministerrathe ein Dummkopf gescholten, weil er dieselbe aufgeschlagen. —
Bei dieser vielköpfigen Hydra mußte es begreiflich auch zu kleinen Kollisionen
der Interessen kommen. So wendete sich eine arme Mulattin an den Kriegs¬
minister, flehentlich um Freilassung ihres einzigen Sohnes bittend, den man
zum Militär weggeholt halte. Unglücklicherweise war der Sohn in der Com¬
pagnie des Obersten Monagas junior Pfeifer, also neben dem Trommler die
integrirende Hälfte des vierbeinigen Musikcorps. Der schlaue Minister weist
die Frau an den unkundigen Präsidenten, der schließlich willfährig ihr ein
Handbillet zur Freilassung übergibt. Kaum gelangt dieses in die Hände des
jungen Obersten, so stürzt er aufgebracht mitten in den Ministerrath. „Aber
Papa, ruft er aus. was soll das heißen? Das ist doch mein Pfeifer, den kann
ich nicht missen." und zerreißt das Billet. Die Frau blieb ohne ihren Sohn.
— In jener Zeit war es nicht rathsam, Abends durch die abgelegenem Stra¬
ßen von Caracas unbewaffnet zu gehen. Monatelang zogen Diebesbanden
umher, zum Entsetzen der besitzenden Familien, deren keine sich sorglos der
Nachtruhe hingeben konnte, erbrachen jedes Schloß, tranken im Beisein der
geknebelten Opfer auf das Wohl ihres Protectors Monagas und plünderten
Hab und Gut. Als endlich eines Morgens die Anführer auf frischer That
ertappt und sofort niedergestreckt waren, trat auf Zeit wieder Ruhe ein.

Trotz dieser Wirthschaft verhielt sich anfangs das Land ruhig, ohne daß
man von militärischem Terrorismus in jener Zeit reden könnte, denn die
Zahl der stehenden Truppen war gar nicht bedeutend. Es hatte vielmehr
allen Anschein, als ob das Volk zufrieden wäre. Der Handel ging seinen
gewohnten Gang, eher zunehmend als sinkend; die socialen Freuden gaben
Ersatz für die politische Misöre und die allgemeine Indolenz, die grauenhafte
Apathie, welche sich über die Gesellschaft lagerte, ließ den schleichenden Gang
der Tage, die Versumpfung alles öffentlichen Lebens kaum empfinden. Die
Monotonie des ewigen Frühlings, das tiefe Schweigen der tropischen Natur
und der mächtigen Berge, welche die Hauptstadt umschließen, ging Hand in
Hand mit dem Schlummer alles geistigen Lebens, mit dem dumpfen Brüten
des Menschengeistes, der nur zum Vegetiren. der Pflanze gleich, verurtheilt
schien. Eine neue Geißel, das gelbe Fieber, mußte erst hinzukommen, um
in die erschlafften Gemüther einen Stachel einzusetzen, der sich — wenn auch
fruchtlos — gegen die zur Ordnung verkehrte Unordnung der Politik zu wen¬
den suchte. Ein bedeutender Arzt und durch seine Bildung wie Energie her¬
vorragender Mann, der aber trotz geistiger Ueberlegenheit und edler Motive


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/516>, abgerufen am 30.12.2024.