Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht mit dem Verfasser in die Einzelheiten der Ueberreste von der Reichs-
verfassung eingehen, sie verdienen noch kaum den Namen, der Reichstag be¬
schäftigte sich eben mit allem andern mehr als mit den wahren Anliegen des
Reiches. Privatangelegenheiten der Stände und elende Form- und Rang¬
streitigkeiten füllten seine Zeit aus. die Reichsgerichte wurden von der Mehr¬
zahl der Stände ignorirt und ihre Verfügungen bei Seite gelassen, trotz des
Landfriedens gab es fortwährend Fälle von Selbsthilfe, und wie die höchsten
Gerichte die Sicherheit der Person schützten, zeigt die Behandlung der beiden
Moser und Schubarths. Die Reichsarmee mit ihren gleichvertheilten katholischen
und evangelischen Generalen war der Spott des Auslandes und der Kontin¬
gente der größern Territorien, die Reichsfestungen verfielen.

Seitdem nach dem westphälischen Frieden eine Reform der Reichsverfassung
im einheitlichen Sinne unmöglich geworden war, mußten sich die Hoffnungen
der Patrioten auf die Ausbildung der lebensfähigen Territorien richten. Die
schwächern Stände suchten einen Anhalt gegen die Hausmacht Oestreichs und
wandten sich seit dem Auftreten des großen Kurfürsten entschiedener zu Branden¬
burg, die kaiserliche und die preußische Partei bildeten sich im Laufe des acht¬
zehnten Iahrliundcrts immer schärfer ans, und die letztere fand zuletzt einen
Ausdruck im Fürstenbund, den man. wie der Verfasser mit Recht hervorhebt,
nicht für einen Vorläufer von Unionsversuchen unsrer Tage halten darf, son¬
dern der nur den Zweck einer Opposition gegen Oestreich hatte. Dre Bedeu¬
tung jener beiden Parteien lag wesentlich in den beiden Staaten, welche für
jede den Kern bildeten, der Gegensatz von Oestreich und Preußen, der die
deutsche Gegenwart beherrscht, trat seit Preußens Erwerbung der Königswürde
immer offner hervor und kam zum Kriege. Die überwältigende Persönlichkeit
Friedrichs 2. wußte die größern Mittel zu ersetzen, über welche Oestreich gebot,
Preußen ging als Sieger ans dem Kampfe hervor und sein großer Monarch
wußte das Land durch den Frieden wie vorher durch den Krieg zu heben,
indem seine erleuchtete Politik die Größe Preußens als eines protestantischen,
auf den geistigen Fortschritt angewiesenen Staates förderte und demselben
einen immer weitergreifenden Einfluß in Deutschland sicherte, wahrend Josef,
der Schüler der Aufklärung mit dem besten, was er war und that, gänzlich
außerhalb, der traditionellen Basis des östreichischen Systems stand, ja durch
sein aufgeklärtes Wesen diese Basis selbst erschütterte und damit die Wider¬
standskraft des alten katholischen Oestreich gegen das junge protestantische
Preußen verringerte. In letzterm, dem jungen Staate war der aufgeklärte
Despotismus, der alle Mittel in einer Hand zu einem Zwecke sammelte, ein
Fortschritt und ein nothwendiger Durchgangspunkt, auf dem altöstrcichischen
Boden mußte er als eine fremdartige Pflanze erscheinen. Für Preußen und
Oestreich nöthigte die Größe des Staatsgebiets und die Mannigfaltigkeit der


K0*

nicht mit dem Verfasser in die Einzelheiten der Ueberreste von der Reichs-
verfassung eingehen, sie verdienen noch kaum den Namen, der Reichstag be¬
schäftigte sich eben mit allem andern mehr als mit den wahren Anliegen des
Reiches. Privatangelegenheiten der Stände und elende Form- und Rang¬
streitigkeiten füllten seine Zeit aus. die Reichsgerichte wurden von der Mehr¬
zahl der Stände ignorirt und ihre Verfügungen bei Seite gelassen, trotz des
Landfriedens gab es fortwährend Fälle von Selbsthilfe, und wie die höchsten
Gerichte die Sicherheit der Person schützten, zeigt die Behandlung der beiden
Moser und Schubarths. Die Reichsarmee mit ihren gleichvertheilten katholischen
und evangelischen Generalen war der Spott des Auslandes und der Kontin¬
gente der größern Territorien, die Reichsfestungen verfielen.

Seitdem nach dem westphälischen Frieden eine Reform der Reichsverfassung
im einheitlichen Sinne unmöglich geworden war, mußten sich die Hoffnungen
der Patrioten auf die Ausbildung der lebensfähigen Territorien richten. Die
schwächern Stände suchten einen Anhalt gegen die Hausmacht Oestreichs und
wandten sich seit dem Auftreten des großen Kurfürsten entschiedener zu Branden¬
burg, die kaiserliche und die preußische Partei bildeten sich im Laufe des acht¬
zehnten Iahrliundcrts immer schärfer ans, und die letztere fand zuletzt einen
Ausdruck im Fürstenbund, den man. wie der Verfasser mit Recht hervorhebt,
nicht für einen Vorläufer von Unionsversuchen unsrer Tage halten darf, son¬
dern der nur den Zweck einer Opposition gegen Oestreich hatte. Dre Bedeu¬
tung jener beiden Parteien lag wesentlich in den beiden Staaten, welche für
jede den Kern bildeten, der Gegensatz von Oestreich und Preußen, der die
deutsche Gegenwart beherrscht, trat seit Preußens Erwerbung der Königswürde
immer offner hervor und kam zum Kriege. Die überwältigende Persönlichkeit
Friedrichs 2. wußte die größern Mittel zu ersetzen, über welche Oestreich gebot,
Preußen ging als Sieger ans dem Kampfe hervor und sein großer Monarch
wußte das Land durch den Frieden wie vorher durch den Krieg zu heben,
indem seine erleuchtete Politik die Größe Preußens als eines protestantischen,
auf den geistigen Fortschritt angewiesenen Staates förderte und demselben
einen immer weitergreifenden Einfluß in Deutschland sicherte, wahrend Josef,
der Schüler der Aufklärung mit dem besten, was er war und that, gänzlich
außerhalb, der traditionellen Basis des östreichischen Systems stand, ja durch
sein aufgeklärtes Wesen diese Basis selbst erschütterte und damit die Wider¬
standskraft des alten katholischen Oestreich gegen das junge protestantische
Preußen verringerte. In letzterm, dem jungen Staate war der aufgeklärte
Despotismus, der alle Mittel in einer Hand zu einem Zwecke sammelte, ein
Fortschritt und ein nothwendiger Durchgangspunkt, auf dem altöstrcichischen
Boden mußte er als eine fremdartige Pflanze erscheinen. Für Preußen und
Oestreich nöthigte die Größe des Staatsgebiets und die Mannigfaltigkeit der


K0*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186896"/>
            <p xml:id="ID_1085" prev="#ID_1084"> nicht mit dem Verfasser in die Einzelheiten der Ueberreste von der Reichs-<lb/>
verfassung eingehen, sie verdienen noch kaum den Namen, der Reichstag be¬<lb/>
schäftigte sich eben mit allem andern mehr als mit den wahren Anliegen des<lb/>
Reiches. Privatangelegenheiten der Stände und elende Form- und Rang¬<lb/>
streitigkeiten füllten seine Zeit aus. die Reichsgerichte wurden von der Mehr¬<lb/>
zahl der Stände ignorirt und ihre Verfügungen bei Seite gelassen, trotz des<lb/>
Landfriedens gab es fortwährend Fälle von Selbsthilfe, und wie die höchsten<lb/>
Gerichte die Sicherheit der Person schützten, zeigt die Behandlung der beiden<lb/>
Moser und Schubarths. Die Reichsarmee mit ihren gleichvertheilten katholischen<lb/>
und evangelischen Generalen war der Spott des Auslandes und der Kontin¬<lb/>
gente der größern Territorien, die Reichsfestungen verfielen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1086" next="#ID_1087"> Seitdem nach dem westphälischen Frieden eine Reform der Reichsverfassung<lb/>
im einheitlichen Sinne unmöglich geworden war, mußten sich die Hoffnungen<lb/>
der Patrioten auf die Ausbildung der lebensfähigen Territorien richten. Die<lb/>
schwächern Stände suchten einen Anhalt gegen die Hausmacht Oestreichs und<lb/>
wandten sich seit dem Auftreten des großen Kurfürsten entschiedener zu Branden¬<lb/>
burg, die kaiserliche und die preußische Partei bildeten sich im Laufe des acht¬<lb/>
zehnten Iahrliundcrts immer schärfer ans, und die letztere fand zuletzt einen<lb/>
Ausdruck im Fürstenbund, den man. wie der Verfasser mit Recht hervorhebt,<lb/>
nicht für einen Vorläufer von Unionsversuchen unsrer Tage halten darf, son¬<lb/>
dern der nur den Zweck einer Opposition gegen Oestreich hatte. Dre Bedeu¬<lb/>
tung jener beiden Parteien lag wesentlich in den beiden Staaten, welche für<lb/>
jede den Kern bildeten, der Gegensatz von Oestreich und Preußen, der die<lb/>
deutsche Gegenwart beherrscht, trat seit Preußens Erwerbung der Königswürde<lb/>
immer offner hervor und kam zum Kriege. Die überwältigende Persönlichkeit<lb/>
Friedrichs 2. wußte die größern Mittel zu ersetzen, über welche Oestreich gebot,<lb/>
Preußen ging als Sieger ans dem Kampfe hervor und sein großer Monarch<lb/>
wußte das Land durch den Frieden wie vorher durch den Krieg zu heben,<lb/>
indem seine erleuchtete Politik die Größe Preußens als eines protestantischen,<lb/>
auf den geistigen Fortschritt angewiesenen Staates förderte und demselben<lb/>
einen immer weitergreifenden Einfluß in Deutschland sicherte, wahrend Josef,<lb/>
der Schüler der Aufklärung mit dem besten, was er war und that, gänzlich<lb/>
außerhalb, der traditionellen Basis des östreichischen Systems stand, ja durch<lb/>
sein aufgeklärtes Wesen diese Basis selbst erschütterte und damit die Wider¬<lb/>
standskraft des alten katholischen Oestreich gegen das junge protestantische<lb/>
Preußen verringerte. In letzterm, dem jungen Staate war der aufgeklärte<lb/>
Despotismus, der alle Mittel in einer Hand zu einem Zwecke sammelte, ein<lb/>
Fortschritt und ein nothwendiger Durchgangspunkt, auf dem altöstrcichischen<lb/>
Boden mußte er als eine fremdartige Pflanze erscheinen. Für Preußen und<lb/>
Oestreich nöthigte die Größe des Staatsgebiets und die Mannigfaltigkeit der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> K0*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] nicht mit dem Verfasser in die Einzelheiten der Ueberreste von der Reichs- verfassung eingehen, sie verdienen noch kaum den Namen, der Reichstag be¬ schäftigte sich eben mit allem andern mehr als mit den wahren Anliegen des Reiches. Privatangelegenheiten der Stände und elende Form- und Rang¬ streitigkeiten füllten seine Zeit aus. die Reichsgerichte wurden von der Mehr¬ zahl der Stände ignorirt und ihre Verfügungen bei Seite gelassen, trotz des Landfriedens gab es fortwährend Fälle von Selbsthilfe, und wie die höchsten Gerichte die Sicherheit der Person schützten, zeigt die Behandlung der beiden Moser und Schubarths. Die Reichsarmee mit ihren gleichvertheilten katholischen und evangelischen Generalen war der Spott des Auslandes und der Kontin¬ gente der größern Territorien, die Reichsfestungen verfielen. Seitdem nach dem westphälischen Frieden eine Reform der Reichsverfassung im einheitlichen Sinne unmöglich geworden war, mußten sich die Hoffnungen der Patrioten auf die Ausbildung der lebensfähigen Territorien richten. Die schwächern Stände suchten einen Anhalt gegen die Hausmacht Oestreichs und wandten sich seit dem Auftreten des großen Kurfürsten entschiedener zu Branden¬ burg, die kaiserliche und die preußische Partei bildeten sich im Laufe des acht¬ zehnten Iahrliundcrts immer schärfer ans, und die letztere fand zuletzt einen Ausdruck im Fürstenbund, den man. wie der Verfasser mit Recht hervorhebt, nicht für einen Vorläufer von Unionsversuchen unsrer Tage halten darf, son¬ dern der nur den Zweck einer Opposition gegen Oestreich hatte. Dre Bedeu¬ tung jener beiden Parteien lag wesentlich in den beiden Staaten, welche für jede den Kern bildeten, der Gegensatz von Oestreich und Preußen, der die deutsche Gegenwart beherrscht, trat seit Preußens Erwerbung der Königswürde immer offner hervor und kam zum Kriege. Die überwältigende Persönlichkeit Friedrichs 2. wußte die größern Mittel zu ersetzen, über welche Oestreich gebot, Preußen ging als Sieger ans dem Kampfe hervor und sein großer Monarch wußte das Land durch den Frieden wie vorher durch den Krieg zu heben, indem seine erleuchtete Politik die Größe Preußens als eines protestantischen, auf den geistigen Fortschritt angewiesenen Staates förderte und demselben einen immer weitergreifenden Einfluß in Deutschland sicherte, wahrend Josef, der Schüler der Aufklärung mit dem besten, was er war und that, gänzlich außerhalb, der traditionellen Basis des östreichischen Systems stand, ja durch sein aufgeklärtes Wesen diese Basis selbst erschütterte und damit die Wider¬ standskraft des alten katholischen Oestreich gegen das junge protestantische Preußen verringerte. In letzterm, dem jungen Staate war der aufgeklärte Despotismus, der alle Mittel in einer Hand zu einem Zwecke sammelte, ein Fortschritt und ein nothwendiger Durchgangspunkt, auf dem altöstrcichischen Boden mußte er als eine fremdartige Pflanze erscheinen. Für Preußen und Oestreich nöthigte die Größe des Staatsgebiets und die Mannigfaltigkeit der K0*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/483>, abgerufen am 22.12.2024.