Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.herabwürdigenden Zeremonien, nach welchen der Kaiser alle Augenblicke vom herabwürdigenden Zeremonien, nach welchen der Kaiser alle Augenblicke vom <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186895"/> <p xml:id="ID_1084" prev="#ID_1083" next="#ID_1085"> herabwürdigenden Zeremonien, nach welchen der Kaiser alle Augenblicke vom<lb/> Stuhl herab und hinauf, hinauf und herab sich ankleiden und auskleiden,<lb/> einschmieren und wieder abwischen lassen, sich vor den Bischofsmützen mit<lb/> Handen und Füßen ausgestreckt auf die Erde werfen mußte, waren in der<lb/> Hauptsache ganz dieselben, womit der gemeinste Mönch un Bettelkloster ein¬<lb/> gekleidet wird. Von der Kirche zurück zum Rathhaus ging der Kaiser in<lb/> seinen alten Kaiserpantoffeln über gelegte Breter, die man mit rothem Tuche<lb/> bedeckte, welches aber die gemeinen Leute auf dem Boden kniend und mit<lb/> Messern in den Händen hart hinter seinen Fersen herunterschnittcn und zum<lb/> Theil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den Kaiser damit beinahe<lb/> umwarfen. Nichts konnte ein treueres Bild der eiskalt erstanden und kindisch<lb/> gewordenen alten deutschen Reichsverfassung geben, als das Fastnachtsspiel<lb/> einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangenden Kaiserkrmiung."Sieven-<lb/> uudoreißig Reichsgrafen trugen bei der Krönungstasel die Speisen auf, aber<lb/> der Held dieser Huldigungen hatte von seinem Reiche nur etwa 14,000 Gülden<lb/> Einkünfte, den Ertrag der Iudenschutzgelder; mit schwerer Wendung sagt<lb/> Dahlmann, es hat Deutschland unendlich viel gekostet, daß ihm sein Kaiser<lb/> so wenig gekostet. Danach war es nur natürlich, wenn das Kaiserthum, welches<lb/> so wenig vom Reiche empfing, auch einen particularistischen Charakter annahm<lb/> und von seinen Trägern nur als ein Apnnagium und Ehrenrecht der Habs¬<lb/> burgischen Dynastie betrachtet ward. Es macht den traurigsten Eindrück zu<lb/> sehe», wie gleichzeitige Schriftsteller bei Glossirung der Wahlcapitulcttionen<lb/> jene Abschwächung der kaiserlichen Macht als eine Errungenschaft zu Gunsten<lb/> der Freiheit der Nation behandeln, während doch nur die LandcsherM und<lb/> meist zu Schaden ihrer Unterthanen dadurch gewannen. Wann haben die deut¬<lb/> schen Fürsten und Herren zu Gunsten der Gemeinen des Reichs gestritten, wie<lb/> die englischen Barone? — wann haben sie etwas Anderes gekannt als ihren<lb/> Privatvortheil? eine Abschwächung der Centrnlgewalr hätte aufgewogen werden<lb/> können durch eine aristokratisch-parlamentarische Verfassung, wie sie sich in<lb/> England ausbildete; aber darum war es den Landesherrn gar nicht zu thun,<lb/> sie wollten in ihrem eignen kleinen Machtkreis unbeschränkt werden und wußten<lb/> die Centralgewnlt nicht nur zu beschränken, sondern ihr stufenweise alle jene<lb/> Hoheitsrechte zu nehmen, welche in jedem wahren Staate die Attribute der<lb/> obersten politischen Gewalt sind. So rissen in der Rechtspflege, Handels-,<lb/> Zoll-, Münz- und Postwesen jene Uebelstände der Getheiltheit und des Wider¬<lb/> spruches ein. an denen wir noch heute leiden. Der Name, mit dem Friedrich<lb/> der Große die deutsche Verfassung bezeichnete „eine erlauchte Republik von<lb/> Fürsten mit einem gewählten Oberhaupte an der Spitze" klingt stolz, aber<lb/> welches politische Elend verbarg sich dahinter. Die Bezeichnung Oxenstiernas<lb/> voutusiö Äivimws eoaLörvata kommt der Wirklichkeit näher. Wir wollen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
herabwürdigenden Zeremonien, nach welchen der Kaiser alle Augenblicke vom
Stuhl herab und hinauf, hinauf und herab sich ankleiden und auskleiden,
einschmieren und wieder abwischen lassen, sich vor den Bischofsmützen mit
Handen und Füßen ausgestreckt auf die Erde werfen mußte, waren in der
Hauptsache ganz dieselben, womit der gemeinste Mönch un Bettelkloster ein¬
gekleidet wird. Von der Kirche zurück zum Rathhaus ging der Kaiser in
seinen alten Kaiserpantoffeln über gelegte Breter, die man mit rothem Tuche
bedeckte, welches aber die gemeinen Leute auf dem Boden kniend und mit
Messern in den Händen hart hinter seinen Fersen herunterschnittcn und zum
Theil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den Kaiser damit beinahe
umwarfen. Nichts konnte ein treueres Bild der eiskalt erstanden und kindisch
gewordenen alten deutschen Reichsverfassung geben, als das Fastnachtsspiel
einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangenden Kaiserkrmiung."Sieven-
uudoreißig Reichsgrafen trugen bei der Krönungstasel die Speisen auf, aber
der Held dieser Huldigungen hatte von seinem Reiche nur etwa 14,000 Gülden
Einkünfte, den Ertrag der Iudenschutzgelder; mit schwerer Wendung sagt
Dahlmann, es hat Deutschland unendlich viel gekostet, daß ihm sein Kaiser
so wenig gekostet. Danach war es nur natürlich, wenn das Kaiserthum, welches
so wenig vom Reiche empfing, auch einen particularistischen Charakter annahm
und von seinen Trägern nur als ein Apnnagium und Ehrenrecht der Habs¬
burgischen Dynastie betrachtet ward. Es macht den traurigsten Eindrück zu
sehe», wie gleichzeitige Schriftsteller bei Glossirung der Wahlcapitulcttionen
jene Abschwächung der kaiserlichen Macht als eine Errungenschaft zu Gunsten
der Freiheit der Nation behandeln, während doch nur die LandcsherM und
meist zu Schaden ihrer Unterthanen dadurch gewannen. Wann haben die deut¬
schen Fürsten und Herren zu Gunsten der Gemeinen des Reichs gestritten, wie
die englischen Barone? — wann haben sie etwas Anderes gekannt als ihren
Privatvortheil? eine Abschwächung der Centrnlgewalr hätte aufgewogen werden
können durch eine aristokratisch-parlamentarische Verfassung, wie sie sich in
England ausbildete; aber darum war es den Landesherrn gar nicht zu thun,
sie wollten in ihrem eignen kleinen Machtkreis unbeschränkt werden und wußten
die Centralgewnlt nicht nur zu beschränken, sondern ihr stufenweise alle jene
Hoheitsrechte zu nehmen, welche in jedem wahren Staate die Attribute der
obersten politischen Gewalt sind. So rissen in der Rechtspflege, Handels-,
Zoll-, Münz- und Postwesen jene Uebelstände der Getheiltheit und des Wider¬
spruches ein. an denen wir noch heute leiden. Der Name, mit dem Friedrich
der Große die deutsche Verfassung bezeichnete „eine erlauchte Republik von
Fürsten mit einem gewählten Oberhaupte an der Spitze" klingt stolz, aber
welches politische Elend verbarg sich dahinter. Die Bezeichnung Oxenstiernas
voutusiö Äivimws eoaLörvata kommt der Wirklichkeit näher. Wir wollen
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