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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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alte Rechtsansprüche der Form nach aufrecht erhielt, auch wenn ihr Wesen
längst entschwunden war, dagegen immer neue Ausnahmen von seiner Ober-
Herrlichkeit aufkommen ließ, auch wo diese bisher unbestritten gewesen. Die
Reichskreise wurden der Form nach erhalten, aber innerhalb derselben hatten
sich im Laufe der Zeit ganz neue politische Bildungen ergeben, die Zer¬
stückelung des Südens und Westens war fortgeschritten, im Norden und Osten
lagerten sich festere Massen zusammen, aber der Particularismus war in den
Territorien aller Kreise gleichmächtig, die kaiserliche Gewalt gleich ohnmächtig,
nichts gibt einen traurigern aber wahrem Eindruck der wachsenden centri-
fugalen Richtung, welche die staatbildcnden Kräfte in Dentschland genommen
hatten, als die aufeinanderfolgenden Wahlcapitulationen; die beiden ersten
Bedingungen einer Monarchie, Erblichkeit und Unabhängigkeit nach außen
waren gradezu verneint, während sie den fürstlichen Landesherrn reichsgesetz-
lich garantirt waren. Der Kaiser mußte sich durch feierlichen Eid verpflichten,
jedem Gedanken an die Erblichmachung der Krone in seinem Hause zu ent¬
sagen und dem Papst die schuldige Unterwerfung zu erweisen. "So verewigte
man unter doppelter Gestalt das Andenken an jenen traurigsten Moment unsrer
Geschichte, während der Regierung Heinrichs 4., wo deutsche Fürsten unter
dein Borsil, eines päpstlichen Legaten den Beschluß faßten, daß die deutsche
Kaiserkrone hinfort lediglich durch ihre freie Wahl und die Bestätigung des
heiligen Stuhls vergeben werden sollte, damit den Grundstein legend zur Ohn¬
macht der Reichsgewalt und dem Siege des Particularismus." Die Folgen
aber jenes vom rein politischen Gesichtspunkte betrachtet schon unnatürlichen
Verbots der Erblichkeit war natürlich ein fortwährendes Jntrigucnspiel des
regierenden Kaisers um die Stimmen der Wahlfürsten für seinen Nachfolger,
und immer neue Zugeständnisse auf Kosten der kaiserlichen Gewalt. Man be¬
greift kaum den Ernst, mir welchem die damaligen Staatsrechtslehrer das so¬
genannte öffentliche Recht Deutschlands vortrugen, von dem kaum irgend etwas
außer Formen in Kraft war. Und auch diese wie unwürdig waren sie viel-
fach, was bedeuteten jene Lchnsauffahrten zu Wien, da doch der Kaiser keinem
einigermaßen bedeutenden Reichsstände die Belehnung thatsächlich verweigern
konnte? ja selbst die Kaiserkrönung war zuletzt ein unwürdiger Mummen¬
schanz geworden; Goethe zwar hat die Krönung Leopolds uns im poe¬
tischen Glänze alter Herrlichkeit gezeigt, aber die Dichtung scheint dabei
die Wahrheit zu überwiegen und in dem Bericht eines nüchternen Augenzeugen
stellt sich die Sache anders dar. "Der Kaiserornat." sagt Lang in seinen Denk¬
würdigkeiten, sah aus "als wäre er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft,
die kaiserliche Krone als hätte sie der ungeschickteste Kupferschmied zusammen¬
geschmiedet und mit Glasscherben und Kieselsteinen besetzt, auf dem angeblichen
Schwert Karls des Großen war ein Löwe mit dem böhnuschen Wappen. Die


Grenzboten II. 18SL. ßv

alte Rechtsansprüche der Form nach aufrecht erhielt, auch wenn ihr Wesen
längst entschwunden war, dagegen immer neue Ausnahmen von seiner Ober-
Herrlichkeit aufkommen ließ, auch wo diese bisher unbestritten gewesen. Die
Reichskreise wurden der Form nach erhalten, aber innerhalb derselben hatten
sich im Laufe der Zeit ganz neue politische Bildungen ergeben, die Zer¬
stückelung des Südens und Westens war fortgeschritten, im Norden und Osten
lagerten sich festere Massen zusammen, aber der Particularismus war in den
Territorien aller Kreise gleichmächtig, die kaiserliche Gewalt gleich ohnmächtig,
nichts gibt einen traurigern aber wahrem Eindruck der wachsenden centri-
fugalen Richtung, welche die staatbildcnden Kräfte in Dentschland genommen
hatten, als die aufeinanderfolgenden Wahlcapitulationen; die beiden ersten
Bedingungen einer Monarchie, Erblichkeit und Unabhängigkeit nach außen
waren gradezu verneint, während sie den fürstlichen Landesherrn reichsgesetz-
lich garantirt waren. Der Kaiser mußte sich durch feierlichen Eid verpflichten,
jedem Gedanken an die Erblichmachung der Krone in seinem Hause zu ent¬
sagen und dem Papst die schuldige Unterwerfung zu erweisen. „So verewigte
man unter doppelter Gestalt das Andenken an jenen traurigsten Moment unsrer
Geschichte, während der Regierung Heinrichs 4., wo deutsche Fürsten unter
dein Borsil, eines päpstlichen Legaten den Beschluß faßten, daß die deutsche
Kaiserkrone hinfort lediglich durch ihre freie Wahl und die Bestätigung des
heiligen Stuhls vergeben werden sollte, damit den Grundstein legend zur Ohn¬
macht der Reichsgewalt und dem Siege des Particularismus." Die Folgen
aber jenes vom rein politischen Gesichtspunkte betrachtet schon unnatürlichen
Verbots der Erblichkeit war natürlich ein fortwährendes Jntrigucnspiel des
regierenden Kaisers um die Stimmen der Wahlfürsten für seinen Nachfolger,
und immer neue Zugeständnisse auf Kosten der kaiserlichen Gewalt. Man be¬
greift kaum den Ernst, mir welchem die damaligen Staatsrechtslehrer das so¬
genannte öffentliche Recht Deutschlands vortrugen, von dem kaum irgend etwas
außer Formen in Kraft war. Und auch diese wie unwürdig waren sie viel-
fach, was bedeuteten jene Lchnsauffahrten zu Wien, da doch der Kaiser keinem
einigermaßen bedeutenden Reichsstände die Belehnung thatsächlich verweigern
konnte? ja selbst die Kaiserkrönung war zuletzt ein unwürdiger Mummen¬
schanz geworden; Goethe zwar hat die Krönung Leopolds uns im poe¬
tischen Glänze alter Herrlichkeit gezeigt, aber die Dichtung scheint dabei
die Wahrheit zu überwiegen und in dem Bericht eines nüchternen Augenzeugen
stellt sich die Sache anders dar. „Der Kaiserornat." sagt Lang in seinen Denk¬
würdigkeiten, sah aus „als wäre er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft,
die kaiserliche Krone als hätte sie der ungeschickteste Kupferschmied zusammen¬
geschmiedet und mit Glasscherben und Kieselsteinen besetzt, auf dem angeblichen
Schwert Karls des Großen war ein Löwe mit dem böhnuschen Wappen. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/481>, abgerufen am 22.12.2024.