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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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19. Juli 1807. "auch Sie wollen uns verlassen? Sie dürfen es jetzt am wenig¬
sten, das Gemüth eines Müller würde es nicht ertragen, wenn es hieße, er
hat seinen König, seinen Staat, der ihn mit Liebe und Innigkeit pflegte, in
der Noth verlassen. Hat mein Freund darüber nachgedacht, welchen Eindruck
dieser Schritt für ihn und den Staat machen muß? . . Besonders konnte die
Königin gar nicht ergründen, was die Ursache dieses Entschlusses sein möchte,
und ich vermochte ihr keine anzugeben. Die Reduction der Staatsausgaben?
Das darf ich doch wol meinem Freunde, ohne seine Bescheidenheit zu be¬
leidigen, sagen, daß die seinige wol die ist, die dem Staat am wenigsten
lästig sein würde." -- 26. August: "Vor allen Dingen bitte ich Sie zu be¬
denken. daß Sie eben durch Ihr Weggehen denen, die Ihnen etwa übel
wollten, die stärksten Waffen und denen, die noch unentschieden oder irre ge¬
leitet wären, die Ueberzeugung erst in die Hände geben würden, daß der
Verdacht doch gegründet sei. Und wie schmerzlich dies Ihren wahren Freun¬
den nicht nur in Absicht Ihrer, sondern auch der guten Sache der Gelehr¬
samkeit überhaupt sein müßte, da dieselbe in Ihrer Person wirklich zuerst
anerkannt und rein für sich belohnt worden ist, und also durch einen solchen
Schritt einen ihrer ersten Repräsentanten nothwendig verlieren würde, brauche
ich nicht erst hinzuzufügen . . Noch liegt die Sache in Ihren Handen; Ihre
Schreiben sind verloren gegangen, wie so vieles in der letzten Zeit; schreiben
Sie nicht wieder, und die Sache ist so gut wie nicht geschehn." -- Müller
war gerührt, aber er konnte zu keinem Entschluß kommen, er wollte eine
äußerliche Bestimmung. Sein wir gerecht gegen ihn: er selber spricht zwar
hauptsächlich von seiner Besorgnis; vor einer Reduction seines Gehalts, aber
nicht das lag ihm am Herzen: er fühlte die Unsicherheit seiner Stellung, er
fühlte die Geringschätzung der Patrioten und er bedürfte, um zu bleiben,
einer Ehrenerklärung von Seiten des Königs. So schrieb er zum dritten
Mal nach Memel. 5. September; die Folge war seine Entlassung in kurzen
und trocknen Worten, die er am 5. October erhielt. F-oz s'xriXi-dro ^?vo^
setzt er hinzu. *)



") An Perthes. II, Juli 1807: "Gewöhnt seit langem nicht mehr das Größte, Höchste
zu erwarten, finde ich mich durch das mildere Gestirn, das hervorzugelm scheint, angenehm
überrascht. Es ist der Menschheit viel werth, daß die Kaiser (Napoleon und Alexander) sich
gesehen haben; des Nordens langer Friede und ein frohes Emporblühen der Künste desselben
kann die Folge sein. Indeß können schönere, bessere Länder der Cultur wiedergegeben wer¬
den. Eine Erscheinung, welche wie alles auf dein Erdenrund vorübergehend, aber, da
wir nnr Augenblicke da sind, wenigstens für unsere Zeit etwas Beruhigendes zu haben
scheint/' "Ich glaube, daß das alte Formenwesen seine Unhaltbarkeit bewiesen hat,
oder daß wir die Entwickelung dessen, was sein soll, noch nicht sehen ... daß in dem
Gewesenen so gar kein Geist mehr sei, das hatte ich nicht gedacht, bis wir es sehn
mußten," Er findet in der jejzigcn Lage sür Deutschland die Aussicht auf Einheit (im
Königreich Westphalen!) und auf eine Seele Verfassung (im Rheinbund!) -- An Hammer

19. Juli 1807. „auch Sie wollen uns verlassen? Sie dürfen es jetzt am wenig¬
sten, das Gemüth eines Müller würde es nicht ertragen, wenn es hieße, er
hat seinen König, seinen Staat, der ihn mit Liebe und Innigkeit pflegte, in
der Noth verlassen. Hat mein Freund darüber nachgedacht, welchen Eindruck
dieser Schritt für ihn und den Staat machen muß? . . Besonders konnte die
Königin gar nicht ergründen, was die Ursache dieses Entschlusses sein möchte,
und ich vermochte ihr keine anzugeben. Die Reduction der Staatsausgaben?
Das darf ich doch wol meinem Freunde, ohne seine Bescheidenheit zu be¬
leidigen, sagen, daß die seinige wol die ist, die dem Staat am wenigsten
lästig sein würde." — 26. August: „Vor allen Dingen bitte ich Sie zu be¬
denken. daß Sie eben durch Ihr Weggehen denen, die Ihnen etwa übel
wollten, die stärksten Waffen und denen, die noch unentschieden oder irre ge¬
leitet wären, die Ueberzeugung erst in die Hände geben würden, daß der
Verdacht doch gegründet sei. Und wie schmerzlich dies Ihren wahren Freun¬
den nicht nur in Absicht Ihrer, sondern auch der guten Sache der Gelehr¬
samkeit überhaupt sein müßte, da dieselbe in Ihrer Person wirklich zuerst
anerkannt und rein für sich belohnt worden ist, und also durch einen solchen
Schritt einen ihrer ersten Repräsentanten nothwendig verlieren würde, brauche
ich nicht erst hinzuzufügen . . Noch liegt die Sache in Ihren Handen; Ihre
Schreiben sind verloren gegangen, wie so vieles in der letzten Zeit; schreiben
Sie nicht wieder, und die Sache ist so gut wie nicht geschehn." — Müller
war gerührt, aber er konnte zu keinem Entschluß kommen, er wollte eine
äußerliche Bestimmung. Sein wir gerecht gegen ihn: er selber spricht zwar
hauptsächlich von seiner Besorgnis; vor einer Reduction seines Gehalts, aber
nicht das lag ihm am Herzen: er fühlte die Unsicherheit seiner Stellung, er
fühlte die Geringschätzung der Patrioten und er bedürfte, um zu bleiben,
einer Ehrenerklärung von Seiten des Königs. So schrieb er zum dritten
Mal nach Memel. 5. September; die Folge war seine Entlassung in kurzen
und trocknen Worten, die er am 5. October erhielt. F-oz s'xriXi-dro ^?vo^
setzt er hinzu. *)



") An Perthes. II, Juli 1807: „Gewöhnt seit langem nicht mehr das Größte, Höchste
zu erwarten, finde ich mich durch das mildere Gestirn, das hervorzugelm scheint, angenehm
überrascht. Es ist der Menschheit viel werth, daß die Kaiser (Napoleon und Alexander) sich
gesehen haben; des Nordens langer Friede und ein frohes Emporblühen der Künste desselben
kann die Folge sein. Indeß können schönere, bessere Länder der Cultur wiedergegeben wer¬
den. Eine Erscheinung, welche wie alles auf dein Erdenrund vorübergehend, aber, da
wir nnr Augenblicke da sind, wenigstens für unsere Zeit etwas Beruhigendes zu haben
scheint/' „Ich glaube, daß das alte Formenwesen seine Unhaltbarkeit bewiesen hat,
oder daß wir die Entwickelung dessen, was sein soll, noch nicht sehen ... daß in dem
Gewesenen so gar kein Geist mehr sei, das hatte ich nicht gedacht, bis wir es sehn
mußten," Er findet in der jejzigcn Lage sür Deutschland die Aussicht auf Einheit (im
Königreich Westphalen!) und auf eine Seele Verfassung (im Rheinbund!) — An Hammer
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[0461] 19. Juli 1807. „auch Sie wollen uns verlassen? Sie dürfen es jetzt am wenig¬ sten, das Gemüth eines Müller würde es nicht ertragen, wenn es hieße, er hat seinen König, seinen Staat, der ihn mit Liebe und Innigkeit pflegte, in der Noth verlassen. Hat mein Freund darüber nachgedacht, welchen Eindruck dieser Schritt für ihn und den Staat machen muß? . . Besonders konnte die Königin gar nicht ergründen, was die Ursache dieses Entschlusses sein möchte, und ich vermochte ihr keine anzugeben. Die Reduction der Staatsausgaben? Das darf ich doch wol meinem Freunde, ohne seine Bescheidenheit zu be¬ leidigen, sagen, daß die seinige wol die ist, die dem Staat am wenigsten lästig sein würde." — 26. August: „Vor allen Dingen bitte ich Sie zu be¬ denken. daß Sie eben durch Ihr Weggehen denen, die Ihnen etwa übel wollten, die stärksten Waffen und denen, die noch unentschieden oder irre ge¬ leitet wären, die Ueberzeugung erst in die Hände geben würden, daß der Verdacht doch gegründet sei. Und wie schmerzlich dies Ihren wahren Freun¬ den nicht nur in Absicht Ihrer, sondern auch der guten Sache der Gelehr¬ samkeit überhaupt sein müßte, da dieselbe in Ihrer Person wirklich zuerst anerkannt und rein für sich belohnt worden ist, und also durch einen solchen Schritt einen ihrer ersten Repräsentanten nothwendig verlieren würde, brauche ich nicht erst hinzuzufügen . . Noch liegt die Sache in Ihren Handen; Ihre Schreiben sind verloren gegangen, wie so vieles in der letzten Zeit; schreiben Sie nicht wieder, und die Sache ist so gut wie nicht geschehn." — Müller war gerührt, aber er konnte zu keinem Entschluß kommen, er wollte eine äußerliche Bestimmung. Sein wir gerecht gegen ihn: er selber spricht zwar hauptsächlich von seiner Besorgnis; vor einer Reduction seines Gehalts, aber nicht das lag ihm am Herzen: er fühlte die Unsicherheit seiner Stellung, er fühlte die Geringschätzung der Patrioten und er bedürfte, um zu bleiben, einer Ehrenerklärung von Seiten des Königs. So schrieb er zum dritten Mal nach Memel. 5. September; die Folge war seine Entlassung in kurzen und trocknen Worten, die er am 5. October erhielt. F-oz s'xriXi-dro ^?vo^ setzt er hinzu. *) ") An Perthes. II, Juli 1807: „Gewöhnt seit langem nicht mehr das Größte, Höchste zu erwarten, finde ich mich durch das mildere Gestirn, das hervorzugelm scheint, angenehm überrascht. Es ist der Menschheit viel werth, daß die Kaiser (Napoleon und Alexander) sich gesehen haben; des Nordens langer Friede und ein frohes Emporblühen der Künste desselben kann die Folge sein. Indeß können schönere, bessere Länder der Cultur wiedergegeben wer¬ den. Eine Erscheinung, welche wie alles auf dein Erdenrund vorübergehend, aber, da wir nnr Augenblicke da sind, wenigstens für unsere Zeit etwas Beruhigendes zu haben scheint/' „Ich glaube, daß das alte Formenwesen seine Unhaltbarkeit bewiesen hat, oder daß wir die Entwickelung dessen, was sein soll, noch nicht sehen ... daß in dem Gewesenen so gar kein Geist mehr sei, das hatte ich nicht gedacht, bis wir es sehn mußten," Er findet in der jejzigcn Lage sür Deutschland die Aussicht auf Einheit (im Königreich Westphalen!) und auf eine Seele Verfassung (im Rheinbund!) — An Hammer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/461>, abgerufen am 22.12.2024.