Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bist du reicher als ich? Gut, iß zweimal zu Mittag und zweimal zu Abend,
Mir ist mein gutes Gewissen mehr werth als alles Geld, Kann ein Mensch
sagen, daß er mit einer Forderung zweimal hat zu mir kommen müssen? Ich
habe vierzig Jahr als Sklav gedient, aber niemand hat gewußt, ob ich ein
Sklav oder Freier war. Ich kam als ein kleiner Lockenkopf hierher, damals
war die Basilika noch nicht gebaut. Ich ließ es mir angelegen sein, die
Zufriedenheit meines Herrn zu verdienen, das war ein Ehrenmann und sein
kleiner Finger mehr werth als du ganz und gar bist." Ein neues Gelächter
bringt ihn abermals in Harnisch. "Ich habe freilich nicht die Gcvmetrieen
und Originen und nommer gelernt. Aber ich kenne die großen Buchstaben
auf den Steinen. Ich kann mit Münze, Maß und Gewicht in Brüchen rech¬
nen. Willst du eine Wette machen, wer mehr versteht, dann sollst du bald
sehen, das; dein Bater sein Geld umsonst ausgegeben hat. Uebrigens weiß
ich auch Rhetorik. Ich will dir sagen, wer von uns läuft und doch nicht
von der Stelle kommt, wer von uns wächst und doch kleiner wird. Sich,
wie du das Maul aufsperrst und schwitzest, wie eine Maus im Nachttopf.
Also entweder halte das Maul oder laß bessere Leute in Nuhe. die dich sür
gar nichts ästimiren, falls du uicht etwa glaubst, daß ich mich um die gelben
Reisen da*) kümmere, die du deinem Liebchen gestohlen hast. Laß uns auf
den Markt gehen und Geld borgen- dann sollst du sehen, daß dies Eisen
auch Credit hat."

Nach diesen Reden, aus denen man die Interessen und den Bildungs¬
grad der mittlern Klasse in der italischen Handelsstadt kennen lernt, macht
uns der Dichter mit ihren Ansichten von übernatürlichen Dingen bekannt.
Trimalchio fordert einen Gast auf. etwas zu erzählen. Dieser beginnt mit
der Bemerkung, daß er freilich fürchten müsse, von den studirten Herrn aus¬
gelacht zu werden- "indessen was verliere ich dadurch, daß man über mich
lacht." Er hat einmal ein zärtliches Verhältniß mit einer Gastwirthin auf
dem Lande gehabt; als deren Mann starb, machte er sich in einer schönen
Mondnacht in Begleitung eines Soldaten auf. Sie kommen auf die Land¬
straße unter die Gräber idie sich zu beiden Seiten der Heerwege befanden).
Der Soldat geht bei Seit, zieht sich aus und legt seine Kleider auf den
Boden, läßt dann im Kreise umher sein Wasser und verwandelt sich in einen
Wolf, sängt an zu heulen und läuft in den Wald. Der Erzähler will die
Kleider aufheben, sie sind zu Stein geworden. Mit gezogenem Schwert nach
den schwärmenden Nachtgespenstern hauend, kommt er endlich bei seiner Freun¬
din an. Diese bedauert, daß er nicht früher erschienen sei; ein Wolf ist in
die Herde eingebrochen und hat, viele Schafe getödtet. indessen ein Knecht hat



") Die goldnen Ringe, die nur Freigeborne tragen durften, denen "r dann seine eisernen
entgegensetzt.
52 *

Bist du reicher als ich? Gut, iß zweimal zu Mittag und zweimal zu Abend,
Mir ist mein gutes Gewissen mehr werth als alles Geld, Kann ein Mensch
sagen, daß er mit einer Forderung zweimal hat zu mir kommen müssen? Ich
habe vierzig Jahr als Sklav gedient, aber niemand hat gewußt, ob ich ein
Sklav oder Freier war. Ich kam als ein kleiner Lockenkopf hierher, damals
war die Basilika noch nicht gebaut. Ich ließ es mir angelegen sein, die
Zufriedenheit meines Herrn zu verdienen, das war ein Ehrenmann und sein
kleiner Finger mehr werth als du ganz und gar bist." Ein neues Gelächter
bringt ihn abermals in Harnisch. „Ich habe freilich nicht die Gcvmetrieen
und Originen und nommer gelernt. Aber ich kenne die großen Buchstaben
auf den Steinen. Ich kann mit Münze, Maß und Gewicht in Brüchen rech¬
nen. Willst du eine Wette machen, wer mehr versteht, dann sollst du bald
sehen, das; dein Bater sein Geld umsonst ausgegeben hat. Uebrigens weiß
ich auch Rhetorik. Ich will dir sagen, wer von uns läuft und doch nicht
von der Stelle kommt, wer von uns wächst und doch kleiner wird. Sich,
wie du das Maul aufsperrst und schwitzest, wie eine Maus im Nachttopf.
Also entweder halte das Maul oder laß bessere Leute in Nuhe. die dich sür
gar nichts ästimiren, falls du uicht etwa glaubst, daß ich mich um die gelben
Reisen da*) kümmere, die du deinem Liebchen gestohlen hast. Laß uns auf
den Markt gehen und Geld borgen- dann sollst du sehen, daß dies Eisen
auch Credit hat."

Nach diesen Reden, aus denen man die Interessen und den Bildungs¬
grad der mittlern Klasse in der italischen Handelsstadt kennen lernt, macht
uns der Dichter mit ihren Ansichten von übernatürlichen Dingen bekannt.
Trimalchio fordert einen Gast auf. etwas zu erzählen. Dieser beginnt mit
der Bemerkung, daß er freilich fürchten müsse, von den studirten Herrn aus¬
gelacht zu werden- „indessen was verliere ich dadurch, daß man über mich
lacht." Er hat einmal ein zärtliches Verhältniß mit einer Gastwirthin auf
dem Lande gehabt; als deren Mann starb, machte er sich in einer schönen
Mondnacht in Begleitung eines Soldaten auf. Sie kommen auf die Land¬
straße unter die Gräber idie sich zu beiden Seiten der Heerwege befanden).
Der Soldat geht bei Seit, zieht sich aus und legt seine Kleider auf den
Boden, läßt dann im Kreise umher sein Wasser und verwandelt sich in einen
Wolf, sängt an zu heulen und läuft in den Wald. Der Erzähler will die
Kleider aufheben, sie sind zu Stein geworden. Mit gezogenem Schwert nach
den schwärmenden Nachtgespenstern hauend, kommt er endlich bei seiner Freun¬
din an. Diese bedauert, daß er nicht früher erschienen sei; ein Wolf ist in
die Herde eingebrochen und hat, viele Schafe getödtet. indessen ein Knecht hat



") Die goldnen Ringe, die nur Freigeborne tragen durften, denen «r dann seine eisernen
entgegensetzt.
52 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186832"/>
              <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> Bist du reicher als ich? Gut, iß zweimal zu Mittag und zweimal zu Abend,<lb/>
Mir ist mein gutes Gewissen mehr werth als alles Geld, Kann ein Mensch<lb/>
sagen, daß er mit einer Forderung zweimal hat zu mir kommen müssen? Ich<lb/>
habe vierzig Jahr als Sklav gedient, aber niemand hat gewußt, ob ich ein<lb/>
Sklav oder Freier war. Ich kam als ein kleiner Lockenkopf hierher, damals<lb/>
war die Basilika noch nicht gebaut. Ich ließ es mir angelegen sein, die<lb/>
Zufriedenheit meines Herrn zu verdienen, das war ein Ehrenmann und sein<lb/>
kleiner Finger mehr werth als du ganz und gar bist." Ein neues Gelächter<lb/>
bringt ihn abermals in Harnisch. &#x201E;Ich habe freilich nicht die Gcvmetrieen<lb/>
und Originen und nommer gelernt. Aber ich kenne die großen Buchstaben<lb/>
auf den Steinen. Ich kann mit Münze, Maß und Gewicht in Brüchen rech¬<lb/>
nen. Willst du eine Wette machen, wer mehr versteht, dann sollst du bald<lb/>
sehen, das; dein Bater sein Geld umsonst ausgegeben hat. Uebrigens weiß<lb/>
ich auch Rhetorik. Ich will dir sagen, wer von uns läuft und doch nicht<lb/>
von der Stelle kommt, wer von uns wächst und doch kleiner wird. Sich,<lb/>
wie du das Maul aufsperrst und schwitzest, wie eine Maus im Nachttopf.<lb/>
Also entweder halte das Maul oder laß bessere Leute in Nuhe. die dich sür<lb/>
gar nichts ästimiren, falls du uicht etwa glaubst, daß ich mich um die gelben<lb/>
Reisen da*) kümmere, die du deinem Liebchen gestohlen hast. Laß uns auf<lb/>
den Markt gehen und Geld borgen- dann sollst du sehen, daß dies Eisen<lb/>
auch Credit hat."</p><lb/>
              <p xml:id="ID_953" next="#ID_954"> Nach diesen Reden, aus denen man die Interessen und den Bildungs¬<lb/>
grad der mittlern Klasse in der italischen Handelsstadt kennen lernt, macht<lb/>
uns der Dichter mit ihren Ansichten von übernatürlichen Dingen bekannt.<lb/>
Trimalchio fordert einen Gast auf. etwas zu erzählen. Dieser beginnt mit<lb/>
der Bemerkung, daß er freilich fürchten müsse, von den studirten Herrn aus¬<lb/>
gelacht zu werden- &#x201E;indessen was verliere ich dadurch, daß man über mich<lb/>
lacht." Er hat einmal ein zärtliches Verhältniß mit einer Gastwirthin auf<lb/>
dem Lande gehabt; als deren Mann starb, machte er sich in einer schönen<lb/>
Mondnacht in Begleitung eines Soldaten auf. Sie kommen auf die Land¬<lb/>
straße unter die Gräber idie sich zu beiden Seiten der Heerwege befanden).<lb/>
Der Soldat geht bei Seit, zieht sich aus und legt seine Kleider auf den<lb/>
Boden, läßt dann im Kreise umher sein Wasser und verwandelt sich in einen<lb/>
Wolf, sängt an zu heulen und läuft in den Wald. Der Erzähler will die<lb/>
Kleider aufheben, sie sind zu Stein geworden. Mit gezogenem Schwert nach<lb/>
den schwärmenden Nachtgespenstern hauend, kommt er endlich bei seiner Freun¬<lb/>
din an. Diese bedauert, daß er nicht früher erschienen sei; ein Wolf ist in<lb/>
die Herde eingebrochen und hat, viele Schafe getödtet. indessen ein Knecht hat</p><lb/>
              <note xml:id="FID_94" place="foot"> ") Die goldnen Ringe, die nur Freigeborne tragen durften, denen «r dann seine eisernen<lb/>
entgegensetzt.</note><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> 52 *</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Bist du reicher als ich? Gut, iß zweimal zu Mittag und zweimal zu Abend, Mir ist mein gutes Gewissen mehr werth als alles Geld, Kann ein Mensch sagen, daß er mit einer Forderung zweimal hat zu mir kommen müssen? Ich habe vierzig Jahr als Sklav gedient, aber niemand hat gewußt, ob ich ein Sklav oder Freier war. Ich kam als ein kleiner Lockenkopf hierher, damals war die Basilika noch nicht gebaut. Ich ließ es mir angelegen sein, die Zufriedenheit meines Herrn zu verdienen, das war ein Ehrenmann und sein kleiner Finger mehr werth als du ganz und gar bist." Ein neues Gelächter bringt ihn abermals in Harnisch. „Ich habe freilich nicht die Gcvmetrieen und Originen und nommer gelernt. Aber ich kenne die großen Buchstaben auf den Steinen. Ich kann mit Münze, Maß und Gewicht in Brüchen rech¬ nen. Willst du eine Wette machen, wer mehr versteht, dann sollst du bald sehen, das; dein Bater sein Geld umsonst ausgegeben hat. Uebrigens weiß ich auch Rhetorik. Ich will dir sagen, wer von uns läuft und doch nicht von der Stelle kommt, wer von uns wächst und doch kleiner wird. Sich, wie du das Maul aufsperrst und schwitzest, wie eine Maus im Nachttopf. Also entweder halte das Maul oder laß bessere Leute in Nuhe. die dich sür gar nichts ästimiren, falls du uicht etwa glaubst, daß ich mich um die gelben Reisen da*) kümmere, die du deinem Liebchen gestohlen hast. Laß uns auf den Markt gehen und Geld borgen- dann sollst du sehen, daß dies Eisen auch Credit hat." Nach diesen Reden, aus denen man die Interessen und den Bildungs¬ grad der mittlern Klasse in der italischen Handelsstadt kennen lernt, macht uns der Dichter mit ihren Ansichten von übernatürlichen Dingen bekannt. Trimalchio fordert einen Gast auf. etwas zu erzählen. Dieser beginnt mit der Bemerkung, daß er freilich fürchten müsse, von den studirten Herrn aus¬ gelacht zu werden- „indessen was verliere ich dadurch, daß man über mich lacht." Er hat einmal ein zärtliches Verhältniß mit einer Gastwirthin auf dem Lande gehabt; als deren Mann starb, machte er sich in einer schönen Mondnacht in Begleitung eines Soldaten auf. Sie kommen auf die Land¬ straße unter die Gräber idie sich zu beiden Seiten der Heerwege befanden). Der Soldat geht bei Seit, zieht sich aus und legt seine Kleider auf den Boden, läßt dann im Kreise umher sein Wasser und verwandelt sich in einen Wolf, sängt an zu heulen und läuft in den Wald. Der Erzähler will die Kleider aufheben, sie sind zu Stein geworden. Mit gezogenem Schwert nach den schwärmenden Nachtgespenstern hauend, kommt er endlich bei seiner Freun¬ din an. Diese bedauert, daß er nicht früher erschienen sei; ein Wolf ist in die Herde eingebrochen und hat, viele Schafe getödtet. indessen ein Knecht hat ") Die goldnen Ringe, die nur Freigeborne tragen durften, denen «r dann seine eisernen entgegensetzt. 52 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/419>, abgerufen am 22.12.2024.