Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.Civil- und Criminalgerichtsbarkeit kommen vor Kollegien, die bei den Unter¬ Das französische System war zwar bei der Reform des preußischen zum Civil- und Criminalgerichtsbarkeit kommen vor Kollegien, die bei den Unter¬ Das französische System war zwar bei der Reform des preußischen zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186706"/> <p xml:id="ID_675" prev="#ID_674"> Civil- und Criminalgerichtsbarkeit kommen vor Kollegien, die bei den Unter¬<lb/> gerichten in der Regel aus drei Richtern, und nur bei den Assisen, welche<lb/> häusig für mehr als einen Kreis competent sind, aus fünf Richtern bestehen,<lb/> lieber diesen Untergerichten stehen 21 Obergerichte, welche die Appcllations-<lb/> und Recursinstanz und die vorgesetzte Aufsichtsbehörde für die Kreis- und<lb/> Stadtgerichte ihres Sprengels bilden und für Lehrs- und Fideicommißsachen<lb/> die erste Instanz sind. Den Schlußstein dieses Rechtsgebäudes und seit dem<lb/> 3. Januar 1852, wo der rheinische Cassationshof damit vereinigt wurde, die<lb/> letzte Instanz sür die gesammte Monarchie bildet das Obertribunal, durch<lb/> welches nun die nach französischem Muster organisirte Gerichtsverfassung<lb/> der Rheinprovinz mit der des übrigen Theils der Monarchie zusammen¬<lb/> hängt.</p><lb/> <p xml:id="ID_676" next="#ID_677"> Das französische System war zwar bei der Reform des preußischen zum<lb/> Theil als Borbild benutzt worden, hat aber doch so viele Eigenthümlichkeiten,<lb/> daß wir etwas näher darauf eingehen müssen. Alle Sachen gehören dort<lb/> bei 10 Thlr. Strafe zuerst vor den Friedensrichter, welcher versuchen muß,<lb/> einen Vergleich zu Stande zu bringen, und sür kleine- und schleunige Sachen,<lb/> für geringfügige Crinnnalvergehen zugleich die erste Instanz ist. Für größere<lb/> Sachen sind dies collegialisch besetzte Landgerichte, über denen in zweiter Instanz<lb/> die Appclhöfe und endlich als oberster Regulator des gesammten Justizwesens<lb/> der Cassationshof steht, welcher nur die Befugniß hat, Urtheile wegen bestimm^<lb/> ter Mängel zu vernichten, ohne selbst materielles Recht zu sprechen. Viel wich¬<lb/> tiger als diese Unterschiede, welche im Ganzen nicht so groß und für die Rhein-<lb/> Provinz noch modificirt sind, ist es dagegen, daß die französischen Gerichte<lb/> völlig von den Verwaltungsgeschäften befreit sind, welche bis heute einen<lb/> überwiegenden Theil der Thätigkeit preußischer Richter in Anspruch nehmen<lb/> und. wie die Aeußerungen des Regierungscommissars in der Commission für<lb/> Justizsachen vor einigen Wochen vermuthen ließen, ferner in Anspruch nehmen<lb/> werden. Die freiwillige Gerichtsbarkeit besorgen dort die Notare, die Vor-<lb/> muudschaftsfachen ein Familienrath in Verbindung mit dem Friedensrichter,<lb/> der Schriftwechsel der Parteien bis zur Festsetzung und Klarmachung des<lb/> Streitpunkts geschieht in gesetzlich bestimmten Fristen durch die Anwälte der<lb/> Parteien unter Vermittlung der Unterbeamten des Gerichts. Die Staats¬<lb/> anwaltschaft, welche wir nur für den Criminal- und Ehescheidungsproceß erhalten<lb/> haben, ist im französischen System ebenso für den Civilproceß eingeführt und<lb/> vertritt in einer den drei Stufen der Gerichte entsprechenden Gliederung, jedoch<lb/> aus absetzbaren Beamten unter dem unmittelbaren Einflüsse des Ministeriums<lb/> bestehend, das öffentliche Interesse d. h. die Ansichten der herrschenden Partei<lb/> über das öffentliche Interesse. Mit diesen Abweichungen des französischen<lb/> Systems, welche, wie gesagt, in der Rheinprovinz noch gemildert sind, haben</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Civil- und Criminalgerichtsbarkeit kommen vor Kollegien, die bei den Unter¬
gerichten in der Regel aus drei Richtern, und nur bei den Assisen, welche
häusig für mehr als einen Kreis competent sind, aus fünf Richtern bestehen,
lieber diesen Untergerichten stehen 21 Obergerichte, welche die Appcllations-
und Recursinstanz und die vorgesetzte Aufsichtsbehörde für die Kreis- und
Stadtgerichte ihres Sprengels bilden und für Lehrs- und Fideicommißsachen
die erste Instanz sind. Den Schlußstein dieses Rechtsgebäudes und seit dem
3. Januar 1852, wo der rheinische Cassationshof damit vereinigt wurde, die
letzte Instanz sür die gesammte Monarchie bildet das Obertribunal, durch
welches nun die nach französischem Muster organisirte Gerichtsverfassung
der Rheinprovinz mit der des übrigen Theils der Monarchie zusammen¬
hängt.
Das französische System war zwar bei der Reform des preußischen zum
Theil als Borbild benutzt worden, hat aber doch so viele Eigenthümlichkeiten,
daß wir etwas näher darauf eingehen müssen. Alle Sachen gehören dort
bei 10 Thlr. Strafe zuerst vor den Friedensrichter, welcher versuchen muß,
einen Vergleich zu Stande zu bringen, und sür kleine- und schleunige Sachen,
für geringfügige Crinnnalvergehen zugleich die erste Instanz ist. Für größere
Sachen sind dies collegialisch besetzte Landgerichte, über denen in zweiter Instanz
die Appclhöfe und endlich als oberster Regulator des gesammten Justizwesens
der Cassationshof steht, welcher nur die Befugniß hat, Urtheile wegen bestimm^
ter Mängel zu vernichten, ohne selbst materielles Recht zu sprechen. Viel wich¬
tiger als diese Unterschiede, welche im Ganzen nicht so groß und für die Rhein-
Provinz noch modificirt sind, ist es dagegen, daß die französischen Gerichte
völlig von den Verwaltungsgeschäften befreit sind, welche bis heute einen
überwiegenden Theil der Thätigkeit preußischer Richter in Anspruch nehmen
und. wie die Aeußerungen des Regierungscommissars in der Commission für
Justizsachen vor einigen Wochen vermuthen ließen, ferner in Anspruch nehmen
werden. Die freiwillige Gerichtsbarkeit besorgen dort die Notare, die Vor-
muudschaftsfachen ein Familienrath in Verbindung mit dem Friedensrichter,
der Schriftwechsel der Parteien bis zur Festsetzung und Klarmachung des
Streitpunkts geschieht in gesetzlich bestimmten Fristen durch die Anwälte der
Parteien unter Vermittlung der Unterbeamten des Gerichts. Die Staats¬
anwaltschaft, welche wir nur für den Criminal- und Ehescheidungsproceß erhalten
haben, ist im französischen System ebenso für den Civilproceß eingeführt und
vertritt in einer den drei Stufen der Gerichte entsprechenden Gliederung, jedoch
aus absetzbaren Beamten unter dem unmittelbaren Einflüsse des Ministeriums
bestehend, das öffentliche Interesse d. h. die Ansichten der herrschenden Partei
über das öffentliche Interesse. Mit diesen Abweichungen des französischen
Systems, welche, wie gesagt, in der Rheinprovinz noch gemildert sind, haben
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |