Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

landsässigen Gerichtsherrn bei den landesherrlichen Gerichten. Ebenso natür¬
lich war es, daß die Fürsten ihren Staatsdienern und Offizieren nicht vor
Unterthanen, sondern vor ihren eignen Gerichten Recht sprechen ließen. Nach¬
dem aber das Recht, wonach gesprochen wurde, materiell und formell ein
gemeines Landesrecht geworden war, nachdem die Pntrimonialrichter nicht nur
alle Bedingungen der königlichen Richter erfüllen mußten, sondern wie in
Preußen seit 1808 sämmtliche städtische Gerichte aus patrimonialen zu könig¬
lichen geworden waren, über denen die alten Oberlandesgerichte standen,
gab es keinen zureichenden Grund mehr, die Beamten, Offiziere und Ritter¬
gutsbesitzer in der bisherigen Weise zu eximiren, dadurch die Rechtsgleichheit
zu stören und die Verfolgung von Ansprüchen gegen eximirte Personen durch
die oft 20 bis 3" Meilen betragende Entfernung der Obergerichte erheblich
zu erschweren.

So lange diese Hindernisse bestanden, war an eine durchgreifende Ver¬
besserung des Gerichtswesens nicht zu denken, denn diese setzte zunächst voraus,
daß alle Kreisinsassen vor dasselbe Gericht gestellt werden können, und daß
dieses Gericht dann durch eine collegialiscke Besetzung, welche gewisser¬
maßen das altdeutsche Schöffenthum ersetzte, die Garantie für eine gründliche
und solide Rechtsübung biete, welche Einzelrichtcr aus persönlichen und sach¬
lichen Gründen viel weniger gewähren. Vor 1849 aber waren von 500
königlichen Untcrgerichten etwa ein Drittheil, von 0500 Patrimonialgerichten
nur 14 collegialisch besetzt. Seit der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit,
des eximirten Gerichtsstandes und andrer weniger hinderlicher Einrichtungen,
wie der Berggcrichte und geistlichen Gerichte, find die Grundzüge der preußischen
Gerichtsverfassung folgende:

Auf einen Bezirk von 40,000 bis 70,000 Einwohner kommt ein Unter¬
gericht, das mindestens mit sechs, ausnahmsweise mit fünf Richtern einschließlich
des Vorsitzenden besetzt sein und in der Kreisstadt, wenn 2 landräthliche
Kreise zu einem Gerichtsbezirk vereinigt sind, in der am günstigsten gelegnen
seinen Sitz haben soll. In den Städten mit mehr als 50,000 Einwohnern
wurden daneben die Stadtgerichte beibehalten, so daß wir 238 Kreisgerichte
und 5 Stadtgerichte zahlen, außer denen dann, wo das Bedürfniß es
erfordert, noch Einzelrichtcr und ständige Deputationen an größern oder ent¬
legnen Orten innerhalb des Kreises eingerichtet sind. Jedes dieser Gerichte
zerfällt in 2 Abtheilungen; die erste für die streitige Civil- und Criminal-
gerichtsbarkeit, einschließlich der Credit- und Subhastationssachen; die zweite
für alle übrigen Geschäfte, namentlich also für Vormundschafts- und Hypo¬
thekenwesen. Für Voruntersuchungen, Uebertretungen, Injurieu, und die so¬
genannten Bagatellsachen d. h. Civilprocesse, deren Object nicht über 50 Thlr.
Werth hat. fungiren Einzelrichter, alle übrigen Gegenstände der streitigen


landsässigen Gerichtsherrn bei den landesherrlichen Gerichten. Ebenso natür¬
lich war es, daß die Fürsten ihren Staatsdienern und Offizieren nicht vor
Unterthanen, sondern vor ihren eignen Gerichten Recht sprechen ließen. Nach¬
dem aber das Recht, wonach gesprochen wurde, materiell und formell ein
gemeines Landesrecht geworden war, nachdem die Pntrimonialrichter nicht nur
alle Bedingungen der königlichen Richter erfüllen mußten, sondern wie in
Preußen seit 1808 sämmtliche städtische Gerichte aus patrimonialen zu könig¬
lichen geworden waren, über denen die alten Oberlandesgerichte standen,
gab es keinen zureichenden Grund mehr, die Beamten, Offiziere und Ritter¬
gutsbesitzer in der bisherigen Weise zu eximiren, dadurch die Rechtsgleichheit
zu stören und die Verfolgung von Ansprüchen gegen eximirte Personen durch
die oft 20 bis 3» Meilen betragende Entfernung der Obergerichte erheblich
zu erschweren.

So lange diese Hindernisse bestanden, war an eine durchgreifende Ver¬
besserung des Gerichtswesens nicht zu denken, denn diese setzte zunächst voraus,
daß alle Kreisinsassen vor dasselbe Gericht gestellt werden können, und daß
dieses Gericht dann durch eine collegialiscke Besetzung, welche gewisser¬
maßen das altdeutsche Schöffenthum ersetzte, die Garantie für eine gründliche
und solide Rechtsübung biete, welche Einzelrichtcr aus persönlichen und sach¬
lichen Gründen viel weniger gewähren. Vor 1849 aber waren von 500
königlichen Untcrgerichten etwa ein Drittheil, von 0500 Patrimonialgerichten
nur 14 collegialisch besetzt. Seit der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit,
des eximirten Gerichtsstandes und andrer weniger hinderlicher Einrichtungen,
wie der Berggcrichte und geistlichen Gerichte, find die Grundzüge der preußischen
Gerichtsverfassung folgende:

Auf einen Bezirk von 40,000 bis 70,000 Einwohner kommt ein Unter¬
gericht, das mindestens mit sechs, ausnahmsweise mit fünf Richtern einschließlich
des Vorsitzenden besetzt sein und in der Kreisstadt, wenn 2 landräthliche
Kreise zu einem Gerichtsbezirk vereinigt sind, in der am günstigsten gelegnen
seinen Sitz haben soll. In den Städten mit mehr als 50,000 Einwohnern
wurden daneben die Stadtgerichte beibehalten, so daß wir 238 Kreisgerichte
und 5 Stadtgerichte zahlen, außer denen dann, wo das Bedürfniß es
erfordert, noch Einzelrichtcr und ständige Deputationen an größern oder ent¬
legnen Orten innerhalb des Kreises eingerichtet sind. Jedes dieser Gerichte
zerfällt in 2 Abtheilungen; die erste für die streitige Civil- und Criminal-
gerichtsbarkeit, einschließlich der Credit- und Subhastationssachen; die zweite
für alle übrigen Geschäfte, namentlich also für Vormundschafts- und Hypo¬
thekenwesen. Für Voruntersuchungen, Uebertretungen, Injurieu, und die so¬
genannten Bagatellsachen d. h. Civilprocesse, deren Object nicht über 50 Thlr.
Werth hat. fungiren Einzelrichter, alle übrigen Gegenstände der streitigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186705"/>
            <p xml:id="ID_672" prev="#ID_671"> landsässigen Gerichtsherrn bei den landesherrlichen Gerichten. Ebenso natür¬<lb/>
lich war es, daß die Fürsten ihren Staatsdienern und Offizieren nicht vor<lb/>
Unterthanen, sondern vor ihren eignen Gerichten Recht sprechen ließen. Nach¬<lb/>
dem aber das Recht, wonach gesprochen wurde, materiell und formell ein<lb/>
gemeines Landesrecht geworden war, nachdem die Pntrimonialrichter nicht nur<lb/>
alle Bedingungen der königlichen Richter erfüllen mußten, sondern wie in<lb/>
Preußen seit 1808 sämmtliche städtische Gerichte aus patrimonialen zu könig¬<lb/>
lichen geworden waren, über denen die alten Oberlandesgerichte standen,<lb/>
gab es keinen zureichenden Grund mehr, die Beamten, Offiziere und Ritter¬<lb/>
gutsbesitzer in der bisherigen Weise zu eximiren, dadurch die Rechtsgleichheit<lb/>
zu stören und die Verfolgung von Ansprüchen gegen eximirte Personen durch<lb/>
die oft 20 bis 3» Meilen betragende Entfernung der Obergerichte erheblich<lb/>
zu erschweren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_673"> So lange diese Hindernisse bestanden, war an eine durchgreifende Ver¬<lb/>
besserung des Gerichtswesens nicht zu denken, denn diese setzte zunächst voraus,<lb/>
daß alle Kreisinsassen vor dasselbe Gericht gestellt werden können, und daß<lb/>
dieses Gericht dann durch eine collegialiscke Besetzung, welche gewisser¬<lb/>
maßen das altdeutsche Schöffenthum ersetzte, die Garantie für eine gründliche<lb/>
und solide Rechtsübung biete, welche Einzelrichtcr aus persönlichen und sach¬<lb/>
lichen Gründen viel weniger gewähren. Vor 1849 aber waren von 500<lb/>
königlichen Untcrgerichten etwa ein Drittheil, von 0500 Patrimonialgerichten<lb/>
nur 14 collegialisch besetzt. Seit der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit,<lb/>
des eximirten Gerichtsstandes und andrer weniger hinderlicher Einrichtungen,<lb/>
wie der Berggcrichte und geistlichen Gerichte, find die Grundzüge der preußischen<lb/>
Gerichtsverfassung folgende:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_674" next="#ID_675"> Auf einen Bezirk von 40,000 bis 70,000 Einwohner kommt ein Unter¬<lb/>
gericht, das mindestens mit sechs, ausnahmsweise mit fünf Richtern einschließlich<lb/>
des Vorsitzenden besetzt sein und in der Kreisstadt, wenn 2 landräthliche<lb/>
Kreise zu einem Gerichtsbezirk vereinigt sind, in der am günstigsten gelegnen<lb/>
seinen Sitz haben soll. In den Städten mit mehr als 50,000 Einwohnern<lb/>
wurden daneben die Stadtgerichte beibehalten, so daß wir 238 Kreisgerichte<lb/>
und 5 Stadtgerichte zahlen, außer denen dann, wo das Bedürfniß es<lb/>
erfordert, noch Einzelrichtcr und ständige Deputationen an größern oder ent¬<lb/>
legnen Orten innerhalb des Kreises eingerichtet sind. Jedes dieser Gerichte<lb/>
zerfällt in 2 Abtheilungen; die erste für die streitige Civil- und Criminal-<lb/>
gerichtsbarkeit, einschließlich der Credit- und Subhastationssachen; die zweite<lb/>
für alle übrigen Geschäfte, namentlich also für Vormundschafts- und Hypo¬<lb/>
thekenwesen. Für Voruntersuchungen, Uebertretungen, Injurieu, und die so¬<lb/>
genannten Bagatellsachen d. h. Civilprocesse, deren Object nicht über 50 Thlr.<lb/>
Werth hat. fungiren Einzelrichter, alle übrigen Gegenstände der streitigen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] landsässigen Gerichtsherrn bei den landesherrlichen Gerichten. Ebenso natür¬ lich war es, daß die Fürsten ihren Staatsdienern und Offizieren nicht vor Unterthanen, sondern vor ihren eignen Gerichten Recht sprechen ließen. Nach¬ dem aber das Recht, wonach gesprochen wurde, materiell und formell ein gemeines Landesrecht geworden war, nachdem die Pntrimonialrichter nicht nur alle Bedingungen der königlichen Richter erfüllen mußten, sondern wie in Preußen seit 1808 sämmtliche städtische Gerichte aus patrimonialen zu könig¬ lichen geworden waren, über denen die alten Oberlandesgerichte standen, gab es keinen zureichenden Grund mehr, die Beamten, Offiziere und Ritter¬ gutsbesitzer in der bisherigen Weise zu eximiren, dadurch die Rechtsgleichheit zu stören und die Verfolgung von Ansprüchen gegen eximirte Personen durch die oft 20 bis 3» Meilen betragende Entfernung der Obergerichte erheblich zu erschweren. So lange diese Hindernisse bestanden, war an eine durchgreifende Ver¬ besserung des Gerichtswesens nicht zu denken, denn diese setzte zunächst voraus, daß alle Kreisinsassen vor dasselbe Gericht gestellt werden können, und daß dieses Gericht dann durch eine collegialiscke Besetzung, welche gewisser¬ maßen das altdeutsche Schöffenthum ersetzte, die Garantie für eine gründliche und solide Rechtsübung biete, welche Einzelrichtcr aus persönlichen und sach¬ lichen Gründen viel weniger gewähren. Vor 1849 aber waren von 500 königlichen Untcrgerichten etwa ein Drittheil, von 0500 Patrimonialgerichten nur 14 collegialisch besetzt. Seit der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, des eximirten Gerichtsstandes und andrer weniger hinderlicher Einrichtungen, wie der Berggcrichte und geistlichen Gerichte, find die Grundzüge der preußischen Gerichtsverfassung folgende: Auf einen Bezirk von 40,000 bis 70,000 Einwohner kommt ein Unter¬ gericht, das mindestens mit sechs, ausnahmsweise mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt sein und in der Kreisstadt, wenn 2 landräthliche Kreise zu einem Gerichtsbezirk vereinigt sind, in der am günstigsten gelegnen seinen Sitz haben soll. In den Städten mit mehr als 50,000 Einwohnern wurden daneben die Stadtgerichte beibehalten, so daß wir 238 Kreisgerichte und 5 Stadtgerichte zahlen, außer denen dann, wo das Bedürfniß es erfordert, noch Einzelrichtcr und ständige Deputationen an größern oder ent¬ legnen Orten innerhalb des Kreises eingerichtet sind. Jedes dieser Gerichte zerfällt in 2 Abtheilungen; die erste für die streitige Civil- und Criminal- gerichtsbarkeit, einschließlich der Credit- und Subhastationssachen; die zweite für alle übrigen Geschäfte, namentlich also für Vormundschafts- und Hypo¬ thekenwesen. Für Voruntersuchungen, Uebertretungen, Injurieu, und die so¬ genannten Bagatellsachen d. h. Civilprocesse, deren Object nicht über 50 Thlr. Werth hat. fungiren Einzelrichter, alle übrigen Gegenstände der streitigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/293>, abgerufen am 30.12.2024.