Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.wir seit 184" eine gleichmäßig durchgeführte Gerichtsverfassung im ganzen wir seit 184» eine gleichmäßig durchgeführte Gerichtsverfassung im ganzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186707"/> <p xml:id="ID_677" prev="#ID_676" next="#ID_678"> wir seit 184» eine gleichmäßig durchgeführte Gerichtsverfassung im ganzen<lb/> preußischen Staat, die an Würde und Zweckmäßigkeit gleich sehr den voraus¬<lb/> gehenden Zustand überragt. Keine Exemtion, deren einstige Ursache längst<lb/> verschwunden, beleidigt mehr das Gefühl der Rechtsgleichheit aller Bürger,<lb/> kein junkerhnfter Dünkel brüstet sich mehr mit dem Schein eines Titelchens<lb/> von staatlicher Souveränetät. Die Majestät selbst ist wieder zum einzigen<lb/> Quell der Rechtsübung geworden, und Öffentlichkeit, Kollegialität und ein<lb/> dreifacher Instanzenzug bürgen dafür, daß er lauter und gleichmäßig fließt.<lb/> Das sind die Grundlagen der heutigen preußischen Gerichtsverfassung, denen<lb/> im Wesentlichen durch ihre Tüchtigkeit Dauer verbürgt wird, und von denen<lb/> alle noch nöthigen neuen Reformen ausgehen können. Wie lange diese noch<lb/> aus sich warten lassen, ist vor der Hand nicht abzusehen. Daß es aber nicht<lb/> zu lange sei, ist namentlich in zwei Beziehungen dringend wünschenswert!).<lb/> In Wenigem werden alle Sachverständigen so einstimmig sein, als in dein<lb/> Lobe einer guten Justiz, die unter allen Stürmen und Schwankungen der<lb/> Zcitverhältnifle dein Einzelnen wenigstens den gleichen Schutz und die gleich¬<lb/> mäßige Beurtheilung seiner höchsten Güter, seiner Ehre, seiner Freiheit, seines<lb/> Lebens und Eigenthums sichert. Durch gute Gesetze und Proceßordnungen<lb/> allein läßt sich das nicht erreichen, denn die besten Gesetze entgehen selten dem<lb/> Fluch der Mehrdeutigkeit. Es kommt also darauf an, die Anwendung der<lb/> Gesetze in die Hand von Männern zu legen, welche vor allein, was mit Furcht<lb/> und Hoffnung ein menschliches Herz schwankend machen kann, in ihrem Beruf<lb/> so weit geschützt sind, daß sie für ihr Thun nur dem Gesetz und ihrem Ge¬<lb/> wissen verantwortlich sind. Daher ist in den besten Staatsverfassunge» die<lb/> Stellung der Richter immer von der der übrigen Beamten unterschieden ge¬<lb/> wesen. Sie empfangen ihr Amt auf Lebenszeit aus der Hand des Staats¬<lb/> oberhaupts und können mir auf eignes Berlangeu ode» wegen Bergehen gegen<lb/> bestimmte Gesetzesvorschriften daraus entfernt werden. Das Aufrücken in ein<lb/> höheres Gehalt, die Beisetzung an andre Gerichte ist streng geregelt; sie dürfen<lb/> keine Nebenämter bekleiden und keine Gratificationen empfangen. So beab¬<lb/> sichtigte man 1848 auch in Preußen die Richter zu stellen, nachdem das viel¬<lb/> angefeindete Disciplinargesetz von 1844 aufgehoben war. Leider aber ist dies<lb/> eine von den vergeblichen Bemühungen jener Zeit. Denn durch das Gesetz<lb/> von 7. Mai 1851 sind die Richter wieder ohne Ausnahme einem Disciplinar-<lb/> verfahren unterworfen worden, das ihre Stellung vor 184 8 eher verschlimmert als<lb/> verbessert. Danach ist das Obertribunal für seine Mitglieder und die Präsiden¬<lb/> ten und Direktoren der Appcllationsgerichte. diese für ihre übrigen Mitglieder<lb/> und die Richter der Untergeriehte ihres Bezirks der competente Disciplinarhos.<lb/> Die Versetzung in Anklagezustand erfolgt von Amtswegen oder aus An¬<lb/> trag des Staatsanwalts, der übrigens auch im erstern Fall gehört werden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0295]
wir seit 184» eine gleichmäßig durchgeführte Gerichtsverfassung im ganzen
preußischen Staat, die an Würde und Zweckmäßigkeit gleich sehr den voraus¬
gehenden Zustand überragt. Keine Exemtion, deren einstige Ursache längst
verschwunden, beleidigt mehr das Gefühl der Rechtsgleichheit aller Bürger,
kein junkerhnfter Dünkel brüstet sich mehr mit dem Schein eines Titelchens
von staatlicher Souveränetät. Die Majestät selbst ist wieder zum einzigen
Quell der Rechtsübung geworden, und Öffentlichkeit, Kollegialität und ein
dreifacher Instanzenzug bürgen dafür, daß er lauter und gleichmäßig fließt.
Das sind die Grundlagen der heutigen preußischen Gerichtsverfassung, denen
im Wesentlichen durch ihre Tüchtigkeit Dauer verbürgt wird, und von denen
alle noch nöthigen neuen Reformen ausgehen können. Wie lange diese noch
aus sich warten lassen, ist vor der Hand nicht abzusehen. Daß es aber nicht
zu lange sei, ist namentlich in zwei Beziehungen dringend wünschenswert!).
In Wenigem werden alle Sachverständigen so einstimmig sein, als in dein
Lobe einer guten Justiz, die unter allen Stürmen und Schwankungen der
Zcitverhältnifle dein Einzelnen wenigstens den gleichen Schutz und die gleich¬
mäßige Beurtheilung seiner höchsten Güter, seiner Ehre, seiner Freiheit, seines
Lebens und Eigenthums sichert. Durch gute Gesetze und Proceßordnungen
allein läßt sich das nicht erreichen, denn die besten Gesetze entgehen selten dem
Fluch der Mehrdeutigkeit. Es kommt also darauf an, die Anwendung der
Gesetze in die Hand von Männern zu legen, welche vor allein, was mit Furcht
und Hoffnung ein menschliches Herz schwankend machen kann, in ihrem Beruf
so weit geschützt sind, daß sie für ihr Thun nur dem Gesetz und ihrem Ge¬
wissen verantwortlich sind. Daher ist in den besten Staatsverfassunge» die
Stellung der Richter immer von der der übrigen Beamten unterschieden ge¬
wesen. Sie empfangen ihr Amt auf Lebenszeit aus der Hand des Staats¬
oberhaupts und können mir auf eignes Berlangeu ode» wegen Bergehen gegen
bestimmte Gesetzesvorschriften daraus entfernt werden. Das Aufrücken in ein
höheres Gehalt, die Beisetzung an andre Gerichte ist streng geregelt; sie dürfen
keine Nebenämter bekleiden und keine Gratificationen empfangen. So beab¬
sichtigte man 1848 auch in Preußen die Richter zu stellen, nachdem das viel¬
angefeindete Disciplinargesetz von 1844 aufgehoben war. Leider aber ist dies
eine von den vergeblichen Bemühungen jener Zeit. Denn durch das Gesetz
von 7. Mai 1851 sind die Richter wieder ohne Ausnahme einem Disciplinar-
verfahren unterworfen worden, das ihre Stellung vor 184 8 eher verschlimmert als
verbessert. Danach ist das Obertribunal für seine Mitglieder und die Präsiden¬
ten und Direktoren der Appcllationsgerichte. diese für ihre übrigen Mitglieder
und die Richter der Untergeriehte ihres Bezirks der competente Disciplinarhos.
Die Versetzung in Anklagezustand erfolgt von Amtswegen oder aus An¬
trag des Staatsanwalts, der übrigens auch im erstern Fall gehört werden
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |