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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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mit seinem Genie, seiner zu allem Guten geneigten Seele und seiner in
der Ausübung mittelmäßigen Menschenkenntnis datier er sich bald an
den, bald an diesen hielt, die Republik aber nicht lange überlebte; nach
dem Urtheil Augusts, der ihn verrieth, ein großer Mann und welcher
es mit Rom gut meinte." -- Sehr auffallend ist, daß Müller den folgenden
Gedanken aus den Notizbüchern von 1774 -- I77v in seiner allgemeinen
Geschichte keinen Raum gegeben hat. "Wer Cäsars Alleinherrschaft mit der
damaligen Korruption der Republik entschuldigt, sehe die Folgen einer Re¬
volution als einen Beweis an, daß er entweder die Schädlichkeit des Des¬
potismus nicht gekannt, oder sür das gemeine Beste niemals gesorgt habe."
Daß Tacitus Schüler für das Schreckensregimcnt der Cüsarcn die angemessenen
Farben findet, läßt sich erwarten; dankenswerther ist. daß ihn auch der Glanz
der Antonine nicht blendet. Unter diesen guten Fürsten, sagt er, scheint die
alte Kraft abgenommen zu haben, welche in Zeiten großer Nöthe und Be-
wegung reift. Der Mangel war unmerklich, so lange das Reich unter solchen
Herrn großer Männer wenig bedürfte, nach ihnen fand es sich hilflos. Man
wäre versucht, zu glauben, daß das stoische Stillschweigen der Leidenschaften
wol der Vernunft gebührende Oberhand ließ, daß aber zur Bildung eines
nachdrucksvollcn und gleichwol unter die sonderbare Verfassung biegsamen
Charakters mehr Genie erfordert wurde, als das Antheil ruhiger Seelen ist.
Es war ein fast übermenschliches Werk, dem Romersinn ein ganz neues Ge¬
präge und allen Völkern Roms jener zu Erhaltung ihres gemeinen Wesens
nöthigen einen Charakter zu ertheilen. Daher fanden die Barbaren nur
Sittenlosigkeit auf der einen, wehrlose Rechtschaffenheit auf der andern Seite.
Die Stoiker hätten selbst besser gethan, die Leidenschaften leite" als sie
tilgen zu wollen; Stagnation ist der Tod, und eben daß der kolossalische
Körper des römischen Reichs keine Seele mehr hatte, war der Grund seiner
Auflösung. Indem die stoische Moral Vorschriften gab, die den meisten
Menschen zu hoch sind, veranlaßte sie einerseits viele Heuchelei, andererseits,
daß mancher an der Möglichkeit einer solche Reinheit erfordernden Tugend
ganz verzweifelte. - Diese Weisen waren etwas zu kalt und metaphysisch, sie
verbreiteten mehr Helles Licht, als ein die Keime des Lasters verzehrendes
Feuer. -- Die damaligen Schriftsteller erheben sich nicht mehr zu der Größe
der Alten; der Schwung der Stoiker scheint nicht so natürlich. Man be¬
merkt den Unterschied von Früchten , welche ein vortrefflicher Boden in der
Fülle ihrer Schönheit und Kraft erzeugt und solchen, die aus Treibhäusern
kommen. Man irre sich nicht über den guten und verständigen Plutarch; er
war sehr würdig, einen Trajan zum Schüler gehabt zu haben, aber die in
seinen Schriften lebende Größe hat er von seinen Helden, vom Alterthum, wor¬
über er sammelte. Der vornehmste Originalschriftsteller dieser Zeiten ist


Ärenzbotm II. ILüö. 34

mit seinem Genie, seiner zu allem Guten geneigten Seele und seiner in
der Ausübung mittelmäßigen Menschenkenntnis datier er sich bald an
den, bald an diesen hielt, die Republik aber nicht lange überlebte; nach
dem Urtheil Augusts, der ihn verrieth, ein großer Mann und welcher
es mit Rom gut meinte." — Sehr auffallend ist, daß Müller den folgenden
Gedanken aus den Notizbüchern von 1774 — I77v in seiner allgemeinen
Geschichte keinen Raum gegeben hat. „Wer Cäsars Alleinherrschaft mit der
damaligen Korruption der Republik entschuldigt, sehe die Folgen einer Re¬
volution als einen Beweis an, daß er entweder die Schädlichkeit des Des¬
potismus nicht gekannt, oder sür das gemeine Beste niemals gesorgt habe."
Daß Tacitus Schüler für das Schreckensregimcnt der Cüsarcn die angemessenen
Farben findet, läßt sich erwarten; dankenswerther ist. daß ihn auch der Glanz
der Antonine nicht blendet. Unter diesen guten Fürsten, sagt er, scheint die
alte Kraft abgenommen zu haben, welche in Zeiten großer Nöthe und Be-
wegung reift. Der Mangel war unmerklich, so lange das Reich unter solchen
Herrn großer Männer wenig bedürfte, nach ihnen fand es sich hilflos. Man
wäre versucht, zu glauben, daß das stoische Stillschweigen der Leidenschaften
wol der Vernunft gebührende Oberhand ließ, daß aber zur Bildung eines
nachdrucksvollcn und gleichwol unter die sonderbare Verfassung biegsamen
Charakters mehr Genie erfordert wurde, als das Antheil ruhiger Seelen ist.
Es war ein fast übermenschliches Werk, dem Romersinn ein ganz neues Ge¬
präge und allen Völkern Roms jener zu Erhaltung ihres gemeinen Wesens
nöthigen einen Charakter zu ertheilen. Daher fanden die Barbaren nur
Sittenlosigkeit auf der einen, wehrlose Rechtschaffenheit auf der andern Seite.
Die Stoiker hätten selbst besser gethan, die Leidenschaften leite» als sie
tilgen zu wollen; Stagnation ist der Tod, und eben daß der kolossalische
Körper des römischen Reichs keine Seele mehr hatte, war der Grund seiner
Auflösung. Indem die stoische Moral Vorschriften gab, die den meisten
Menschen zu hoch sind, veranlaßte sie einerseits viele Heuchelei, andererseits,
daß mancher an der Möglichkeit einer solche Reinheit erfordernden Tugend
ganz verzweifelte. - Diese Weisen waren etwas zu kalt und metaphysisch, sie
verbreiteten mehr Helles Licht, als ein die Keime des Lasters verzehrendes
Feuer. — Die damaligen Schriftsteller erheben sich nicht mehr zu der Größe
der Alten; der Schwung der Stoiker scheint nicht so natürlich. Man be¬
merkt den Unterschied von Früchten , welche ein vortrefflicher Boden in der
Fülle ihrer Schönheit und Kraft erzeugt und solchen, die aus Treibhäusern
kommen. Man irre sich nicht über den guten und verständigen Plutarch; er
war sehr würdig, einen Trajan zum Schüler gehabt zu haben, aber die in
seinen Schriften lebende Größe hat er von seinen Helden, vom Alterthum, wor¬
über er sammelte. Der vornehmste Originalschriftsteller dieser Zeiten ist


Ärenzbotm II. ILüö. 34
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[0273] mit seinem Genie, seiner zu allem Guten geneigten Seele und seiner in der Ausübung mittelmäßigen Menschenkenntnis datier er sich bald an den, bald an diesen hielt, die Republik aber nicht lange überlebte; nach dem Urtheil Augusts, der ihn verrieth, ein großer Mann und welcher es mit Rom gut meinte." — Sehr auffallend ist, daß Müller den folgenden Gedanken aus den Notizbüchern von 1774 — I77v in seiner allgemeinen Geschichte keinen Raum gegeben hat. „Wer Cäsars Alleinherrschaft mit der damaligen Korruption der Republik entschuldigt, sehe die Folgen einer Re¬ volution als einen Beweis an, daß er entweder die Schädlichkeit des Des¬ potismus nicht gekannt, oder sür das gemeine Beste niemals gesorgt habe." Daß Tacitus Schüler für das Schreckensregimcnt der Cüsarcn die angemessenen Farben findet, läßt sich erwarten; dankenswerther ist. daß ihn auch der Glanz der Antonine nicht blendet. Unter diesen guten Fürsten, sagt er, scheint die alte Kraft abgenommen zu haben, welche in Zeiten großer Nöthe und Be- wegung reift. Der Mangel war unmerklich, so lange das Reich unter solchen Herrn großer Männer wenig bedürfte, nach ihnen fand es sich hilflos. Man wäre versucht, zu glauben, daß das stoische Stillschweigen der Leidenschaften wol der Vernunft gebührende Oberhand ließ, daß aber zur Bildung eines nachdrucksvollcn und gleichwol unter die sonderbare Verfassung biegsamen Charakters mehr Genie erfordert wurde, als das Antheil ruhiger Seelen ist. Es war ein fast übermenschliches Werk, dem Romersinn ein ganz neues Ge¬ präge und allen Völkern Roms jener zu Erhaltung ihres gemeinen Wesens nöthigen einen Charakter zu ertheilen. Daher fanden die Barbaren nur Sittenlosigkeit auf der einen, wehrlose Rechtschaffenheit auf der andern Seite. Die Stoiker hätten selbst besser gethan, die Leidenschaften leite» als sie tilgen zu wollen; Stagnation ist der Tod, und eben daß der kolossalische Körper des römischen Reichs keine Seele mehr hatte, war der Grund seiner Auflösung. Indem die stoische Moral Vorschriften gab, die den meisten Menschen zu hoch sind, veranlaßte sie einerseits viele Heuchelei, andererseits, daß mancher an der Möglichkeit einer solche Reinheit erfordernden Tugend ganz verzweifelte. - Diese Weisen waren etwas zu kalt und metaphysisch, sie verbreiteten mehr Helles Licht, als ein die Keime des Lasters verzehrendes Feuer. — Die damaligen Schriftsteller erheben sich nicht mehr zu der Größe der Alten; der Schwung der Stoiker scheint nicht so natürlich. Man be¬ merkt den Unterschied von Früchten , welche ein vortrefflicher Boden in der Fülle ihrer Schönheit und Kraft erzeugt und solchen, die aus Treibhäusern kommen. Man irre sich nicht über den guten und verständigen Plutarch; er war sehr würdig, einen Trajan zum Schüler gehabt zu haben, aber die in seinen Schriften lebende Größe hat er von seinen Helden, vom Alterthum, wor¬ über er sammelte. Der vornehmste Originalschriftsteller dieser Zeiten ist Ärenzbotm II. ILüö. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/273>, abgerufen am 21.12.2024.