Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.der einfachen Formen, und länger ihre Dauer. Aber keine Verfassung wider-- ') Seine Bemerkungen über Homer mögen hier eine Stelle finden, weil sie verrathe",
wie wenig ausgebildet sein Sinn für Poesie war, "Sie sind unter allen Gedichten, ruck meinem Gefühl nach, das Herrlichste; der Redner, Geschichtschreiber und Mensch lernen gleich viel daraus. Ein großer Sinn athmet überall; bald steht man die verderblichen Folgen der Gewaltthätigkeit und Unordnung, bald die Macht der Mäßigung und Vernunft; Gehorsam und Freiheit, Heldenmuth und Kriegszucht werden empfohlen. Die Menschen erscheinen wie sie sind. Alles ist in Handlung, nichts müßig. Wir werden hingerissen, wir werden ohne es zu bemerken belehrt. Dadurch wurde Homarus das Muster des Thucydides, der Lieblings¬ schriftsteller der größten und edelsten Menschen und einer der besten Lehrer der Lebensweisheit," Ueber diesen nüchternen Pragmatismus war freilich die damalige Aesthetik weit hinaus, und dabei ist selbst in diesen dürftigen Bemerkungen viel Reminiscenz, Im folgenden Buch setzt Müller hinzu: "Es ist der schönste Lorbeer Homers, daß er den Sänger des Aeneas erweckt, welcher ihm oft gleich war, und nur da über ihn war, wo die Philosophie des gebildeteren Jahrhunderts^ worin Virgilius lebte, einen Unterschied machte," So unsicher und gehaltlos find seine Urtheile über poetische Werke durchweg. der einfachen Formen, und länger ihre Dauer. Aber keine Verfassung wider-- ') Seine Bemerkungen über Homer mögen hier eine Stelle finden, weil sie verrathe»,
wie wenig ausgebildet sein Sinn für Poesie war, „Sie sind unter allen Gedichten, ruck meinem Gefühl nach, das Herrlichste; der Redner, Geschichtschreiber und Mensch lernen gleich viel daraus. Ein großer Sinn athmet überall; bald steht man die verderblichen Folgen der Gewaltthätigkeit und Unordnung, bald die Macht der Mäßigung und Vernunft; Gehorsam und Freiheit, Heldenmuth und Kriegszucht werden empfohlen. Die Menschen erscheinen wie sie sind. Alles ist in Handlung, nichts müßig. Wir werden hingerissen, wir werden ohne es zu bemerken belehrt. Dadurch wurde Homarus das Muster des Thucydides, der Lieblings¬ schriftsteller der größten und edelsten Menschen und einer der besten Lehrer der Lebensweisheit," Ueber diesen nüchternen Pragmatismus war freilich die damalige Aesthetik weit hinaus, und dabei ist selbst in diesen dürftigen Bemerkungen viel Reminiscenz, Im folgenden Buch setzt Müller hinzu: „Es ist der schönste Lorbeer Homers, daß er den Sänger des Aeneas erweckt, welcher ihm oft gleich war, und nur da über ihn war, wo die Philosophie des gebildeteren Jahrhunderts^ worin Virgilius lebte, einen Unterschied machte," So unsicher und gehaltlos find seine Urtheile über poetische Werke durchweg. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186683"/> <p xml:id="ID_627" prev="#ID_626" next="#ID_628"> der einfachen Formen, und länger ihre Dauer. Aber keine Verfassung wider--<lb/> steht auf die Länge den schlimmen Leidenschaften; jede trägt den Keim des<lb/> Verderbens in sich. Nach diesem scheint fast verwunderlich, wie die Formen<lb/> der menschlichen Gesellschaft unter so vielfältiger Verderbnis? doch noch beste¬<lb/> hen. Allein die meisten Menschen haben weder für das Gute noch für das<lb/> Böse eine feste Entschlossenheit. Wenige sind, die nur Eins, und dieses Eine<lb/> aus allen Kräften wollen; und noch dazu müssen auch diese, um die Macht<lb/> an sich zu reißen, durch Umstände begünstigt werden. Glücklicherweise<lb/> haben auch unvollkommene Regierungen immer eine gewisse Richtung zur<lb/> Ordnung; ihre Stifter haben sie mit einer Menge Formen umgeben, die dem<lb/> Gang der Geschäfte eine gewisse Regelmäßigkeit geben, wofür die Menge<lb/> eine Art Ehrfurcht bekommt. Je mehr Formen, desto weniger Erschütterungen.<lb/> — In der Urgeschichte der Menschheit findet man Anklänge an Herder, doch<lb/> nicht so viel als man nach der großen Verehrung Müllers vor dem Ver¬<lb/> sasser der Ideen erwarten sollte. Er berührt die großen Probleme nur<lb/> äußerlich, erledigt wird nicht die einfachste Frage.*) Das Interessante sind<lb/> die aus den alten Geographen entnommenen Notizen. Auch aus der grie¬<lb/> chischen Geschichte ist ihm nicht gelungen ein Ganzes zu machen. Von der<lb/> Begeisterung, die grade damals bei unsern Dichtern und Aesthetikern lebte,<lb/> findet sich keine Spur. Die treffendste Bemerkung ist folgende: „Wenn der<lb/> Mensch sich vom Vieh durch die Sprache unterscheidet, wie edel die Nation,<lb/> welche eine schönere Sprache als alle andern hatte!" — Vortrefflich, wenn auch<lb/> nur kurz, ist der Uebergang der griechischen Cultur in den Militärstaat charakterisirt.<lb/> „Es erscheinen um diese Zeit und später blos kriegerische Talente, wodurch<lb/> gemeine Soldaten, vermittelst Bravheit und Verschwendungen. Herrn der Völ¬<lb/> ker wurden, welche die Unkosten tragen mußten. Der Mensch kömmt nicht<lb/> mehr vor; nur Truppen, um so sieghafter, je mehr sie Maschine sind. Die</p><lb/> <note xml:id="FID_67" place="foot"> ') Seine Bemerkungen über Homer mögen hier eine Stelle finden, weil sie verrathe»,<lb/> wie wenig ausgebildet sein Sinn für Poesie war, „Sie sind unter allen Gedichten, ruck<lb/> meinem Gefühl nach, das Herrlichste; der Redner, Geschichtschreiber und Mensch lernen gleich<lb/> viel daraus. Ein großer Sinn athmet überall; bald steht man die verderblichen Folgen der<lb/> Gewaltthätigkeit und Unordnung, bald die Macht der Mäßigung und Vernunft; Gehorsam<lb/> und Freiheit, Heldenmuth und Kriegszucht werden empfohlen. Die Menschen erscheinen wie<lb/> sie sind. Alles ist in Handlung, nichts müßig. Wir werden hingerissen, wir werden ohne<lb/> es zu bemerken belehrt. Dadurch wurde Homarus das Muster des Thucydides, der Lieblings¬<lb/> schriftsteller der größten und edelsten Menschen und einer der besten Lehrer der Lebensweisheit,"<lb/> Ueber diesen nüchternen Pragmatismus war freilich die damalige Aesthetik weit hinaus, und<lb/> dabei ist selbst in diesen dürftigen Bemerkungen viel Reminiscenz, Im folgenden Buch setzt<lb/> Müller hinzu: „Es ist der schönste Lorbeer Homers, daß er den Sänger des Aeneas erweckt,<lb/> welcher ihm oft gleich war, und nur da über ihn war, wo die Philosophie des gebildeteren<lb/> Jahrhunderts^ worin Virgilius lebte, einen Unterschied machte," So unsicher und gehaltlos<lb/> find seine Urtheile über poetische Werke durchweg.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
der einfachen Formen, und länger ihre Dauer. Aber keine Verfassung wider--
steht auf die Länge den schlimmen Leidenschaften; jede trägt den Keim des
Verderbens in sich. Nach diesem scheint fast verwunderlich, wie die Formen
der menschlichen Gesellschaft unter so vielfältiger Verderbnis? doch noch beste¬
hen. Allein die meisten Menschen haben weder für das Gute noch für das
Böse eine feste Entschlossenheit. Wenige sind, die nur Eins, und dieses Eine
aus allen Kräften wollen; und noch dazu müssen auch diese, um die Macht
an sich zu reißen, durch Umstände begünstigt werden. Glücklicherweise
haben auch unvollkommene Regierungen immer eine gewisse Richtung zur
Ordnung; ihre Stifter haben sie mit einer Menge Formen umgeben, die dem
Gang der Geschäfte eine gewisse Regelmäßigkeit geben, wofür die Menge
eine Art Ehrfurcht bekommt. Je mehr Formen, desto weniger Erschütterungen.
— In der Urgeschichte der Menschheit findet man Anklänge an Herder, doch
nicht so viel als man nach der großen Verehrung Müllers vor dem Ver¬
sasser der Ideen erwarten sollte. Er berührt die großen Probleme nur
äußerlich, erledigt wird nicht die einfachste Frage.*) Das Interessante sind
die aus den alten Geographen entnommenen Notizen. Auch aus der grie¬
chischen Geschichte ist ihm nicht gelungen ein Ganzes zu machen. Von der
Begeisterung, die grade damals bei unsern Dichtern und Aesthetikern lebte,
findet sich keine Spur. Die treffendste Bemerkung ist folgende: „Wenn der
Mensch sich vom Vieh durch die Sprache unterscheidet, wie edel die Nation,
welche eine schönere Sprache als alle andern hatte!" — Vortrefflich, wenn auch
nur kurz, ist der Uebergang der griechischen Cultur in den Militärstaat charakterisirt.
„Es erscheinen um diese Zeit und später blos kriegerische Talente, wodurch
gemeine Soldaten, vermittelst Bravheit und Verschwendungen. Herrn der Völ¬
ker wurden, welche die Unkosten tragen mußten. Der Mensch kömmt nicht
mehr vor; nur Truppen, um so sieghafter, je mehr sie Maschine sind. Die
') Seine Bemerkungen über Homer mögen hier eine Stelle finden, weil sie verrathe»,
wie wenig ausgebildet sein Sinn für Poesie war, „Sie sind unter allen Gedichten, ruck
meinem Gefühl nach, das Herrlichste; der Redner, Geschichtschreiber und Mensch lernen gleich
viel daraus. Ein großer Sinn athmet überall; bald steht man die verderblichen Folgen der
Gewaltthätigkeit und Unordnung, bald die Macht der Mäßigung und Vernunft; Gehorsam
und Freiheit, Heldenmuth und Kriegszucht werden empfohlen. Die Menschen erscheinen wie
sie sind. Alles ist in Handlung, nichts müßig. Wir werden hingerissen, wir werden ohne
es zu bemerken belehrt. Dadurch wurde Homarus das Muster des Thucydides, der Lieblings¬
schriftsteller der größten und edelsten Menschen und einer der besten Lehrer der Lebensweisheit,"
Ueber diesen nüchternen Pragmatismus war freilich die damalige Aesthetik weit hinaus, und
dabei ist selbst in diesen dürftigen Bemerkungen viel Reminiscenz, Im folgenden Buch setzt
Müller hinzu: „Es ist der schönste Lorbeer Homers, daß er den Sänger des Aeneas erweckt,
welcher ihm oft gleich war, und nur da über ihn war, wo die Philosophie des gebildeteren
Jahrhunderts^ worin Virgilius lebte, einen Unterschied machte," So unsicher und gehaltlos
find seine Urtheile über poetische Werke durchweg.
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