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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Deutschen, als einen der größten Siege, welche vom Vatican je erfochten wor¬
den sind. Wir sind in der Lage, aus derselben Thatsache ganz entgegengesetzte
Schlüsse zu ziehen. Man wird sagen dürfen, daß die katholische Kirche. --
wohlverstanden, nicht die Totalität der katholischen Christen, sondern die Hierarchie
in ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit -- nnr noch einen so geringen Antheil an
dem geistigen Leben der Völker hat, daß große innere Kämpfe in ihr über¬
haupt nicht mehr vorkommen. Sie erfüllt ihre heilige Pflicht, das Gemüths-
leben von Millionen einfältiger und treuherziger Christenseelen zu regeln,
wenn auch nicht mit alter Kraft, doch mit neuem Eifer. Aber jeder Katholik, der
irgend welchen innern Antheil an Wissen und Bildung der Gegenwart erhält,
wird dadurch seiner Kirche entfremdet. Nicht selten gewinnt er nach innern
Kämpfen ein neues reflectirtes Interesse an dem kirchlichen Leben, ein Interesse,
das sich noch jetzt zuweilen bis zu Schwärmerei und Fanatismus ausdehnt,
aber sein Glaube, wie fromm er sich denselben auch zugerichtet hat. ist nicht
mehr die reine Gläubigkeit des naiven Bewußtseins; sondern versetzt, im
günstigsten Fall mit viel Resignation, in der Regel mit arger latenter Ketzerei.
SMe innern Kämpfe kämpft er nicht mehr auf dem Boden der Kirche aus,
sondern in dem Tempel irgend einer Wissenschaft, selbst in dem Fall, daß
er sich wieder zur Kirche zurückwendet. Zur Zeit des heiligen Augustin, des gro¬
ßen Gregor und Innocenz war innerhalb der Kirche der ganze geistige Kampf
der Nationen. Dann kam eine Zeit, wo die Kirche als strenge Herrin das
geistige Leben ihrer Völker behütete, jetzt ist die Zeit gekommen, wo sie es
nicht mehr versteht.

Doch sie herrscht souverain in ihrem Kreise. Die alten ehrlichen Forde¬
rungen der Geistlichen und Laien um allgemeine Concilien, Wiedereinführung
der Priesterehe u. s. w. sind verstummt. Eine Opposition, wie sie noch in den
zwanziger Jahren deutsche Priester und Bischöfe wagten, findet jetzt keine
Duldung mehr. Die Aristokratie einiger Erzbischöfe, welche das kirchliche
Leben der katholischen Staaten überwachen, und einige Kapacitäten im Car-
dinalcollegium, welche zu Rom die alten Traditionen der geistlichen Regierung
aufrecht erhalten, sie sind die Herrscher der katholischen Kirche. Dem Fremden
erscheint sie als eine streng geschlossene Monarchie, in der That ist ihr System
eine Oligarchie der geistlichen Aristokraten, in welcher der Papst kaum die Be¬
deutung eines venetianischen Dogen hat. Aber sie wurzelt doch noch so sehr
in dem römischen Boden, daß die politische Unabhängigkeit der Stadt und
ihrer Umgebung d. h. ein Terrain, aus welchem der Einfluß der größten
katholischen Mächte, Oestreichs und Frankreichs, einander die Wage halten
können, die erste Bedingung ihres Bestehens ist. Die Solidarität der größten
Interessen wird von der Kirche wie von den weltlichen Regierungen trotz ge¬
legentlicher Differenzen wann anerkannt. Für Oestreich sowol als für Frank-


Deutschen, als einen der größten Siege, welche vom Vatican je erfochten wor¬
den sind. Wir sind in der Lage, aus derselben Thatsache ganz entgegengesetzte
Schlüsse zu ziehen. Man wird sagen dürfen, daß die katholische Kirche. —
wohlverstanden, nicht die Totalität der katholischen Christen, sondern die Hierarchie
in ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit — nnr noch einen so geringen Antheil an
dem geistigen Leben der Völker hat, daß große innere Kämpfe in ihr über¬
haupt nicht mehr vorkommen. Sie erfüllt ihre heilige Pflicht, das Gemüths-
leben von Millionen einfältiger und treuherziger Christenseelen zu regeln,
wenn auch nicht mit alter Kraft, doch mit neuem Eifer. Aber jeder Katholik, der
irgend welchen innern Antheil an Wissen und Bildung der Gegenwart erhält,
wird dadurch seiner Kirche entfremdet. Nicht selten gewinnt er nach innern
Kämpfen ein neues reflectirtes Interesse an dem kirchlichen Leben, ein Interesse,
das sich noch jetzt zuweilen bis zu Schwärmerei und Fanatismus ausdehnt,
aber sein Glaube, wie fromm er sich denselben auch zugerichtet hat. ist nicht
mehr die reine Gläubigkeit des naiven Bewußtseins; sondern versetzt, im
günstigsten Fall mit viel Resignation, in der Regel mit arger latenter Ketzerei.
SMe innern Kämpfe kämpft er nicht mehr auf dem Boden der Kirche aus,
sondern in dem Tempel irgend einer Wissenschaft, selbst in dem Fall, daß
er sich wieder zur Kirche zurückwendet. Zur Zeit des heiligen Augustin, des gro¬
ßen Gregor und Innocenz war innerhalb der Kirche der ganze geistige Kampf
der Nationen. Dann kam eine Zeit, wo die Kirche als strenge Herrin das
geistige Leben ihrer Völker behütete, jetzt ist die Zeit gekommen, wo sie es
nicht mehr versteht.

Doch sie herrscht souverain in ihrem Kreise. Die alten ehrlichen Forde¬
rungen der Geistlichen und Laien um allgemeine Concilien, Wiedereinführung
der Priesterehe u. s. w. sind verstummt. Eine Opposition, wie sie noch in den
zwanziger Jahren deutsche Priester und Bischöfe wagten, findet jetzt keine
Duldung mehr. Die Aristokratie einiger Erzbischöfe, welche das kirchliche
Leben der katholischen Staaten überwachen, und einige Kapacitäten im Car-
dinalcollegium, welche zu Rom die alten Traditionen der geistlichen Regierung
aufrecht erhalten, sie sind die Herrscher der katholischen Kirche. Dem Fremden
erscheint sie als eine streng geschlossene Monarchie, in der That ist ihr System
eine Oligarchie der geistlichen Aristokraten, in welcher der Papst kaum die Be¬
deutung eines venetianischen Dogen hat. Aber sie wurzelt doch noch so sehr
in dem römischen Boden, daß die politische Unabhängigkeit der Stadt und
ihrer Umgebung d. h. ein Terrain, aus welchem der Einfluß der größten
katholischen Mächte, Oestreichs und Frankreichs, einander die Wage halten
können, die erste Bedingung ihres Bestehens ist. Die Solidarität der größten
Interessen wird von der Kirche wie von den weltlichen Regierungen trotz ge¬
legentlicher Differenzen wann anerkannt. Für Oestreich sowol als für Frank-


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[0266] Deutschen, als einen der größten Siege, welche vom Vatican je erfochten wor¬ den sind. Wir sind in der Lage, aus derselben Thatsache ganz entgegengesetzte Schlüsse zu ziehen. Man wird sagen dürfen, daß die katholische Kirche. — wohlverstanden, nicht die Totalität der katholischen Christen, sondern die Hierarchie in ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit — nnr noch einen so geringen Antheil an dem geistigen Leben der Völker hat, daß große innere Kämpfe in ihr über¬ haupt nicht mehr vorkommen. Sie erfüllt ihre heilige Pflicht, das Gemüths- leben von Millionen einfältiger und treuherziger Christenseelen zu regeln, wenn auch nicht mit alter Kraft, doch mit neuem Eifer. Aber jeder Katholik, der irgend welchen innern Antheil an Wissen und Bildung der Gegenwart erhält, wird dadurch seiner Kirche entfremdet. Nicht selten gewinnt er nach innern Kämpfen ein neues reflectirtes Interesse an dem kirchlichen Leben, ein Interesse, das sich noch jetzt zuweilen bis zu Schwärmerei und Fanatismus ausdehnt, aber sein Glaube, wie fromm er sich denselben auch zugerichtet hat. ist nicht mehr die reine Gläubigkeit des naiven Bewußtseins; sondern versetzt, im günstigsten Fall mit viel Resignation, in der Regel mit arger latenter Ketzerei. SMe innern Kämpfe kämpft er nicht mehr auf dem Boden der Kirche aus, sondern in dem Tempel irgend einer Wissenschaft, selbst in dem Fall, daß er sich wieder zur Kirche zurückwendet. Zur Zeit des heiligen Augustin, des gro¬ ßen Gregor und Innocenz war innerhalb der Kirche der ganze geistige Kampf der Nationen. Dann kam eine Zeit, wo die Kirche als strenge Herrin das geistige Leben ihrer Völker behütete, jetzt ist die Zeit gekommen, wo sie es nicht mehr versteht. Doch sie herrscht souverain in ihrem Kreise. Die alten ehrlichen Forde¬ rungen der Geistlichen und Laien um allgemeine Concilien, Wiedereinführung der Priesterehe u. s. w. sind verstummt. Eine Opposition, wie sie noch in den zwanziger Jahren deutsche Priester und Bischöfe wagten, findet jetzt keine Duldung mehr. Die Aristokratie einiger Erzbischöfe, welche das kirchliche Leben der katholischen Staaten überwachen, und einige Kapacitäten im Car- dinalcollegium, welche zu Rom die alten Traditionen der geistlichen Regierung aufrecht erhalten, sie sind die Herrscher der katholischen Kirche. Dem Fremden erscheint sie als eine streng geschlossene Monarchie, in der That ist ihr System eine Oligarchie der geistlichen Aristokraten, in welcher der Papst kaum die Be¬ deutung eines venetianischen Dogen hat. Aber sie wurzelt doch noch so sehr in dem römischen Boden, daß die politische Unabhängigkeit der Stadt und ihrer Umgebung d. h. ein Terrain, aus welchem der Einfluß der größten katholischen Mächte, Oestreichs und Frankreichs, einander die Wage halten können, die erste Bedingung ihres Bestehens ist. Die Solidarität der größten Interessen wird von der Kirche wie von den weltlichen Regierungen trotz ge¬ legentlicher Differenzen wann anerkannt. Für Oestreich sowol als für Frank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/266>, abgerufen am 21.12.2024.