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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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aber eint gewöhnliche Weltklugheit kein Licht hervorzurufen vermag/' Sollte
auch die neueste Hoffnung verschwinden, "so haben wir zum wenigsten ge¬
lernt, denen nie mehr zu vertrauen, die bald uicht helfen wollen, bald nicht
sonnen. Sie mögen stehen oder fallen; der Enthusiasmus für ihre Unionen
und Waffen höre auf. Verflucht sei der Mann, Schande komme über sein
Haupt, der dein Säumigen das Wort redet." -- Diesmal hatte Müller die
strengste Anonymität bewahrt, Jacobi hatte (Mai 1788) die Herausgabe der
Schrift vermittelt. Sie verfehlte nicht großes Aussehn zu machen, war doch
an einer Stelle, wenn auch nur abwehrend, von der Möglichkeit die Rede,
die Einheit Deutschlands einmal in republikanischen Formen zu suchen. Na¬
mentlich war der preußische Hof ungehalten. Er hielt bald den Herzog von
Weimar, bald den neuen Coadjutor von Mainz -- beide waren mit dem Her¬
zog von Anhalt die eifrigsten Treiber für die Idee des Fürstenbundes -- eim
mal sogar den Reichsfreiherru von Gemmingen für den Verfasser. Was die
höchst merkwürdige plötzliche Umwandlung in Müllers Ansichten betrifft, so
spielten wol endliche Motive unbewußt mit. Er hatte die Idee des preußischen
Dienstes ausgegeben.') Die Hauptsache aber war das Vorgefühl des Sturmes,
der in Frankreich bald losbrechen sollte und von dein sein empfängliches Ge¬
müth in mächtigen Schwingungen erschüttert wurde.

Als kurmainzischer Abgeordneter sah er im October 1789 Potsdam wieder
In einer Schrift, die in derselben Zeit angeblich von der Dalbergschen Partei
veröffentlicht und an alle Domcapitel gesandt wurde, stellte man die Forderung,
alle Protestanten aus dem Staatsdienst katholischer Fürsten zu entlassen. Die
Besorgniß, in welche Müller dadurch versetzt wurde, erwies sich indessen als
ungegründet. Der Kurfürst erhielt ihm sein Vertrauen und nahm sich seiner
in einer schweren Krankheit, die ihn im April 1789 überfiel und ihn fast ein
halbes Jahr hindurch an das Bett fesselte, wie ein Vater an. Auch bei dem
Tod seiner Mutter 9. Mai 1790 bewies er ihm eine zärtliche Sorgfalt. Doch
wurden ihm die Staatsgeschäfte mehr und mehr zuwider, "erstlich weil alles
so schlecht geht, und zweitens weil man zu Besserem keine Zeit übrig behält."
Auch den Journalistenarbeiten entfremdete er sich: "Die Journalisten sind
Sklaven von Kant und wer nicht jede Definition desselben annimmt ist ann-
thema. Diese Metaphysik ist meine Sache nicht." Vor allem verwirrte ihn
der Eindruck der französischen Revolution, über die er seine wechselnden Stim¬
mungen regelmäßig in seinen Briefen aufzeichnete. ^)




') Es bleibt noch manches aufzuklären, namentlich die mysteriöse Stelle in den vermisch-
ten Briefe" No, WA. die offenbar gegen Preuficn gerichtet, bei der eS aber zweifelhaft ist, wer
sie eingegeben hat.
") An FiisUi. 29. Juli 1789: -- "Der 14. Juli war der wichtigste Tag seit der Schlacht

aber eint gewöhnliche Weltklugheit kein Licht hervorzurufen vermag/' Sollte
auch die neueste Hoffnung verschwinden, „so haben wir zum wenigsten ge¬
lernt, denen nie mehr zu vertrauen, die bald uicht helfen wollen, bald nicht
sonnen. Sie mögen stehen oder fallen; der Enthusiasmus für ihre Unionen
und Waffen höre auf. Verflucht sei der Mann, Schande komme über sein
Haupt, der dein Säumigen das Wort redet." — Diesmal hatte Müller die
strengste Anonymität bewahrt, Jacobi hatte (Mai 1788) die Herausgabe der
Schrift vermittelt. Sie verfehlte nicht großes Aussehn zu machen, war doch
an einer Stelle, wenn auch nur abwehrend, von der Möglichkeit die Rede,
die Einheit Deutschlands einmal in republikanischen Formen zu suchen. Na¬
mentlich war der preußische Hof ungehalten. Er hielt bald den Herzog von
Weimar, bald den neuen Coadjutor von Mainz — beide waren mit dem Her¬
zog von Anhalt die eifrigsten Treiber für die Idee des Fürstenbundes — eim
mal sogar den Reichsfreiherru von Gemmingen für den Verfasser. Was die
höchst merkwürdige plötzliche Umwandlung in Müllers Ansichten betrifft, so
spielten wol endliche Motive unbewußt mit. Er hatte die Idee des preußischen
Dienstes ausgegeben.') Die Hauptsache aber war das Vorgefühl des Sturmes,
der in Frankreich bald losbrechen sollte und von dein sein empfängliches Ge¬
müth in mächtigen Schwingungen erschüttert wurde.

Als kurmainzischer Abgeordneter sah er im October 1789 Potsdam wieder
In einer Schrift, die in derselben Zeit angeblich von der Dalbergschen Partei
veröffentlicht und an alle Domcapitel gesandt wurde, stellte man die Forderung,
alle Protestanten aus dem Staatsdienst katholischer Fürsten zu entlassen. Die
Besorgniß, in welche Müller dadurch versetzt wurde, erwies sich indessen als
ungegründet. Der Kurfürst erhielt ihm sein Vertrauen und nahm sich seiner
in einer schweren Krankheit, die ihn im April 1789 überfiel und ihn fast ein
halbes Jahr hindurch an das Bett fesselte, wie ein Vater an. Auch bei dem
Tod seiner Mutter 9. Mai 1790 bewies er ihm eine zärtliche Sorgfalt. Doch
wurden ihm die Staatsgeschäfte mehr und mehr zuwider, „erstlich weil alles
so schlecht geht, und zweitens weil man zu Besserem keine Zeit übrig behält."
Auch den Journalistenarbeiten entfremdete er sich: „Die Journalisten sind
Sklaven von Kant und wer nicht jede Definition desselben annimmt ist ann-
thema. Diese Metaphysik ist meine Sache nicht." Vor allem verwirrte ihn
der Eindruck der französischen Revolution, über die er seine wechselnden Stim¬
mungen regelmäßig in seinen Briefen aufzeichnete. ^)




') Es bleibt noch manches aufzuklären, namentlich die mysteriöse Stelle in den vermisch-
ten Briefe» No, WA. die offenbar gegen Preuficn gerichtet, bei der eS aber zweifelhaft ist, wer
sie eingegeben hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/240>, abgerufen am 30.12.2024.