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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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doch würd"! dieser Erwägung ein Ende gemacht, als ihn der Kurfürst 25, April
!788 zum wirklichen geheimen Legationsrath mit einem bedeutenden Gehalt
ernannte. Seine Stelle bei der Bibliothek erhielt auf seinen Vorschlag Georg
Forster/) den er schon in Kassel kennen gelernt hatte.")

Mittlerweile hatte sich im Fürstenbund die Stellung der Beteiligten ge¬
ändert i Mainz war jetzt der Treiber, und Preußen legte der Entwicklung
jedes mögliche Hinderniß in den Weg. Dieser Umschlag gab zu einer der
seltsamsten Staatsschristen Veranlassung, welche die deutsche Literatur kennt:
Deutschlands Erwartungen vom Fürstenbunde, (vollendet N). Mai
1 788), in welcher Müller zeigt, daß er recht klar und vernehmlich sprechen
kann, wenn es ihm einmal gelingt, das innere Zagen seines Herzens und
die Bedenken seiner Staatsklugheit zu überwinden. Schon in der Einleitung
geißelt er mit bitterm Spott die deutsche Gemüthlichkeit, die Neigung sich mit
blindem Vertrauen der ersten besten Phrase eines Fürsten hinzugeben. Dann
fährt er fort: "Wenn die deutsche Nation zu nichts Bessern dienen soll, als
den gegenwärtigen Kt-reuen <iun der Besitzungen zu erhalten, so ist sie uuter
den mancherlei politischen Operationen, die in Deutschland vorgenommen
wurden, wirklich die uninteressanteste. Sie ist wider die ewige Ordnung
Gottes und der Natur, nach der weder die physische noch moralische Welt
einen Augenblick im Ltirtu <imo verharren, sondern alles in Leben, ordent¬
licher Bewegung und Fortschreitung sein soll, um nicht durch Stockung in Ver¬
wesung überzugehn. Sie kann keinen vernünftigen Menschen interessiren.
Ohne Gesetz noch Justiz, ohne Sicherheit vor willkürlichen Auflagen; ungewiß
unsere Sohne, unsere Ehre, unsere Freiheiten und Rechte, unser Leben einen
lag zu erhalten; die hilflose Beute der Uebermacht, ohne wohlthätigen Zu¬
sammenhang, ohne Nationalgeist zu existiren, so gut bei solchen Umständen




') Heinse war auf seine und Incobis Verwendung schon 1786 als Vorleser des Kur¬
fürsten in Mainz angestellt.
") Durch diese Ernennung wurde auch seinen Studien eine andere Richtung gegeben. "Die
Geschichte der Schweiz, "schreibt er einige Zeit darauf an seinen Bruder," ist nur nur deswillen
sehr lieb, weil ich die besten und merkwürdigsten Sache" erst noch zu sagen, und über die
Darstellung viele ganz neue Gedanken habe. Allein auf der andern Seite 1) ist mir die Fort¬
setzung eines Wertes unangenehm, dessen erste Theile übel gerathen siud, Eile und manche
drückende Umstände, unter denen ich sie damals ausarbeiten mußte, haben die Dunkelheiten
und Härten des Ausdrucks veranlaßt, welche das Buch unleserlich machen; wenn die Folge
schon besser, doch würden die zwei ersten Theile allzeit abschrecken; 2) ist, sintemal die Schweiz
nicht das Geringste für mich thun will, noch wol kann, meine unmittelbare Pflicht, mich zum
geschickten Diener des mich ernährenden Landes zu qualificiren d. i. sowol die Verfassung
und den Zustand des Reichs als die und den des Erzstifts Mainz aufs gründlichste zu studiren
und sowol als Geschäftsmann, als wenn es sein muß in anderer Qualität dem Staat und
Reich zu rnizen, und vor diesem Publicum in einem vortheilhaften Licht mich zu zeigen."

doch würd«! dieser Erwägung ein Ende gemacht, als ihn der Kurfürst 25, April
!788 zum wirklichen geheimen Legationsrath mit einem bedeutenden Gehalt
ernannte. Seine Stelle bei der Bibliothek erhielt auf seinen Vorschlag Georg
Forster/) den er schon in Kassel kennen gelernt hatte.")

Mittlerweile hatte sich im Fürstenbund die Stellung der Beteiligten ge¬
ändert i Mainz war jetzt der Treiber, und Preußen legte der Entwicklung
jedes mögliche Hinderniß in den Weg. Dieser Umschlag gab zu einer der
seltsamsten Staatsschristen Veranlassung, welche die deutsche Literatur kennt:
Deutschlands Erwartungen vom Fürstenbunde, (vollendet N). Mai
1 788), in welcher Müller zeigt, daß er recht klar und vernehmlich sprechen
kann, wenn es ihm einmal gelingt, das innere Zagen seines Herzens und
die Bedenken seiner Staatsklugheit zu überwinden. Schon in der Einleitung
geißelt er mit bitterm Spott die deutsche Gemüthlichkeit, die Neigung sich mit
blindem Vertrauen der ersten besten Phrase eines Fürsten hinzugeben. Dann
fährt er fort: „Wenn die deutsche Nation zu nichts Bessern dienen soll, als
den gegenwärtigen Kt-reuen <iun der Besitzungen zu erhalten, so ist sie uuter
den mancherlei politischen Operationen, die in Deutschland vorgenommen
wurden, wirklich die uninteressanteste. Sie ist wider die ewige Ordnung
Gottes und der Natur, nach der weder die physische noch moralische Welt
einen Augenblick im Ltirtu <imo verharren, sondern alles in Leben, ordent¬
licher Bewegung und Fortschreitung sein soll, um nicht durch Stockung in Ver¬
wesung überzugehn. Sie kann keinen vernünftigen Menschen interessiren.
Ohne Gesetz noch Justiz, ohne Sicherheit vor willkürlichen Auflagen; ungewiß
unsere Sohne, unsere Ehre, unsere Freiheiten und Rechte, unser Leben einen
lag zu erhalten; die hilflose Beute der Uebermacht, ohne wohlthätigen Zu¬
sammenhang, ohne Nationalgeist zu existiren, so gut bei solchen Umständen




') Heinse war auf seine und Incobis Verwendung schon 1786 als Vorleser des Kur¬
fürsten in Mainz angestellt.
") Durch diese Ernennung wurde auch seinen Studien eine andere Richtung gegeben. „Die
Geschichte der Schweiz, „schreibt er einige Zeit darauf an seinen Bruder," ist nur nur deswillen
sehr lieb, weil ich die besten und merkwürdigsten Sache» erst noch zu sagen, und über die
Darstellung viele ganz neue Gedanken habe. Allein auf der andern Seite 1) ist mir die Fort¬
setzung eines Wertes unangenehm, dessen erste Theile übel gerathen siud, Eile und manche
drückende Umstände, unter denen ich sie damals ausarbeiten mußte, haben die Dunkelheiten
und Härten des Ausdrucks veranlaßt, welche das Buch unleserlich machen; wenn die Folge
schon besser, doch würden die zwei ersten Theile allzeit abschrecken; 2) ist, sintemal die Schweiz
nicht das Geringste für mich thun will, noch wol kann, meine unmittelbare Pflicht, mich zum
geschickten Diener des mich ernährenden Landes zu qualificiren d. i. sowol die Verfassung
und den Zustand des Reichs als die und den des Erzstifts Mainz aufs gründlichste zu studiren
und sowol als Geschäftsmann, als wenn es sein muß in anderer Qualität dem Staat und
Reich zu rnizen, und vor diesem Publicum in einem vortheilhaften Licht mich zu zeigen."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/238>, abgerufen am 30.12.2024.