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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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am Rhein gestritten, und der ist nicht mehr ein vollkommener Staatsmann,
dessen Kenntniß und Blick nicht alle Staatenverhältnissc auf dem Erdboden
umfaßt/' Dieses Staatensystem, "worin die Macht unter mehre Fürsten-
thümer und Republiken so vertheilt ist, daß kein Staat ungerecht sein dürfe,
ist in einer bedenklichen, doch nicht verzweifelten Lage/' Es wird wiederum
durch Oestreich bedroht. Dieser Gefahr zu begegnen ist vor allein nöthig,
den Begriff der Ncichsgewnlt zu untersuchen. -- Müller läßt sich hier, mit
einer für jene Zeit ausfallenden Konsequenz, durch Chemnitz, den berühmten
Welsen des dreißigjährigen Krieges bestimmen. "Die Reichsverfassung ist
eine große Eidgenossenschaft ungleicher Mitglieder, die. bewogen durch den
Wechsel der Zeiten, sich zusammen einverstanden aus gemeines Recht und ge¬
meine Hilfe." -- Und wenn sie bedroht wird? -- "Jede Verfassung, welche
eine Erneuerung ihrer Kräfte nöthig hat, findet sie am besten in der Natur
ihres Grundsatzes: die Deutschen haben sich in allen Krisen durch Associationen
geholfen." -- Am größten ist die Gefahr, seit das Haus Lothringen in Oest¬
reich regiert. Ungescheut wird seitdem die Nichtigkeit aller Verträge, die aus¬
schließliche Berechtigung des momentan Zweckmäßiger gepredigt. Zunächst
empfinden die geistlichen Fürsten Kaiser Josephs Uebergriffe. Die Entscheidung
dieser. Fragen liegt in den "Gesetzen der katholischen Kirche, nach welchen
jene auf das Ewige und Innere zielende Macht, von der so viele Staaten
ihre erste Aufklärung und moralische Bildung haben, in den Bisthümern un¬
abhängig eristirt: ewig nach den Katholischen Lehren, und wenn sie umgeändert
werden müßte, (setzt doch der Protestant hinzu) gewiß nicht von Einem, son¬
dern durch die Nation, durch Geist und Kraft und nie mit Feuer und Schwert. "
"Wenn die Hierarchie ein Uebel wäre, besser doch als Despotie: sie sei eine
leimcrne Mauer, sie ists doch gegen Tyrannei. Der Priester hat sein Gesetz,
der Despot hat keines; jener beredet, letzterer zwingt; jener predigt Gott,
dieser sich. Man spricht wider den Papst, als ob ein so großes Unglück wäre,
wenn ein Aufseher der christlichen Moral dem Ehrgeiz und der Tyrannei be¬
fehlen könnte: bis hierher und nicht weiter! . . wider 00,000 ehelose Geist¬
liche, und nicht wider 100,000 ehelose Soldaten." "Ich bin weit entfernt,"
setzt Müller in der Anm. hinzu, "alles zu vertheidigen, aber das Aergste, das
Unverbesserlichste, der Tod alles Guten ist Despotismus, militärische Allein¬
herrschaft. Ich möchte den großen Geist, welcher die Kirchenreform bewirkte,
nicht unterdrücken, aber den unpolitischen Schultheologengeist, in den er aus¬
artet. Ich will keinen Protestanten katholisch machen, aber der Katholische
soll dürfen katholisch sein. Ich habe nichts dawider, daß für sein Gewissen
einer die Pfaffen und einer die Freigeister fürchtet; ich aber fürchte zwo
Millionen geübte Krieger gegen hilflose Rechte." -- Alle Stände werden durch


am Rhein gestritten, und der ist nicht mehr ein vollkommener Staatsmann,
dessen Kenntniß und Blick nicht alle Staatenverhältnissc auf dem Erdboden
umfaßt/' Dieses Staatensystem, „worin die Macht unter mehre Fürsten-
thümer und Republiken so vertheilt ist, daß kein Staat ungerecht sein dürfe,
ist in einer bedenklichen, doch nicht verzweifelten Lage/' Es wird wiederum
durch Oestreich bedroht. Dieser Gefahr zu begegnen ist vor allein nöthig,
den Begriff der Ncichsgewnlt zu untersuchen. — Müller läßt sich hier, mit
einer für jene Zeit ausfallenden Konsequenz, durch Chemnitz, den berühmten
Welsen des dreißigjährigen Krieges bestimmen. „Die Reichsverfassung ist
eine große Eidgenossenschaft ungleicher Mitglieder, die. bewogen durch den
Wechsel der Zeiten, sich zusammen einverstanden aus gemeines Recht und ge¬
meine Hilfe." — Und wenn sie bedroht wird? — „Jede Verfassung, welche
eine Erneuerung ihrer Kräfte nöthig hat, findet sie am besten in der Natur
ihres Grundsatzes: die Deutschen haben sich in allen Krisen durch Associationen
geholfen." — Am größten ist die Gefahr, seit das Haus Lothringen in Oest¬
reich regiert. Ungescheut wird seitdem die Nichtigkeit aller Verträge, die aus¬
schließliche Berechtigung des momentan Zweckmäßiger gepredigt. Zunächst
empfinden die geistlichen Fürsten Kaiser Josephs Uebergriffe. Die Entscheidung
dieser. Fragen liegt in den „Gesetzen der katholischen Kirche, nach welchen
jene auf das Ewige und Innere zielende Macht, von der so viele Staaten
ihre erste Aufklärung und moralische Bildung haben, in den Bisthümern un¬
abhängig eristirt: ewig nach den Katholischen Lehren, und wenn sie umgeändert
werden müßte, (setzt doch der Protestant hinzu) gewiß nicht von Einem, son¬
dern durch die Nation, durch Geist und Kraft und nie mit Feuer und Schwert. "
„Wenn die Hierarchie ein Uebel wäre, besser doch als Despotie: sie sei eine
leimcrne Mauer, sie ists doch gegen Tyrannei. Der Priester hat sein Gesetz,
der Despot hat keines; jener beredet, letzterer zwingt; jener predigt Gott,
dieser sich. Man spricht wider den Papst, als ob ein so großes Unglück wäre,
wenn ein Aufseher der christlichen Moral dem Ehrgeiz und der Tyrannei be¬
fehlen könnte: bis hierher und nicht weiter! . . wider 00,000 ehelose Geist¬
liche, und nicht wider 100,000 ehelose Soldaten." „Ich bin weit entfernt,"
setzt Müller in der Anm. hinzu, „alles zu vertheidigen, aber das Aergste, das
Unverbesserlichste, der Tod alles Guten ist Despotismus, militärische Allein¬
herrschaft. Ich möchte den großen Geist, welcher die Kirchenreform bewirkte,
nicht unterdrücken, aber den unpolitischen Schultheologengeist, in den er aus¬
artet. Ich will keinen Protestanten katholisch machen, aber der Katholische
soll dürfen katholisch sein. Ich habe nichts dawider, daß für sein Gewissen
einer die Pfaffen und einer die Freigeister fürchtet; ich aber fürchte zwo
Millionen geübte Krieger gegen hilflose Rechte." — Alle Stände werden durch


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[0236] am Rhein gestritten, und der ist nicht mehr ein vollkommener Staatsmann, dessen Kenntniß und Blick nicht alle Staatenverhältnissc auf dem Erdboden umfaßt/' Dieses Staatensystem, „worin die Macht unter mehre Fürsten- thümer und Republiken so vertheilt ist, daß kein Staat ungerecht sein dürfe, ist in einer bedenklichen, doch nicht verzweifelten Lage/' Es wird wiederum durch Oestreich bedroht. Dieser Gefahr zu begegnen ist vor allein nöthig, den Begriff der Ncichsgewnlt zu untersuchen. — Müller läßt sich hier, mit einer für jene Zeit ausfallenden Konsequenz, durch Chemnitz, den berühmten Welsen des dreißigjährigen Krieges bestimmen. „Die Reichsverfassung ist eine große Eidgenossenschaft ungleicher Mitglieder, die. bewogen durch den Wechsel der Zeiten, sich zusammen einverstanden aus gemeines Recht und ge¬ meine Hilfe." — Und wenn sie bedroht wird? — „Jede Verfassung, welche eine Erneuerung ihrer Kräfte nöthig hat, findet sie am besten in der Natur ihres Grundsatzes: die Deutschen haben sich in allen Krisen durch Associationen geholfen." — Am größten ist die Gefahr, seit das Haus Lothringen in Oest¬ reich regiert. Ungescheut wird seitdem die Nichtigkeit aller Verträge, die aus¬ schließliche Berechtigung des momentan Zweckmäßiger gepredigt. Zunächst empfinden die geistlichen Fürsten Kaiser Josephs Uebergriffe. Die Entscheidung dieser. Fragen liegt in den „Gesetzen der katholischen Kirche, nach welchen jene auf das Ewige und Innere zielende Macht, von der so viele Staaten ihre erste Aufklärung und moralische Bildung haben, in den Bisthümern un¬ abhängig eristirt: ewig nach den Katholischen Lehren, und wenn sie umgeändert werden müßte, (setzt doch der Protestant hinzu) gewiß nicht von Einem, son¬ dern durch die Nation, durch Geist und Kraft und nie mit Feuer und Schwert. " „Wenn die Hierarchie ein Uebel wäre, besser doch als Despotie: sie sei eine leimcrne Mauer, sie ists doch gegen Tyrannei. Der Priester hat sein Gesetz, der Despot hat keines; jener beredet, letzterer zwingt; jener predigt Gott, dieser sich. Man spricht wider den Papst, als ob ein so großes Unglück wäre, wenn ein Aufseher der christlichen Moral dem Ehrgeiz und der Tyrannei be¬ fehlen könnte: bis hierher und nicht weiter! . . wider 00,000 ehelose Geist¬ liche, und nicht wider 100,000 ehelose Soldaten." „Ich bin weit entfernt," setzt Müller in der Anm. hinzu, „alles zu vertheidigen, aber das Aergste, das Unverbesserlichste, der Tod alles Guten ist Despotismus, militärische Allein¬ herrschaft. Ich möchte den großen Geist, welcher die Kirchenreform bewirkte, nicht unterdrücken, aber den unpolitischen Schultheologengeist, in den er aus¬ artet. Ich will keinen Protestanten katholisch machen, aber der Katholische soll dürfen katholisch sein. Ich habe nichts dawider, daß für sein Gewissen einer die Pfaffen und einer die Freigeister fürchtet; ich aber fürchte zwo Millionen geübte Krieger gegen hilflose Rechte." — Alle Stände werden durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/236>, abgerufen am 21.12.2024.