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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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ropa nun ist, eine Vorlesung hielt, welche mein Vaterlandsgefühl gewiß zu
der beredtesten gemacht, welche ich in meinem Leben geschrieben, war nur fast
unmöglich, den Schluß derselben auszusprechen; die anwesenden Edeln aber
ließen theils Thränen fallen, theils begeisterte sie die Darstellung der Möglich¬
keit, ihrer Voreltern Freiheit und Namen zu erhalten . . . Diese Gesinnungen
waren keine vorüberfliegende Hitze: viele, diplomatisch und moralisch die edel¬
sten Jünglinge, haben ihre Väter gebeten, und suchen seit meiner Abreise
(21. Jan,) vor meiner gänzlichen Antretung des hiesigen Amtes zu bewirten,
daß, da die Langsamkeit republikanischer Formen in diesem Augenblick die
Errichtung einer Stelle sür mich nicht erlaube, die Geschlechter des alten Adels
und andere, welchen die Erhaltung der Verfassung besonders interessant ist,
aus deu Familienkassen mir ein Jahrgeld setzen, wodurch ich in den Stand
gesetzt werde, nach meiner Neigung die Zeit meines Lebens dem Vaterland
einig zu widmen . . . Ich indessen suche das letzte Ja hier zu verspäten, bis
ich den Erfolg ihrer Bemühung weiß. ." -- Der Entscheid für Mainz (Hos-
rathstitel, 1800 Gulden Gehalt, lOv Ducaten Reisegeld) kam 12. Fbr. 1780*)
einige Stunden eher an, als die berner Post; Müller schlug ein: "Der Mensch,
des Schicksals Ball, weiß selten, was er wünschen soll." "Wie ich höre," schreibt
Henne l. März 1780, "hat das Schicksal sür Mainz entschieden. Aber ums
Himmels willen, nun es einmal so ist, bleiben Sie standhaft in dem Beruf,
den Ihnen der Himmel zugeschickt hat! Sehen Sie nur nicht auf Bern zurück;
noch weniger lassen Sie sich in neuere Vorschläge ein; Sie könnten endlich
um guten Namen und an Zutrauen verlieren." 8. März: "Fast ist es so
gegangen/ wie ich es mir vorstellte: beide Berufungen trafen zusammen; aber
danken Sie doch Ihrem Schicksal, daß die Mainzer früher kam, die doch un¬
gleich solider ist, als die andere. Jetzt sind Sie zwar in einem schwärmerischen
Anfalle; ich zweifle, ob Gründe viel auf Sie wirken werden, und ob Sie nicht
das Spiel von Kassel und Genf wieder erneuern. Alle die Aussichten in Bern
sind schön, glänzend, herzerhebend -- so lange Sie sie träumen; aber das
Aufwachen würde wie in Genf sein ... In der Idee ist Ihre Existenz frei¬
lich in Bern herrlich! Aber Bern müßte in einer andern Welt liegen, wenn sich die
Idee realisiren sollte; in unsrer Welt kann nur die Phantasie so etwas erzeu¬
gen. -- In Mainz stellen Sie sich die Bibliothekeinrichtung zu leicht vor;
lassen Sie sich auch uur nicht durch jene Träume verleiten, die Arbeit ohne
Neigung zu übernehmen. Sie können als Bibliothekar erstaunend viel wirken.



) Das Datum kommt in seinem. Leben so oft vor, basi man bei seiner Neigung zur
Zahlenmystik mitunter argwöhnt, er habe dem Kalender nachgeholfen, -- Uebrigens dauerten
die Unterhandlungen mit Bern noch bis zum Dec, 1787 fort, dazu kamen andere mit Schaff-
Haufen, Der zweite Band seiner GeschielNe war dem Kurfürsten, der dritte dem Magistrat von
Schaffhausen gewidmet.

ropa nun ist, eine Vorlesung hielt, welche mein Vaterlandsgefühl gewiß zu
der beredtesten gemacht, welche ich in meinem Leben geschrieben, war nur fast
unmöglich, den Schluß derselben auszusprechen; die anwesenden Edeln aber
ließen theils Thränen fallen, theils begeisterte sie die Darstellung der Möglich¬
keit, ihrer Voreltern Freiheit und Namen zu erhalten . . . Diese Gesinnungen
waren keine vorüberfliegende Hitze: viele, diplomatisch und moralisch die edel¬
sten Jünglinge, haben ihre Väter gebeten, und suchen seit meiner Abreise
(21. Jan,) vor meiner gänzlichen Antretung des hiesigen Amtes zu bewirten,
daß, da die Langsamkeit republikanischer Formen in diesem Augenblick die
Errichtung einer Stelle sür mich nicht erlaube, die Geschlechter des alten Adels
und andere, welchen die Erhaltung der Verfassung besonders interessant ist,
aus deu Familienkassen mir ein Jahrgeld setzen, wodurch ich in den Stand
gesetzt werde, nach meiner Neigung die Zeit meines Lebens dem Vaterland
einig zu widmen . . . Ich indessen suche das letzte Ja hier zu verspäten, bis
ich den Erfolg ihrer Bemühung weiß. ." — Der Entscheid für Mainz (Hos-
rathstitel, 1800 Gulden Gehalt, lOv Ducaten Reisegeld) kam 12. Fbr. 1780*)
einige Stunden eher an, als die berner Post; Müller schlug ein: „Der Mensch,
des Schicksals Ball, weiß selten, was er wünschen soll." „Wie ich höre," schreibt
Henne l. März 1780, „hat das Schicksal sür Mainz entschieden. Aber ums
Himmels willen, nun es einmal so ist, bleiben Sie standhaft in dem Beruf,
den Ihnen der Himmel zugeschickt hat! Sehen Sie nur nicht auf Bern zurück;
noch weniger lassen Sie sich in neuere Vorschläge ein; Sie könnten endlich
um guten Namen und an Zutrauen verlieren." 8. März: „Fast ist es so
gegangen/ wie ich es mir vorstellte: beide Berufungen trafen zusammen; aber
danken Sie doch Ihrem Schicksal, daß die Mainzer früher kam, die doch un¬
gleich solider ist, als die andere. Jetzt sind Sie zwar in einem schwärmerischen
Anfalle; ich zweifle, ob Gründe viel auf Sie wirken werden, und ob Sie nicht
das Spiel von Kassel und Genf wieder erneuern. Alle die Aussichten in Bern
sind schön, glänzend, herzerhebend — so lange Sie sie träumen; aber das
Aufwachen würde wie in Genf sein ... In der Idee ist Ihre Existenz frei¬
lich in Bern herrlich! Aber Bern müßte in einer andern Welt liegen, wenn sich die
Idee realisiren sollte; in unsrer Welt kann nur die Phantasie so etwas erzeu¬
gen. — In Mainz stellen Sie sich die Bibliothekeinrichtung zu leicht vor;
lassen Sie sich auch uur nicht durch jene Träume verleiten, die Arbeit ohne
Neigung zu übernehmen. Sie können als Bibliothekar erstaunend viel wirken.



) Das Datum kommt in seinem. Leben so oft vor, basi man bei seiner Neigung zur
Zahlenmystik mitunter argwöhnt, er habe dem Kalender nachgeholfen, — Uebrigens dauerten
die Unterhandlungen mit Bern noch bis zum Dec, 1787 fort, dazu kamen andere mit Schaff-
Haufen, Der zweite Band seiner GeschielNe war dem Kurfürsten, der dritte dem Magistrat von
Schaffhausen gewidmet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/231>, abgerufen am 21.12.2024.