Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.Müllers Stil, so viel man gegen ihn einwenden kann, hat zuerst dem deutschen Nachdem Müller aus der Wanderschaft sein Wert vollendet, mußte er Müllers Stil, so viel man gegen ihn einwenden kann, hat zuerst dem deutschen Nachdem Müller aus der Wanderschaft sein Wert vollendet, mußte er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186642"/> <p xml:id="ID_531" prev="#ID_530"> Müllers Stil, so viel man gegen ihn einwenden kann, hat zuerst dem deutschen<lb/> Volk das Mittelalter in der Fülle seines Lebens und in seiner lebendigen Farbe<lb/> ausgeschlossen, namentlich das 14. und 15. Jahrhundert. Man denke daran,<lb/> daß die Dcclcnnationen zu Gunsten des Mittelalters erst um das Jahr 1803<lb/> beginnen, und daß diese Rhetorik nicht viel gefruchtet haben würde, wenn<lb/> man nicht zugleich auf ein für classisch geachtetes Geschichtswerk hätte hinweisen<lb/> können. Um zu erfahren, wie es im Mittelalter eigentlich aussah, fand man<lb/> in der Schweizergeschichte doch eine viel reichere Ausbeute als in sämmtlichen<lb/> Vorlesungen und Gedichten der romantischen Schule. Diese träumerische<lb/> Märchenwelt hatte keinen historischen Hintergrund, und die frühern deutschen<lb/> Geschichtschreiber, die alle dem Pragmatismus huldigten, hatten keine Farbe.<lb/> Aus Müller haben wir für das Mittelalter empfinden gelernt, und wenn sich<lb/> unsere Forschung seitdem vertieft hat, so ist das kein Grund, gegen ihn un¬<lb/> dankbar zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_532" next="#ID_533"> Nachdem Müller aus der Wanderschaft sein Wert vollendet, mußte er<lb/> dnrau denken, seinem Leben einen äußern Halt zu geben. Da er das Pein¬<lb/> liche seiner Lage zuweilen bitter empfand, obgleich seine Freunde, namentlich<lb/> Füßli, alles aufboten, sie ihm zu erleichtern, sah er sich unruhig nach allen<lb/> Seiten um, eine ähnliche Stelle zu finden, wie die er in Kassel so leichtsinnig<lb/> verscherzt. Endlich bot sich ihm eine bestimmte Aussicht. Diez, der gelehrte<lb/> Bibliothekar zu Mainz starb in der Mitte des Jahres 1785 und der Physiker<lb/> Sömmering, mit dem sich Müller in Kassel befreundet hatte und der jetzt<lb/> am kurfürstlichen Hof zu Mainz großes Ansehn besaß, dachte sofort an Müller.<lb/> Auch der Minister Freiherr von Benzel - Sternau wurde gewonnen. Am<lb/> eifrigsten verwandte sich Heyne für ihn (30. October 1785). Den 29. Nov.<lb/> schreibt Müller an Sömmering: „Wenn je irgend ein Protestant an einem<lb/> solchen Ort zu stehen verdient, so, dünkt mir, kann derjenige, welcher der erste<lb/> unter allen Protestanten dieser Zeit in den Reisen der Päpste die Hierarchie<lb/> vertheidigt, wol vorzüglichen Anspruch darauf machen. Ich bin gewissermaßen<lb/> ein Märtyrer derselben, da die allgemeine deutsche Bibliothek für gut befunden,<lb/> mich einer Verständniß mit den Jesuiten zu insimulircn, die zwar falsch ist,<lb/> die mir aber wenigstens zu Mainz nichts schaden soll." Nun kam es darauf<lb/> an, den Kurfürsten, der nicht gern dem Rath eines andern folgte, von selbst<lb/> ans diese Idee zu bringen und das führte Sömmering mit großem diplo¬<lb/> matischen Geschick aus. „Ich bekam," schreibt Müller an Dohm. „am 17. Jan.<lb/> 1786 einen eigenhändigen Brief des Kurfürsten, er sei geneigt, mir die Stelle<lb/> aufzutragen, und wünsche, daß ich baldigst nach Mainz komme. Dies versprach<lb/> ich zu thun. Alle meine Freunde bezeugten hierbei ihr Leid auf eine meinem<lb/> Herzen äußerst rührende Weise. Als ich aber endlich am vorletzten Tage meines<lb/> Aufenthalts im Vaterland (20. Jan.) noch einmal über die Krise, worin En-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
Müllers Stil, so viel man gegen ihn einwenden kann, hat zuerst dem deutschen
Volk das Mittelalter in der Fülle seines Lebens und in seiner lebendigen Farbe
ausgeschlossen, namentlich das 14. und 15. Jahrhundert. Man denke daran,
daß die Dcclcnnationen zu Gunsten des Mittelalters erst um das Jahr 1803
beginnen, und daß diese Rhetorik nicht viel gefruchtet haben würde, wenn
man nicht zugleich auf ein für classisch geachtetes Geschichtswerk hätte hinweisen
können. Um zu erfahren, wie es im Mittelalter eigentlich aussah, fand man
in der Schweizergeschichte doch eine viel reichere Ausbeute als in sämmtlichen
Vorlesungen und Gedichten der romantischen Schule. Diese träumerische
Märchenwelt hatte keinen historischen Hintergrund, und die frühern deutschen
Geschichtschreiber, die alle dem Pragmatismus huldigten, hatten keine Farbe.
Aus Müller haben wir für das Mittelalter empfinden gelernt, und wenn sich
unsere Forschung seitdem vertieft hat, so ist das kein Grund, gegen ihn un¬
dankbar zu sein.
Nachdem Müller aus der Wanderschaft sein Wert vollendet, mußte er
dnrau denken, seinem Leben einen äußern Halt zu geben. Da er das Pein¬
liche seiner Lage zuweilen bitter empfand, obgleich seine Freunde, namentlich
Füßli, alles aufboten, sie ihm zu erleichtern, sah er sich unruhig nach allen
Seiten um, eine ähnliche Stelle zu finden, wie die er in Kassel so leichtsinnig
verscherzt. Endlich bot sich ihm eine bestimmte Aussicht. Diez, der gelehrte
Bibliothekar zu Mainz starb in der Mitte des Jahres 1785 und der Physiker
Sömmering, mit dem sich Müller in Kassel befreundet hatte und der jetzt
am kurfürstlichen Hof zu Mainz großes Ansehn besaß, dachte sofort an Müller.
Auch der Minister Freiherr von Benzel - Sternau wurde gewonnen. Am
eifrigsten verwandte sich Heyne für ihn (30. October 1785). Den 29. Nov.
schreibt Müller an Sömmering: „Wenn je irgend ein Protestant an einem
solchen Ort zu stehen verdient, so, dünkt mir, kann derjenige, welcher der erste
unter allen Protestanten dieser Zeit in den Reisen der Päpste die Hierarchie
vertheidigt, wol vorzüglichen Anspruch darauf machen. Ich bin gewissermaßen
ein Märtyrer derselben, da die allgemeine deutsche Bibliothek für gut befunden,
mich einer Verständniß mit den Jesuiten zu insimulircn, die zwar falsch ist,
die mir aber wenigstens zu Mainz nichts schaden soll." Nun kam es darauf
an, den Kurfürsten, der nicht gern dem Rath eines andern folgte, von selbst
ans diese Idee zu bringen und das führte Sömmering mit großem diplo¬
matischen Geschick aus. „Ich bekam," schreibt Müller an Dohm. „am 17. Jan.
1786 einen eigenhändigen Brief des Kurfürsten, er sei geneigt, mir die Stelle
aufzutragen, und wünsche, daß ich baldigst nach Mainz komme. Dies versprach
ich zu thun. Alle meine Freunde bezeugten hierbei ihr Leid auf eine meinem
Herzen äußerst rührende Weise. Als ich aber endlich am vorletzten Tage meines
Aufenthalts im Vaterland (20. Jan.) noch einmal über die Krise, worin En-
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