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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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rebus betrachtet. Aufs eifrigste wurde er in seiner Arbeit von allen Classen
des Volks gefordert. Wenn er die Heldenthaten der Eidgenossen feierte, so
hatte er das glückliche Gefühl, einen lebendigen Gegenstand zu behandeln, denn
wie tief die Schweiz seit drei Jahrhunderten in ihrer Thatkraft gesunken war,
das Gedächtnis; hatte sie nicht verloren. Um wie viel günstiger war hier der
schweizer Geschichtschreiber gestellt, als der deutsche, der es unternahm, das
Mittelalter zu beschreiben. Dazu kam die höchst malerische Localität, die den
Ereignissen Farbe und Stimmung ungesucht entgegenbrachte. Die ganze
Geschichte hat einen einheitlichen Charakter, die Heldenthaten der Schweizer
bezogen sich fast durchweg auf die Abwehr fremder Eroberer, die großen Welt¬
händel hatten sie nicht berührt. Eine Kenntniß der europäischen Zustände
war wol wichtig, um mit Hilfe der Analogie die eignen Verfassungen besser
zu verstehen, im Uebrigen konnte der Geschichtschreiber in feiner Heimath bleiben
und dort jene Stetigkeit des Blicks gewinnen, die man auf einem sehr um¬
fangreichen Schauplatz mir zu leicht verliert. Und in dem Local seiner Ge¬
schichten war Müller so zu Hause, wie Homer in den Gegenden seiner Atlas.
Er wußte über jeden Berg, über jedes Dorf Rechenschaft zu geben. Auf sein
empfängliches Gemüth, welches noch dazu durch Hallers Dichtungen angeregt
war, hatten die Alpen einen mächtigen Eindruck gemacht; den er in seiner
Geschichte wiederzugeben suchte. In der That sind einzelne von seinen Alpen¬
bildern prachtvoll ausgeführt, es ist indeß die Frage, ob die Virtuosität der
historischen Malerei nicht über das Maß der Geschichtschreibung hinausgeht.
Jene Gemälde sind Reiseeindrücke; historisch motiviren sie nichts, und wenn
die Beschreibung fertig ist, läßt der Geschichtschreiber den Faden fallen. Selbst
da, wo die Localität für das Ereigniß maßgebend ist, z. B. bei Schlachten,
sieht die Landschaft mehr wie ein Ornament aus. Müller hatte nicht jenen
festen Blick, der schnell zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen unter¬
scheidet und nnr das erste verfolgt, er brachte den Thatsachen keine bestimm¬
ten Fragen und Gesichtspunkte entgegen, sondern ließ sich von ihnen leiten.
Seine Gemälde sind zuweilen überladen: er sucht alles, was ihm an Farbe
aufstößt, darin anzubringen und vergißt, daß der Maler wühlen muß, da
zuweilen eine Farbe die andere aufhebt. Seine Aufmerksamkeit ist zu unruhig
um an jenem festen Standpunkt zu haften, der allein eine geordnete Grup-
p"'ung möglich macht. --

Die kritischen Untersuchungen über das römische Zeitalter sind durch spätere
Schriftsteller vielfach überholt; sein Talent ging nicht nach dieser Seite und
man wird nicht selten an die fragmentarische Darstellung des cimbrischen
Krieges erinnert. Der leitende Gedanke ist der Haß gegen das Weltreich,
das alle individuelle Gestaltung zertrümmert. Viel bedeutender sind bereits
die Sittenschilderungen aus dem 10. und it. Jahrhundert, wobei ihm zu


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rebus betrachtet. Aufs eifrigste wurde er in seiner Arbeit von allen Classen
des Volks gefordert. Wenn er die Heldenthaten der Eidgenossen feierte, so
hatte er das glückliche Gefühl, einen lebendigen Gegenstand zu behandeln, denn
wie tief die Schweiz seit drei Jahrhunderten in ihrer Thatkraft gesunken war,
das Gedächtnis; hatte sie nicht verloren. Um wie viel günstiger war hier der
schweizer Geschichtschreiber gestellt, als der deutsche, der es unternahm, das
Mittelalter zu beschreiben. Dazu kam die höchst malerische Localität, die den
Ereignissen Farbe und Stimmung ungesucht entgegenbrachte. Die ganze
Geschichte hat einen einheitlichen Charakter, die Heldenthaten der Schweizer
bezogen sich fast durchweg auf die Abwehr fremder Eroberer, die großen Welt¬
händel hatten sie nicht berührt. Eine Kenntniß der europäischen Zustände
war wol wichtig, um mit Hilfe der Analogie die eignen Verfassungen besser
zu verstehen, im Uebrigen konnte der Geschichtschreiber in feiner Heimath bleiben
und dort jene Stetigkeit des Blicks gewinnen, die man auf einem sehr um¬
fangreichen Schauplatz mir zu leicht verliert. Und in dem Local seiner Ge¬
schichten war Müller so zu Hause, wie Homer in den Gegenden seiner Atlas.
Er wußte über jeden Berg, über jedes Dorf Rechenschaft zu geben. Auf sein
empfängliches Gemüth, welches noch dazu durch Hallers Dichtungen angeregt
war, hatten die Alpen einen mächtigen Eindruck gemacht; den er in seiner
Geschichte wiederzugeben suchte. In der That sind einzelne von seinen Alpen¬
bildern prachtvoll ausgeführt, es ist indeß die Frage, ob die Virtuosität der
historischen Malerei nicht über das Maß der Geschichtschreibung hinausgeht.
Jene Gemälde sind Reiseeindrücke; historisch motiviren sie nichts, und wenn
die Beschreibung fertig ist, läßt der Geschichtschreiber den Faden fallen. Selbst
da, wo die Localität für das Ereigniß maßgebend ist, z. B. bei Schlachten,
sieht die Landschaft mehr wie ein Ornament aus. Müller hatte nicht jenen
festen Blick, der schnell zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen unter¬
scheidet und nnr das erste verfolgt, er brachte den Thatsachen keine bestimm¬
ten Fragen und Gesichtspunkte entgegen, sondern ließ sich von ihnen leiten.
Seine Gemälde sind zuweilen überladen: er sucht alles, was ihm an Farbe
aufstößt, darin anzubringen und vergißt, daß der Maler wühlen muß, da
zuweilen eine Farbe die andere aufhebt. Seine Aufmerksamkeit ist zu unruhig
um an jenem festen Standpunkt zu haften, der allein eine geordnete Grup-
p"'ung möglich macht. —

Die kritischen Untersuchungen über das römische Zeitalter sind durch spätere
Schriftsteller vielfach überholt; sein Talent ging nicht nach dieser Seite und
man wird nicht selten an die fragmentarische Darstellung des cimbrischen
Krieges erinnert. Der leitende Gedanke ist der Haß gegen das Weltreich,
das alle individuelle Gestaltung zertrümmert. Viel bedeutender sind bereits
die Sittenschilderungen aus dem 10. und it. Jahrhundert, wobei ihm zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/227>, abgerufen am 30.12.2024.