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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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diese Thatsachen als nicht geschehen darzustellen, oder ihnen eine andere Be¬
deutung nachzuweisen. (5s geschieht dies hier gleichfalls erst durch eine Rede
des Vertheidigers und dann durch einen Zeugcnbeweis, den er selbst leitet
und dessen Eontrole durch das Kreuzverhör nun dem Ankläger zufällt. In
dem von uns besprochenen Staatsprocesse hatte die Vertheidigung sich mit
der Rede begnügt und auf den Gegenbeweis durch Zeugenaussagen freiwillig
verzichtet, um. wie Bernard schließlich selbst sagte, niemanden zu compromittiren,
höchstwahrscheinlich solche nicht, die noch der französischen Staatsgewalt erreich¬
bar waren. Die Rede des Bertheidigers Edwin James verfolgte nun zwei
Gesichtspunkte, den allgemein politischen, dessen Beziehungen nahe genug lagen,
und wobei die Appellation an das englische Nationalgefühl nicht ausbleiben
konnte, und den formell juristischen, indem sie die Bernardschen Beziehungen
zu Orsini und Genossen als auf einen Jnsurrcctionsversuch in Italien, nicht
als auf ein Attentat gegen die Person des französischen Kaisers gerichtet darstellte,
damit also zu verstehen gab , das; Orsini entweder den Vernard unter falschem
Vorgeben benutzt oder nachträglich seinen Plan verändert habe, und fand sich
in den Zeugenaussagen allerdings eine Lücke, insofern nicht nachgewiesen wer¬
den konnte, daß die von Bernard nach Brüssel besorgten Materialien dieselben
seien, die von Orsini in Paris verwandt waren.

Nachdem nun die Anklage noch einmal die Relevanz der von ihr behaup¬
teten und nachgewiesenen Thatsachen zum Zwecke der Verurtheilung nachzu¬
weisen versucht hatte, begann der Vorsitzende im Gericht. Lord Campbell, nicht
sowol ein Resumi';, als einen juristischen Leitfaden für die Geschwornen, in
welchem er diesen auseinandersetzte, daß sie "schuldig" zu erkennen hätten, falls
sie die zur Sprache gekommenen Thatsachen so, und "nicht schuldig", salls sie
sie in einem andern Lichte betrachteten. Würden sie, so erklärte er u. a. aus¬
drücklich, glauben, daß Bernard um das beabsichtigte Attentat gewußt und die Vor¬
bereitungen dazu mit getroffen hätte, so wäre er schuldig, hätte es sich dagegen für
ihn nur um einen Jnsurrcctionsversuch in Italien gehandelt, so könne die vor¬
liegende Anklage nicht bestehen. Man hat in dieser Wendung des Oberrichters
einen politischen Act erkennen wollen, indem er selbst der Jury das Mittel an
die Hand gab. wie sie Bernard freisprechen und dadurch ihn und seine Colle¬
ge" vor einer großen spätern Verlegenheit bewahren konnte; es liegt indeß
kein innerer Grund zu einer solchen Annahme vor, um so weniger, da dieses
ganze Verfahren durchaus den bei solchen Gelegenheiten beobachteten Gewohn¬
heiten entsprach. Lord Campbell konnte gar nicht umhin, die beiden mög¬
lichen Auffassungen grade desjenigen Punktes hervorzuheben, auf den der Ver¬
theidiger einen so großen Werth gelegt hatte, und der obendrein nach eng¬
lischer Rechtsübung von so großer Bedeutung war; es wäre selbst ein arger
juristischer Schnitzer gewesen, hätte er es unterlassen.


diese Thatsachen als nicht geschehen darzustellen, oder ihnen eine andere Be¬
deutung nachzuweisen. (5s geschieht dies hier gleichfalls erst durch eine Rede
des Vertheidigers und dann durch einen Zeugcnbeweis, den er selbst leitet
und dessen Eontrole durch das Kreuzverhör nun dem Ankläger zufällt. In
dem von uns besprochenen Staatsprocesse hatte die Vertheidigung sich mit
der Rede begnügt und auf den Gegenbeweis durch Zeugenaussagen freiwillig
verzichtet, um. wie Bernard schließlich selbst sagte, niemanden zu compromittiren,
höchstwahrscheinlich solche nicht, die noch der französischen Staatsgewalt erreich¬
bar waren. Die Rede des Bertheidigers Edwin James verfolgte nun zwei
Gesichtspunkte, den allgemein politischen, dessen Beziehungen nahe genug lagen,
und wobei die Appellation an das englische Nationalgefühl nicht ausbleiben
konnte, und den formell juristischen, indem sie die Bernardschen Beziehungen
zu Orsini und Genossen als auf einen Jnsurrcctionsversuch in Italien, nicht
als auf ein Attentat gegen die Person des französischen Kaisers gerichtet darstellte,
damit also zu verstehen gab , das; Orsini entweder den Vernard unter falschem
Vorgeben benutzt oder nachträglich seinen Plan verändert habe, und fand sich
in den Zeugenaussagen allerdings eine Lücke, insofern nicht nachgewiesen wer¬
den konnte, daß die von Bernard nach Brüssel besorgten Materialien dieselben
seien, die von Orsini in Paris verwandt waren.

Nachdem nun die Anklage noch einmal die Relevanz der von ihr behaup¬
teten und nachgewiesenen Thatsachen zum Zwecke der Verurtheilung nachzu¬
weisen versucht hatte, begann der Vorsitzende im Gericht. Lord Campbell, nicht
sowol ein Resumi';, als einen juristischen Leitfaden für die Geschwornen, in
welchem er diesen auseinandersetzte, daß sie „schuldig" zu erkennen hätten, falls
sie die zur Sprache gekommenen Thatsachen so, und „nicht schuldig", salls sie
sie in einem andern Lichte betrachteten. Würden sie, so erklärte er u. a. aus¬
drücklich, glauben, daß Bernard um das beabsichtigte Attentat gewußt und die Vor¬
bereitungen dazu mit getroffen hätte, so wäre er schuldig, hätte es sich dagegen für
ihn nur um einen Jnsurrcctionsversuch in Italien gehandelt, so könne die vor¬
liegende Anklage nicht bestehen. Man hat in dieser Wendung des Oberrichters
einen politischen Act erkennen wollen, indem er selbst der Jury das Mittel an
die Hand gab. wie sie Bernard freisprechen und dadurch ihn und seine Colle¬
ge» vor einer großen spätern Verlegenheit bewahren konnte; es liegt indeß
kein innerer Grund zu einer solchen Annahme vor, um so weniger, da dieses
ganze Verfahren durchaus den bei solchen Gelegenheiten beobachteten Gewohn¬
heiten entsprach. Lord Campbell konnte gar nicht umhin, die beiden mög¬
lichen Auffassungen grade desjenigen Punktes hervorzuheben, auf den der Ver¬
theidiger einen so großen Werth gelegt hatte, und der obendrein nach eng¬
lischer Rechtsübung von so großer Bedeutung war; es wäre selbst ein arger
juristischer Schnitzer gewesen, hätte er es unterlassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/222>, abgerufen am 21.12.2024.