Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Man wird es aus dem Bisherigen ziemlich begreiflich finden, das, die Jury
den Angeklagten für "nicht schuldig" erklärt hat; ihr Wnhrspruch war durch¬
aus auf der englischen Rechtsübung begründe!, der zufolge man einem An¬
geklagten gern die "Wohlthat des Zweifels" (bwretit ot ann>t.) zu gute kom¬
men läßt, ganz im Gegensatz zur deutschen Absowirung von der Instanz, wo
der Zweifel zum Nachtheil des Angeklagten ausgelegt wird. Ob und in wie
weit die Geschwornen politische Motive mit auf sich einwirken ließen, kann
natürlich nicht beurtheilt werden; während der fünf Tage des Processes waren
sie vollständig von der übrigen Welt getrennt, zwar auf Staatskosten verpflegt
und gelegentlich spazieren gehend, doch stets unter Aufsicht von Beamten, die
nichts Fremdes zuließen; aber immerhin mag die Stimmung, die sie mitbrachten
und die Stimmung der Zuhörer, wie sie sich freilich erst nach dem Wahrspruch,
aber dann mit so außerordentlicher Entschiedenheit kundgab, ihnen ihr Urtheil
erleichtert haben. Es ist von der englische" Presse hervorgehoben worden, daß
12 von beiden Theilen sorgfältig ausgewählte Männer schon in anderthalb
Stunden zu der vom englischen Gesetze geforderten Einstimmigkeit gelangt
waren.

Allerdings sind die funfzehn Oberrichter des Landes durch den Wahrspruch
der Geschwornen ans einer für sie etwas unbehaglichen Lage befreit worden;
man verlangte von ihnen nun nicht mehr einen Entscheid über die reservirten
Rechtsfragen, namentlich darüber, ob die Parlamentsacte, aus welcher die An¬
klage basirte, auch die Anwendung aus den vorliegenden Fall zuließ. Es ,se in
England möglich und auch schon vorgekommen, daß über einen Angeklagten das
"Schuldig" gesprochen wird, ohne daß es nachher dem Richter gelang, auch
die entsprechende Straft auffinden und erkennen zu können. Dieser Ausgang
wäre bei einem andern Wahrspruch der Geschwornen auch im Bernardschen
Processe sehr wohl möglich gewesen, worauf alsdann natürlich das Parla¬
ment für eine neue Gesetzgebung in Anspruch genommen worden wäre.

Die politischen Folgen der Freisprechung, wer kann die ermessen? Ist sie
eine von den Sünden, die der französische Kaiser nicht vergibt, nur daß ihm
jetzt noch die Gelegenheit fehlt. Sühne dafür zu fordern? Oder ist sie ein
Zeichen des Umschwungs, der sich in Europa vorbereitet? Wir sind geneigt,
den pariser Eorrespondenten englischer Blätter, nach denen der Ausgnng des
Bernardschen Processes in Frankreich vielfach eine stille Genugthuung hervor-
ttnmfen hat, größern Glauben zu schenken, als der Hinweisung des Eonstitu-
twnnel auf die allgemeine Erbitterung und Wuth darüber in Frankreich.
Und wenn wir die deutsche Presse ansehen, so haben selbst officielle Blätter
,hre Verwunderung über jenen Wahrspruch Mi genug, die Kreuzzeitung sogar
mit Befriedigung sich darüber geäußert. Der französische Kaiser steht wahr¬
lich nicht aus Rosen!


Man wird es aus dem Bisherigen ziemlich begreiflich finden, das, die Jury
den Angeklagten für „nicht schuldig" erklärt hat; ihr Wnhrspruch war durch¬
aus auf der englischen Rechtsübung begründe!, der zufolge man einem An¬
geklagten gern die „Wohlthat des Zweifels" (bwretit ot ann>t.) zu gute kom¬
men läßt, ganz im Gegensatz zur deutschen Absowirung von der Instanz, wo
der Zweifel zum Nachtheil des Angeklagten ausgelegt wird. Ob und in wie
weit die Geschwornen politische Motive mit auf sich einwirken ließen, kann
natürlich nicht beurtheilt werden; während der fünf Tage des Processes waren
sie vollständig von der übrigen Welt getrennt, zwar auf Staatskosten verpflegt
und gelegentlich spazieren gehend, doch stets unter Aufsicht von Beamten, die
nichts Fremdes zuließen; aber immerhin mag die Stimmung, die sie mitbrachten
und die Stimmung der Zuhörer, wie sie sich freilich erst nach dem Wahrspruch,
aber dann mit so außerordentlicher Entschiedenheit kundgab, ihnen ihr Urtheil
erleichtert haben. Es ist von der englische» Presse hervorgehoben worden, daß
12 von beiden Theilen sorgfältig ausgewählte Männer schon in anderthalb
Stunden zu der vom englischen Gesetze geforderten Einstimmigkeit gelangt
waren.

Allerdings sind die funfzehn Oberrichter des Landes durch den Wahrspruch
der Geschwornen ans einer für sie etwas unbehaglichen Lage befreit worden;
man verlangte von ihnen nun nicht mehr einen Entscheid über die reservirten
Rechtsfragen, namentlich darüber, ob die Parlamentsacte, aus welcher die An¬
klage basirte, auch die Anwendung aus den vorliegenden Fall zuließ. Es ,se in
England möglich und auch schon vorgekommen, daß über einen Angeklagten das
„Schuldig" gesprochen wird, ohne daß es nachher dem Richter gelang, auch
die entsprechende Straft auffinden und erkennen zu können. Dieser Ausgang
wäre bei einem andern Wahrspruch der Geschwornen auch im Bernardschen
Processe sehr wohl möglich gewesen, worauf alsdann natürlich das Parla¬
ment für eine neue Gesetzgebung in Anspruch genommen worden wäre.

Die politischen Folgen der Freisprechung, wer kann die ermessen? Ist sie
eine von den Sünden, die der französische Kaiser nicht vergibt, nur daß ihm
jetzt noch die Gelegenheit fehlt. Sühne dafür zu fordern? Oder ist sie ein
Zeichen des Umschwungs, der sich in Europa vorbereitet? Wir sind geneigt,
den pariser Eorrespondenten englischer Blätter, nach denen der Ausgnng des
Bernardschen Processes in Frankreich vielfach eine stille Genugthuung hervor-
ttnmfen hat, größern Glauben zu schenken, als der Hinweisung des Eonstitu-
twnnel auf die allgemeine Erbitterung und Wuth darüber in Frankreich.
Und wenn wir die deutsche Presse ansehen, so haben selbst officielle Blätter
,hre Verwunderung über jenen Wahrspruch Mi genug, die Kreuzzeitung sogar
mit Befriedigung sich darüber geäußert. Der französische Kaiser steht wahr¬
lich nicht aus Rosen!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186635"/>
          <p xml:id="ID_518"> Man wird es aus dem Bisherigen ziemlich begreiflich finden, das, die Jury<lb/>
den Angeklagten für &#x201E;nicht schuldig" erklärt hat; ihr Wnhrspruch war durch¬<lb/>
aus auf der englischen Rechtsübung begründe!, der zufolge man einem An¬<lb/>
geklagten gern die &#x201E;Wohlthat des Zweifels" (bwretit ot ann&gt;t.) zu gute kom¬<lb/>
men läßt, ganz im Gegensatz zur deutschen Absowirung von der Instanz, wo<lb/>
der Zweifel zum Nachtheil des Angeklagten ausgelegt wird. Ob und in wie<lb/>
weit die Geschwornen politische Motive mit auf sich einwirken ließen, kann<lb/>
natürlich nicht beurtheilt werden; während der fünf Tage des Processes waren<lb/>
sie vollständig von der übrigen Welt getrennt, zwar auf Staatskosten verpflegt<lb/>
und gelegentlich spazieren gehend, doch stets unter Aufsicht von Beamten, die<lb/>
nichts Fremdes zuließen; aber immerhin mag die Stimmung, die sie mitbrachten<lb/>
und die Stimmung der Zuhörer, wie sie sich freilich erst nach dem Wahrspruch,<lb/>
aber dann mit so außerordentlicher Entschiedenheit kundgab, ihnen ihr Urtheil<lb/>
erleichtert haben. Es ist von der englische» Presse hervorgehoben worden, daß<lb/>
12 von beiden Theilen sorgfältig ausgewählte Männer schon in anderthalb<lb/>
Stunden zu der vom englischen Gesetze geforderten Einstimmigkeit gelangt<lb/>
waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_519"> Allerdings sind die funfzehn Oberrichter des Landes durch den Wahrspruch<lb/>
der Geschwornen ans einer für sie etwas unbehaglichen Lage befreit worden;<lb/>
man verlangte von ihnen nun nicht mehr einen Entscheid über die reservirten<lb/>
Rechtsfragen, namentlich darüber, ob die Parlamentsacte, aus welcher die An¬<lb/>
klage basirte, auch die Anwendung aus den vorliegenden Fall zuließ. Es ,se in<lb/>
England möglich und auch schon vorgekommen, daß über einen Angeklagten das<lb/>
&#x201E;Schuldig" gesprochen wird, ohne daß es nachher dem Richter gelang, auch<lb/>
die entsprechende Straft auffinden und erkennen zu können. Dieser Ausgang<lb/>
wäre bei einem andern Wahrspruch der Geschwornen auch im Bernardschen<lb/>
Processe sehr wohl möglich gewesen, worauf alsdann natürlich das Parla¬<lb/>
ment für eine neue Gesetzgebung in Anspruch genommen worden wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_520"> Die politischen Folgen der Freisprechung, wer kann die ermessen? Ist sie<lb/>
eine von den Sünden, die der französische Kaiser nicht vergibt, nur daß ihm<lb/>
jetzt noch die Gelegenheit fehlt. Sühne dafür zu fordern? Oder ist sie ein<lb/>
Zeichen des Umschwungs, der sich in Europa vorbereitet? Wir sind geneigt,<lb/>
den pariser Eorrespondenten englischer Blätter, nach denen der Ausgnng des<lb/>
Bernardschen Processes in Frankreich vielfach eine stille Genugthuung hervor-<lb/>
ttnmfen hat, größern Glauben zu schenken, als der Hinweisung des Eonstitu-<lb/>
twnnel auf die allgemeine Erbitterung und Wuth darüber in Frankreich.<lb/>
Und wenn wir die deutsche Presse ansehen, so haben selbst officielle Blätter<lb/>
,hre Verwunderung über jenen Wahrspruch Mi genug, die Kreuzzeitung sogar<lb/>
mit Befriedigung sich darüber geäußert. Der französische Kaiser steht wahr¬<lb/>
lich nicht aus Rosen!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0223] Man wird es aus dem Bisherigen ziemlich begreiflich finden, das, die Jury den Angeklagten für „nicht schuldig" erklärt hat; ihr Wnhrspruch war durch¬ aus auf der englischen Rechtsübung begründe!, der zufolge man einem An¬ geklagten gern die „Wohlthat des Zweifels" (bwretit ot ann>t.) zu gute kom¬ men läßt, ganz im Gegensatz zur deutschen Absowirung von der Instanz, wo der Zweifel zum Nachtheil des Angeklagten ausgelegt wird. Ob und in wie weit die Geschwornen politische Motive mit auf sich einwirken ließen, kann natürlich nicht beurtheilt werden; während der fünf Tage des Processes waren sie vollständig von der übrigen Welt getrennt, zwar auf Staatskosten verpflegt und gelegentlich spazieren gehend, doch stets unter Aufsicht von Beamten, die nichts Fremdes zuließen; aber immerhin mag die Stimmung, die sie mitbrachten und die Stimmung der Zuhörer, wie sie sich freilich erst nach dem Wahrspruch, aber dann mit so außerordentlicher Entschiedenheit kundgab, ihnen ihr Urtheil erleichtert haben. Es ist von der englische» Presse hervorgehoben worden, daß 12 von beiden Theilen sorgfältig ausgewählte Männer schon in anderthalb Stunden zu der vom englischen Gesetze geforderten Einstimmigkeit gelangt waren. Allerdings sind die funfzehn Oberrichter des Landes durch den Wahrspruch der Geschwornen ans einer für sie etwas unbehaglichen Lage befreit worden; man verlangte von ihnen nun nicht mehr einen Entscheid über die reservirten Rechtsfragen, namentlich darüber, ob die Parlamentsacte, aus welcher die An¬ klage basirte, auch die Anwendung aus den vorliegenden Fall zuließ. Es ,se in England möglich und auch schon vorgekommen, daß über einen Angeklagten das „Schuldig" gesprochen wird, ohne daß es nachher dem Richter gelang, auch die entsprechende Straft auffinden und erkennen zu können. Dieser Ausgang wäre bei einem andern Wahrspruch der Geschwornen auch im Bernardschen Processe sehr wohl möglich gewesen, worauf alsdann natürlich das Parla¬ ment für eine neue Gesetzgebung in Anspruch genommen worden wäre. Die politischen Folgen der Freisprechung, wer kann die ermessen? Ist sie eine von den Sünden, die der französische Kaiser nicht vergibt, nur daß ihm jetzt noch die Gelegenheit fehlt. Sühne dafür zu fordern? Oder ist sie ein Zeichen des Umschwungs, der sich in Europa vorbereitet? Wir sind geneigt, den pariser Eorrespondenten englischer Blätter, nach denen der Ausgnng des Bernardschen Processes in Frankreich vielfach eine stille Genugthuung hervor- ttnmfen hat, größern Glauben zu schenken, als der Hinweisung des Eonstitu- twnnel auf die allgemeine Erbitterung und Wuth darüber in Frankreich. Und wenn wir die deutsche Presse ansehen, so haben selbst officielle Blätter ,hre Verwunderung über jenen Wahrspruch Mi genug, die Kreuzzeitung sogar mit Befriedigung sich darüber geäußert. Der französische Kaiser steht wahr¬ lich nicht aus Rosen!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/223
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/223>, abgerufen am 30.12.2024.