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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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eines allgemeinen Princips sein kann-- nicht weiter; die Selten aberhaben
einen solchen Schwerpunkt in ihrem Hebraismns; um diesen haben sie sich
sest gelagert; an-ihn klammern sie sich an; hier lasten sie mit ihrem ganzen
Gewichte; das ist ihre unangreifbare Position. Und so bilden sie in jeder
Lebensfrage die logio wuans, die sich vor den Thoren der Hochkirche, --
deren gesetzliche Uebermacht sie noch immer als ihre Lehnsherrin betrach¬
ten, ovschon sie längst in krasser Felonie von ihr abgefallen, -- aufstellt, um
für das Palladium zu fechten, während die alte Herrin ihnen nur als Rück¬
halt dient und ihre Stellung, deckt. Mag es für möglich gehalten werden
oder nicht? aber diese Myrmidonen sind die echte Leibgarde und Schutzwache
der verwitweten Konigin. die schreienden Gänse des schlummernden Capitols.
-- Und wo sollte unter diesen Umstünden die Sonntagsrcsorm Boden finden?
Welche Chancen hatte ein solcher Versuch? Und konnte derselbe zu einem Erfolge
führen ? -- Wir haben vorläufig nur den Grund für den Ausgang jener par¬
lamentarischen Debatte darlegen wollen. Unser ferneres Ziel ist, den Leweis
zu liefern, daß ein neuer, allgemeinerer Geist auch dieses Volk zu beleben
und aus seinem träunievollen Halbschlafe zu wecken versucht; daß die "Mor¬
gendämmerung" einer schöneren Zeit auch hier aufgegangen ist. Und dies
führt uns auf d>e vierte Stufe. Die Sabbatnrier -- wie sie sich mit Selbst¬
gefälligkeit zu nennen belieben--siegten, weil sie eine geschlossene Partei bilden,
die für einen Zweck wie der vorliegende Himmel und Erde in Bewegung setzt
und Nacht und Tag thätig ist. Die Liberalen erlagen aus einem absoluten
Mangel an Organisation. Denn der Liberalismus auf religiösem Gebiete ist
zwar in England nichts absolut Neues; allein die Furcht vor der öffentlichen
Meinung hat bisher Menschen, die gegen sich selbst aufrichtig genug zur Wahr¬
heit waren, getrieben, das allgemeine Spiel zum Schein mitzuspielen. Der
religiöse Liberalismus blieb eine persönliche, private Sache. Damit hat es
nun aber ein Ende. Die Discussion auf dem Gebiete der praktischen Vernunft
hat auch in Religionssachen begonnen; und schon ist es ein Zeichen großer
geistiger Umwandlung, daß der Mann seine Meinungen zu vertreten wagen
kann. Man erwarte aber diesen Fortschritt von keiner falschen Seite.

England ist als das Land des Materialismus bekannt. Die materiali¬
stischen Philosophen Deutschlands mögen mit gewaltigerer Hand an der Offen¬
barung und dem theoretischem Ehristenthnme rütteln; die praktischen Materia¬
listen haben schon längst diesen Ban von Innen heraus zerbröckelt. Jeue
versenken sich so tief und leidenschaftlich in die Wunder und Geheimnisse der
sinnlichen Welt, daß sie nur einen Schritt zu thun brauchen, um in eine
neue Welt der Wunder hineinzutreten; sie stehen gleichfalls wieder an der
Schwelle einer neuen Offenbarung; diese dagegen auf ihrem reellen Boden,
lassen sich von keinem Phantom des Gemüthes oder der forschenden Idee be-


eines allgemeinen Princips sein kann— nicht weiter; die Selten aberhaben
einen solchen Schwerpunkt in ihrem Hebraismns; um diesen haben sie sich
sest gelagert; an-ihn klammern sie sich an; hier lasten sie mit ihrem ganzen
Gewichte; das ist ihre unangreifbare Position. Und so bilden sie in jeder
Lebensfrage die logio wuans, die sich vor den Thoren der Hochkirche, —
deren gesetzliche Uebermacht sie noch immer als ihre Lehnsherrin betrach¬
ten, ovschon sie längst in krasser Felonie von ihr abgefallen, — aufstellt, um
für das Palladium zu fechten, während die alte Herrin ihnen nur als Rück¬
halt dient und ihre Stellung, deckt. Mag es für möglich gehalten werden
oder nicht? aber diese Myrmidonen sind die echte Leibgarde und Schutzwache
der verwitweten Konigin. die schreienden Gänse des schlummernden Capitols.
— Und wo sollte unter diesen Umstünden die Sonntagsrcsorm Boden finden?
Welche Chancen hatte ein solcher Versuch? Und konnte derselbe zu einem Erfolge
führen ? — Wir haben vorläufig nur den Grund für den Ausgang jener par¬
lamentarischen Debatte darlegen wollen. Unser ferneres Ziel ist, den Leweis
zu liefern, daß ein neuer, allgemeinerer Geist auch dieses Volk zu beleben
und aus seinem träunievollen Halbschlafe zu wecken versucht; daß die „Mor¬
gendämmerung" einer schöneren Zeit auch hier aufgegangen ist. Und dies
führt uns auf d>e vierte Stufe. Die Sabbatnrier — wie sie sich mit Selbst¬
gefälligkeit zu nennen belieben—siegten, weil sie eine geschlossene Partei bilden,
die für einen Zweck wie der vorliegende Himmel und Erde in Bewegung setzt
und Nacht und Tag thätig ist. Die Liberalen erlagen aus einem absoluten
Mangel an Organisation. Denn der Liberalismus auf religiösem Gebiete ist
zwar in England nichts absolut Neues; allein die Furcht vor der öffentlichen
Meinung hat bisher Menschen, die gegen sich selbst aufrichtig genug zur Wahr¬
heit waren, getrieben, das allgemeine Spiel zum Schein mitzuspielen. Der
religiöse Liberalismus blieb eine persönliche, private Sache. Damit hat es
nun aber ein Ende. Die Discussion auf dem Gebiete der praktischen Vernunft
hat auch in Religionssachen begonnen; und schon ist es ein Zeichen großer
geistiger Umwandlung, daß der Mann seine Meinungen zu vertreten wagen
kann. Man erwarte aber diesen Fortschritt von keiner falschen Seite.

England ist als das Land des Materialismus bekannt. Die materiali¬
stischen Philosophen Deutschlands mögen mit gewaltigerer Hand an der Offen¬
barung und dem theoretischem Ehristenthnme rütteln; die praktischen Materia¬
listen haben schon längst diesen Ban von Innen heraus zerbröckelt. Jeue
versenken sich so tief und leidenschaftlich in die Wunder und Geheimnisse der
sinnlichen Welt, daß sie nur einen Schritt zu thun brauchen, um in eine
neue Welt der Wunder hineinzutreten; sie stehen gleichfalls wieder an der
Schwelle einer neuen Offenbarung; diese dagegen auf ihrem reellen Boden,
lassen sich von keinem Phantom des Gemüthes oder der forschenden Idee be-


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[0184] eines allgemeinen Princips sein kann— nicht weiter; die Selten aberhaben einen solchen Schwerpunkt in ihrem Hebraismns; um diesen haben sie sich sest gelagert; an-ihn klammern sie sich an; hier lasten sie mit ihrem ganzen Gewichte; das ist ihre unangreifbare Position. Und so bilden sie in jeder Lebensfrage die logio wuans, die sich vor den Thoren der Hochkirche, — deren gesetzliche Uebermacht sie noch immer als ihre Lehnsherrin betrach¬ ten, ovschon sie längst in krasser Felonie von ihr abgefallen, — aufstellt, um für das Palladium zu fechten, während die alte Herrin ihnen nur als Rück¬ halt dient und ihre Stellung, deckt. Mag es für möglich gehalten werden oder nicht? aber diese Myrmidonen sind die echte Leibgarde und Schutzwache der verwitweten Konigin. die schreienden Gänse des schlummernden Capitols. — Und wo sollte unter diesen Umstünden die Sonntagsrcsorm Boden finden? Welche Chancen hatte ein solcher Versuch? Und konnte derselbe zu einem Erfolge führen ? — Wir haben vorläufig nur den Grund für den Ausgang jener par¬ lamentarischen Debatte darlegen wollen. Unser ferneres Ziel ist, den Leweis zu liefern, daß ein neuer, allgemeinerer Geist auch dieses Volk zu beleben und aus seinem träunievollen Halbschlafe zu wecken versucht; daß die „Mor¬ gendämmerung" einer schöneren Zeit auch hier aufgegangen ist. Und dies führt uns auf d>e vierte Stufe. Die Sabbatnrier — wie sie sich mit Selbst¬ gefälligkeit zu nennen belieben—siegten, weil sie eine geschlossene Partei bilden, die für einen Zweck wie der vorliegende Himmel und Erde in Bewegung setzt und Nacht und Tag thätig ist. Die Liberalen erlagen aus einem absoluten Mangel an Organisation. Denn der Liberalismus auf religiösem Gebiete ist zwar in England nichts absolut Neues; allein die Furcht vor der öffentlichen Meinung hat bisher Menschen, die gegen sich selbst aufrichtig genug zur Wahr¬ heit waren, getrieben, das allgemeine Spiel zum Schein mitzuspielen. Der religiöse Liberalismus blieb eine persönliche, private Sache. Damit hat es nun aber ein Ende. Die Discussion auf dem Gebiete der praktischen Vernunft hat auch in Religionssachen begonnen; und schon ist es ein Zeichen großer geistiger Umwandlung, daß der Mann seine Meinungen zu vertreten wagen kann. Man erwarte aber diesen Fortschritt von keiner falschen Seite. England ist als das Land des Materialismus bekannt. Die materiali¬ stischen Philosophen Deutschlands mögen mit gewaltigerer Hand an der Offen¬ barung und dem theoretischem Ehristenthnme rütteln; die praktischen Materia¬ listen haben schon längst diesen Ban von Innen heraus zerbröckelt. Jeue versenken sich so tief und leidenschaftlich in die Wunder und Geheimnisse der sinnlichen Welt, daß sie nur einen Schritt zu thun brauchen, um in eine neue Welt der Wunder hineinzutreten; sie stehen gleichfalls wieder an der Schwelle einer neuen Offenbarung; diese dagegen auf ihrem reellen Boden, lassen sich von keinem Phantom des Gemüthes oder der forschenden Idee be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/184>, abgerufen am 21.12.2024.