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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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sterung vermischt. Durch das letztere zieht sich der Ton der Belehrung und
Ermahnung, der überhaupt das Wesen unseres Religionsgründers ausmacht;
es spricht zum Gemüthe- die ersteren erscheinen im vollen Pomp eines hierar¬
chischen Auszuges; eine stolze Reihe von Helden, Priestern, .Königen, Pro¬
pheten wandelt um uns vorbei; das Schicksal eines ganzen Volkes, zusammen-
gefaßt im Brennpunkte unseres Glaubens, entwickelt sich folgerecht: und das
alles spricht mächtig zur Phantasie. Im neuen Testamente liegt das Mate¬
rial nur zerstreut und ungeordnet vor; das alte zeigt den fertigen Bau der
Gottesherrschaft. Das neue Testament neigt zur Vereinzelung, Reflexion
und äußeren Stille, das alte predigt Gesammtheit, Kampf, Arbeit. Alles
das macht das alte Testament zu einem unberechenbaren Schatz für religiöse
(Äserer. Und auf welche Weise ist derselbe in England ausgebeutet worden!
Das nicht protestantische Frankreich rief Rom zu seinem Vorbilde der Freiheit
und Gleichheit aus. Die Geister der Brutus, Marias und Cäsar wanderten
spukend durch die Straßen von Paris. Das protestantische England, hundert¬
zwanzig Jahre früher, griff zum alten Testamente. Wenn der Protestantis¬
mus ein kämpfendes Heroenzeitalter erlebt hat, so ist es im Puritanismus.
Dieser in Schottland geborene Sonderling hatte sich gradezu vorgesetzt, die
Zeiten Josuas und der Richter wieder herauszurufen. Gideons Schwert, das
auch der unglückliche Thomas Münzer den Bauern des Eichsfeldes im Jahre
1525 vorantmg, schlug die Schlachten der Republikaner; die Widersacher waren
die Amalekiter und Philister; genug, die Auserwählten, grade wie die Kinder
Israel, fühlten sich in dem Gedränge der tobenden Heiden erst dann recht
sicher, als sie sich auf dem vollen Wege sahen, das Gleichniß zu erfüllen.
Es war aber in der That nicht blos äußere Aehnlichkeit, was dadurch her¬
gestellt ward. Ein blindes, unbedingtes Vertrauen in die Kraft des Glaubens,
eine rauhe Frömmigkeit der fechtenden Heiligen und ein Geist der Selbstver¬
leugnung, der ans Erhabene grenzt, wenn ein ganzes Volk ihn in solcher
Weise durchführt, und der allein die ungeheuren Erfolge jenes Zeitalters er¬
klärt, waren die natürlichen Begleiter. Mit einem Schlage machten die Pu¬
ritaner dem "lustigen alten England", von dem die Geschichte der zügellosen
Stuarts so viel zu erzählen weiß, ein Ende und führten jene herben Sitten
und Lebensansichten ein. welche soviel zur Größe Englands beigetragen haben,
nnn aber, in neuester Zeit, als unverträglich mit dem Geiste des Jahrhunderts
bekämpft werden. -- In diese Spuren nun sind fast alle Sekten Englands
getreten und bekennen sich zu demselben Geiste. In ihrer Verwandtschaft mit
dem Judenthume erkennen sie das Palladium ihres Daseins und ihrer Kraft.

Aus dem vorliegenden Bilde ergibt sich, ans welche Seite in öffentlichen
Fragen, das religiöse Leben des Volkes betreffend, die Entscheidung fallen
muß. Die Hochkirche ist so stabil, als man ohne den festen Schwerpunkt


sterung vermischt. Durch das letztere zieht sich der Ton der Belehrung und
Ermahnung, der überhaupt das Wesen unseres Religionsgründers ausmacht;
es spricht zum Gemüthe- die ersteren erscheinen im vollen Pomp eines hierar¬
chischen Auszuges; eine stolze Reihe von Helden, Priestern, .Königen, Pro¬
pheten wandelt um uns vorbei; das Schicksal eines ganzen Volkes, zusammen-
gefaßt im Brennpunkte unseres Glaubens, entwickelt sich folgerecht: und das
alles spricht mächtig zur Phantasie. Im neuen Testamente liegt das Mate¬
rial nur zerstreut und ungeordnet vor; das alte zeigt den fertigen Bau der
Gottesherrschaft. Das neue Testament neigt zur Vereinzelung, Reflexion
und äußeren Stille, das alte predigt Gesammtheit, Kampf, Arbeit. Alles
das macht das alte Testament zu einem unberechenbaren Schatz für religiöse
(Äserer. Und auf welche Weise ist derselbe in England ausgebeutet worden!
Das nicht protestantische Frankreich rief Rom zu seinem Vorbilde der Freiheit
und Gleichheit aus. Die Geister der Brutus, Marias und Cäsar wanderten
spukend durch die Straßen von Paris. Das protestantische England, hundert¬
zwanzig Jahre früher, griff zum alten Testamente. Wenn der Protestantis¬
mus ein kämpfendes Heroenzeitalter erlebt hat, so ist es im Puritanismus.
Dieser in Schottland geborene Sonderling hatte sich gradezu vorgesetzt, die
Zeiten Josuas und der Richter wieder herauszurufen. Gideons Schwert, das
auch der unglückliche Thomas Münzer den Bauern des Eichsfeldes im Jahre
1525 vorantmg, schlug die Schlachten der Republikaner; die Widersacher waren
die Amalekiter und Philister; genug, die Auserwählten, grade wie die Kinder
Israel, fühlten sich in dem Gedränge der tobenden Heiden erst dann recht
sicher, als sie sich auf dem vollen Wege sahen, das Gleichniß zu erfüllen.
Es war aber in der That nicht blos äußere Aehnlichkeit, was dadurch her¬
gestellt ward. Ein blindes, unbedingtes Vertrauen in die Kraft des Glaubens,
eine rauhe Frömmigkeit der fechtenden Heiligen und ein Geist der Selbstver¬
leugnung, der ans Erhabene grenzt, wenn ein ganzes Volk ihn in solcher
Weise durchführt, und der allein die ungeheuren Erfolge jenes Zeitalters er¬
klärt, waren die natürlichen Begleiter. Mit einem Schlage machten die Pu¬
ritaner dem „lustigen alten England", von dem die Geschichte der zügellosen
Stuarts so viel zu erzählen weiß, ein Ende und führten jene herben Sitten
und Lebensansichten ein. welche soviel zur Größe Englands beigetragen haben,
nnn aber, in neuester Zeit, als unverträglich mit dem Geiste des Jahrhunderts
bekämpft werden. — In diese Spuren nun sind fast alle Sekten Englands
getreten und bekennen sich zu demselben Geiste. In ihrer Verwandtschaft mit
dem Judenthume erkennen sie das Palladium ihres Daseins und ihrer Kraft.

Aus dem vorliegenden Bilde ergibt sich, ans welche Seite in öffentlichen
Fragen, das religiöse Leben des Volkes betreffend, die Entscheidung fallen
muß. Die Hochkirche ist so stabil, als man ohne den festen Schwerpunkt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/183>, abgerufen am 21.12.2024.