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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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unruhigen, sie streben einem gewissen Ziele zu, das in seinem irdischen Glänze
ihre ganze Seele ausfüllt/ Sie reden vom ewigen Frieden und meinen da¬
mit die Baumwollcnmanufactur, von Humanität und Menschenliebe, und
meinen ungestörten Opium- und Thceaustausch; von der Freiheit europäischer
Nationen, und meinen damit die Alleinherrschaft Englands zur See. Macht
ihnen begreiflich, daß Geistesfreiheit und allgemeine Bildung zu diesen Dingen
förderlich ist, so find sie die Eurigen. Allein solche Speculatoren fallen erst in
die Wagschale. wenn dieselbe im Niedersinken begriffen ist.
^ Allein es gibt noch andere Elemente, welche für die öffentliche Intelli¬
genz eintreten. Es müßte in der That wunderlich zugehen, wenn in einem
Lande, das die größten praktischen Denker und Staatsmänner erzeugte, nicht
auch Leute lebten, weiche sich über den engen Gesichtskreis sektirerischer Par-
teiungen erhoben haben. Ja es gibt hier Leute, welche begreifen, daß die
Schatten der Knox und Eromwell, welche noch wie Gespenster an den Thoren
der protestantischen Freiheit Wache halten, gebannt werden müssen, und daß
das Joch, welches ein um seine Freiheit kämpfendes Volk sich freiwillig auf¬
erlegte, nicht mehr an der Zeit ist. Sie sagen sich, daß es hohe Zeit für
England ist, daß die Masse des Volkes, in welcher die Kraft und Größe des
Reiches endlich doch wurzelt und daraus ihre Nahrung saugt, aus der Un¬
wissenheit und veralteten Rohheit erlöst und zu der Bildung der Neuzeit
herangezogen werde. Sie wissen, daß nicht blos der Fortschritt des Reiches
davon abhängt (weil ein unwissender Pöbel sich als bleierne Sohle an dessen
Fersen hängen würde) -- sondern auch dessen" Existenz, weil die Kluft der
Elasten nicht ohne die äußerste Gefahr sich noch weiter aufreißen darf. Ja,
fie sagen sich, daß, wenn England jetzt nicht auf der Bahn allgemeiner Bil¬
dung des Volkes vorwärtsgehe, es sicherlich in Kurzem den Krebsgang werde
antreten müssen.

Solch ein Fortschritt aber war schon entschieden in dem Augenblick, wo
das Parlament mit der angeblichen Majorität des Volkes sein eigenes Ver¬
derben zu poliren schien.

Es ist eine der Wohlthaten, welche England dem amerikanischen Tochter¬
lande verdankt, daß es die Freiheit, welche es ihm politisch erst gelehrt und
dann geschenkt, geistig und religiös von demselben zurückerhält. Die Sekte
(wenn es eine Sekte zu -nennen) der Unitarier, die in ihrem Schoße einen
Ehanning, Emerson, Parker aufzuweisen hat, dieses Kind amerikanischer
Freiheit und deutscher Offenheit, angelsächsischer Praxis und deutscher For¬
schung, hat eine weite Stätte in England gefunden. Der deutsche Nationa¬
lismus hat das Unglück einer allgemeinen Verdammung und Desertion er¬
litten, weil die Vertreter und Vorfechter desselben nicht gewagt haben, ihn
hinter der Thüre leck hervor und ins öffentliche Leben zu ziehen; diese Mün-


Grenztwten II. 1858. 23

unruhigen, sie streben einem gewissen Ziele zu, das in seinem irdischen Glänze
ihre ganze Seele ausfüllt/ Sie reden vom ewigen Frieden und meinen da¬
mit die Baumwollcnmanufactur, von Humanität und Menschenliebe, und
meinen ungestörten Opium- und Thceaustausch; von der Freiheit europäischer
Nationen, und meinen damit die Alleinherrschaft Englands zur See. Macht
ihnen begreiflich, daß Geistesfreiheit und allgemeine Bildung zu diesen Dingen
förderlich ist, so find sie die Eurigen. Allein solche Speculatoren fallen erst in
die Wagschale. wenn dieselbe im Niedersinken begriffen ist.
^ Allein es gibt noch andere Elemente, welche für die öffentliche Intelli¬
genz eintreten. Es müßte in der That wunderlich zugehen, wenn in einem
Lande, das die größten praktischen Denker und Staatsmänner erzeugte, nicht
auch Leute lebten, weiche sich über den engen Gesichtskreis sektirerischer Par-
teiungen erhoben haben. Ja es gibt hier Leute, welche begreifen, daß die
Schatten der Knox und Eromwell, welche noch wie Gespenster an den Thoren
der protestantischen Freiheit Wache halten, gebannt werden müssen, und daß
das Joch, welches ein um seine Freiheit kämpfendes Volk sich freiwillig auf¬
erlegte, nicht mehr an der Zeit ist. Sie sagen sich, daß es hohe Zeit für
England ist, daß die Masse des Volkes, in welcher die Kraft und Größe des
Reiches endlich doch wurzelt und daraus ihre Nahrung saugt, aus der Un¬
wissenheit und veralteten Rohheit erlöst und zu der Bildung der Neuzeit
herangezogen werde. Sie wissen, daß nicht blos der Fortschritt des Reiches
davon abhängt (weil ein unwissender Pöbel sich als bleierne Sohle an dessen
Fersen hängen würde) — sondern auch dessen" Existenz, weil die Kluft der
Elasten nicht ohne die äußerste Gefahr sich noch weiter aufreißen darf. Ja,
fie sagen sich, daß, wenn England jetzt nicht auf der Bahn allgemeiner Bil¬
dung des Volkes vorwärtsgehe, es sicherlich in Kurzem den Krebsgang werde
antreten müssen.

Solch ein Fortschritt aber war schon entschieden in dem Augenblick, wo
das Parlament mit der angeblichen Majorität des Volkes sein eigenes Ver¬
derben zu poliren schien.

Es ist eine der Wohlthaten, welche England dem amerikanischen Tochter¬
lande verdankt, daß es die Freiheit, welche es ihm politisch erst gelehrt und
dann geschenkt, geistig und religiös von demselben zurückerhält. Die Sekte
(wenn es eine Sekte zu -nennen) der Unitarier, die in ihrem Schoße einen
Ehanning, Emerson, Parker aufzuweisen hat, dieses Kind amerikanischer
Freiheit und deutscher Offenheit, angelsächsischer Praxis und deutscher For¬
schung, hat eine weite Stätte in England gefunden. Der deutsche Nationa¬
lismus hat das Unglück einer allgemeinen Verdammung und Desertion er¬
litten, weil die Vertreter und Vorfechter desselben nicht gewagt haben, ihn
hinter der Thüre leck hervor und ins öffentliche Leben zu ziehen; diese Mün-


Grenztwten II. 1858. 23
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[0185] unruhigen, sie streben einem gewissen Ziele zu, das in seinem irdischen Glänze ihre ganze Seele ausfüllt/ Sie reden vom ewigen Frieden und meinen da¬ mit die Baumwollcnmanufactur, von Humanität und Menschenliebe, und meinen ungestörten Opium- und Thceaustausch; von der Freiheit europäischer Nationen, und meinen damit die Alleinherrschaft Englands zur See. Macht ihnen begreiflich, daß Geistesfreiheit und allgemeine Bildung zu diesen Dingen förderlich ist, so find sie die Eurigen. Allein solche Speculatoren fallen erst in die Wagschale. wenn dieselbe im Niedersinken begriffen ist. ^ Allein es gibt noch andere Elemente, welche für die öffentliche Intelli¬ genz eintreten. Es müßte in der That wunderlich zugehen, wenn in einem Lande, das die größten praktischen Denker und Staatsmänner erzeugte, nicht auch Leute lebten, weiche sich über den engen Gesichtskreis sektirerischer Par- teiungen erhoben haben. Ja es gibt hier Leute, welche begreifen, daß die Schatten der Knox und Eromwell, welche noch wie Gespenster an den Thoren der protestantischen Freiheit Wache halten, gebannt werden müssen, und daß das Joch, welches ein um seine Freiheit kämpfendes Volk sich freiwillig auf¬ erlegte, nicht mehr an der Zeit ist. Sie sagen sich, daß es hohe Zeit für England ist, daß die Masse des Volkes, in welcher die Kraft und Größe des Reiches endlich doch wurzelt und daraus ihre Nahrung saugt, aus der Un¬ wissenheit und veralteten Rohheit erlöst und zu der Bildung der Neuzeit herangezogen werde. Sie wissen, daß nicht blos der Fortschritt des Reiches davon abhängt (weil ein unwissender Pöbel sich als bleierne Sohle an dessen Fersen hängen würde) — sondern auch dessen" Existenz, weil die Kluft der Elasten nicht ohne die äußerste Gefahr sich noch weiter aufreißen darf. Ja, fie sagen sich, daß, wenn England jetzt nicht auf der Bahn allgemeiner Bil¬ dung des Volkes vorwärtsgehe, es sicherlich in Kurzem den Krebsgang werde antreten müssen. Solch ein Fortschritt aber war schon entschieden in dem Augenblick, wo das Parlament mit der angeblichen Majorität des Volkes sein eigenes Ver¬ derben zu poliren schien. Es ist eine der Wohlthaten, welche England dem amerikanischen Tochter¬ lande verdankt, daß es die Freiheit, welche es ihm politisch erst gelehrt und dann geschenkt, geistig und religiös von demselben zurückerhält. Die Sekte (wenn es eine Sekte zu -nennen) der Unitarier, die in ihrem Schoße einen Ehanning, Emerson, Parker aufzuweisen hat, dieses Kind amerikanischer Freiheit und deutscher Offenheit, angelsächsischer Praxis und deutscher For¬ schung, hat eine weite Stätte in England gefunden. Der deutsche Nationa¬ lismus hat das Unglück einer allgemeinen Verdammung und Desertion er¬ litten, weil die Vertreter und Vorfechter desselben nicht gewagt haben, ihn hinter der Thüre leck hervor und ins öffentliche Leben zu ziehen; diese Mün- Grenztwten II. 1858. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/185>, abgerufen am 21.12.2024.