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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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längst schon städtisch? Sitten, städtische Kleidung und städtische Art vor, --
das "Mnnschettenbauernthum", der Uebergang zum völligen Städter ist dort
vorzüglich ausgebildet. Und solche pfälzische Manschettenbauern können heute
als der Typus des pfälzischen Volksthums gelten -- sie sind die eigentlichen
Pfnlzer. Ihre Häuser bekommen städtischen Anstrich, ihre Stuben werden
ausgemalt und mit Kupferstichen behängt -- und der weiße Kalkanstrich und
die braunen Balken dazwischen an den Straßengiebeln verschwinden nach
und nach. Was aber für die ganze Borderpfnlz gilt, das ist das flotte Aus¬
sehen aller Dörfer, -- schön und bequem wollen die Pfälzer wohnen.
Jeder Familienvater hat sein eignes Haus mit Hos und Nebengebäuden, und
wenn das Haus auch noch so geräumig wäre und in fernen zwei Stockwerken
Platz genug böte, so wird sich doch kein Borderpfälzer leicht dazu entschließen,
selbst mit seinem verhcirntheten Sohne in demselben Hause zu wohnen. Was
die Stellung des Weibes anbetrifft, so verräth auch sie eine höhere Cultur
in diesen Weingegenden, und man darf wol sagen in der Pfalz überhaupt,
wenn auch im Westlich die Frauen häufiger Maurerarbeiten verrichten. Es
wird nicht leicht eine Frau die Peitsche zur Hand nehmen oder gar den Dresch¬
flegel, wie besonders in Altbaiern. Man wird auch nie eine im Schubkarren
sehen, dafür aber auch keine im Wirthshaus, wie man das besonders wieder
in Baiern trifft. Ueberhaupt überlassen die pfälzischen Frauen des Mannes
Obliegenheiten dem Mann, indem sie desto eifriger den ihrigen nachgehen
und als tüchtige Hausfrauen schon lange bekannt find, -- so überlassen sie
auch das Trinken den Männern, was diese freilich dafür manchmal doppelt
thun. Der Mein mag denn auch vom größten Einfluß auf den Charakter
des Volkes sein. Ans seine Rechnung kommt das hitzige, aufbrausende Blut
des Weinpfälzers, dessen Stolz und Ehrgefühl sich schnell verletzt fühlt und
der -- wir sagen dies als Berichtigung vieler gegentheiliger Behauptungen
-- ebenso rasch mit der Faust dreinzufahren geneigt ist als mit dem Mund.
Nur kommt eben das arg'ebvrnc Gcfül)l für Anstand und gute Sitte hinzu,
die denn auch seltner übersprungen werden, als anderswo. -- An dem
ganzen Gebirgssaume bis weit in die Ebene hinab trinkt der pfälzische Land¬
mann das ganze Jahr hindurch bei seiner Arbeit, bei Tische und in der
Zwischenzeit Wein. Kein Tagelöhner würde in den Taglohn gehen, wenn er
nicht bei jedem Imbiß und dann noch an heißen Sommertagen zwischendrein
jedesmal seinen Schoppen (große Pfälzerschoppen) oder doch halben Schoppen
Wein bekäme. Besonders die Arbeiter in den Weinbergen selbst leeren viele
Fuder Pfälzcrwein alljährlich. Dafür ißt der Mann auch weniger und dem
oft gehörten Satz, daß das Bier nähre und der Wein zehre, wird von den
Weinpfälzern thatsächlich widersprochen. Sie bemitleiden auch niemand mehr,
als die Bauern drunten an? Rhein, wo der Wein gekauft werden muß, oder


längst schon städtisch? Sitten, städtische Kleidung und städtische Art vor, —
das „Mnnschettenbauernthum", der Uebergang zum völligen Städter ist dort
vorzüglich ausgebildet. Und solche pfälzische Manschettenbauern können heute
als der Typus des pfälzischen Volksthums gelten — sie sind die eigentlichen
Pfnlzer. Ihre Häuser bekommen städtischen Anstrich, ihre Stuben werden
ausgemalt und mit Kupferstichen behängt — und der weiße Kalkanstrich und
die braunen Balken dazwischen an den Straßengiebeln verschwinden nach
und nach. Was aber für die ganze Borderpfnlz gilt, das ist das flotte Aus¬
sehen aller Dörfer, — schön und bequem wollen die Pfälzer wohnen.
Jeder Familienvater hat sein eignes Haus mit Hos und Nebengebäuden, und
wenn das Haus auch noch so geräumig wäre und in fernen zwei Stockwerken
Platz genug böte, so wird sich doch kein Borderpfälzer leicht dazu entschließen,
selbst mit seinem verhcirntheten Sohne in demselben Hause zu wohnen. Was
die Stellung des Weibes anbetrifft, so verräth auch sie eine höhere Cultur
in diesen Weingegenden, und man darf wol sagen in der Pfalz überhaupt,
wenn auch im Westlich die Frauen häufiger Maurerarbeiten verrichten. Es
wird nicht leicht eine Frau die Peitsche zur Hand nehmen oder gar den Dresch¬
flegel, wie besonders in Altbaiern. Man wird auch nie eine im Schubkarren
sehen, dafür aber auch keine im Wirthshaus, wie man das besonders wieder
in Baiern trifft. Ueberhaupt überlassen die pfälzischen Frauen des Mannes
Obliegenheiten dem Mann, indem sie desto eifriger den ihrigen nachgehen
und als tüchtige Hausfrauen schon lange bekannt find, — so überlassen sie
auch das Trinken den Männern, was diese freilich dafür manchmal doppelt
thun. Der Mein mag denn auch vom größten Einfluß auf den Charakter
des Volkes sein. Ans seine Rechnung kommt das hitzige, aufbrausende Blut
des Weinpfälzers, dessen Stolz und Ehrgefühl sich schnell verletzt fühlt und
der — wir sagen dies als Berichtigung vieler gegentheiliger Behauptungen
— ebenso rasch mit der Faust dreinzufahren geneigt ist als mit dem Mund.
Nur kommt eben das arg'ebvrnc Gcfül)l für Anstand und gute Sitte hinzu,
die denn auch seltner übersprungen werden, als anderswo. — An dem
ganzen Gebirgssaume bis weit in die Ebene hinab trinkt der pfälzische Land¬
mann das ganze Jahr hindurch bei seiner Arbeit, bei Tische und in der
Zwischenzeit Wein. Kein Tagelöhner würde in den Taglohn gehen, wenn er
nicht bei jedem Imbiß und dann noch an heißen Sommertagen zwischendrein
jedesmal seinen Schoppen (große Pfälzerschoppen) oder doch halben Schoppen
Wein bekäme. Besonders die Arbeiter in den Weinbergen selbst leeren viele
Fuder Pfälzcrwein alljährlich. Dafür ißt der Mann auch weniger und dem
oft gehörten Satz, daß das Bier nähre und der Wein zehre, wird von den
Weinpfälzern thatsächlich widersprochen. Sie bemitleiden auch niemand mehr,
als die Bauern drunten an? Rhein, wo der Wein gekauft werden muß, oder


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[0158] längst schon städtisch? Sitten, städtische Kleidung und städtische Art vor, — das „Mnnschettenbauernthum", der Uebergang zum völligen Städter ist dort vorzüglich ausgebildet. Und solche pfälzische Manschettenbauern können heute als der Typus des pfälzischen Volksthums gelten — sie sind die eigentlichen Pfnlzer. Ihre Häuser bekommen städtischen Anstrich, ihre Stuben werden ausgemalt und mit Kupferstichen behängt — und der weiße Kalkanstrich und die braunen Balken dazwischen an den Straßengiebeln verschwinden nach und nach. Was aber für die ganze Borderpfnlz gilt, das ist das flotte Aus¬ sehen aller Dörfer, — schön und bequem wollen die Pfälzer wohnen. Jeder Familienvater hat sein eignes Haus mit Hos und Nebengebäuden, und wenn das Haus auch noch so geräumig wäre und in fernen zwei Stockwerken Platz genug böte, so wird sich doch kein Borderpfälzer leicht dazu entschließen, selbst mit seinem verhcirntheten Sohne in demselben Hause zu wohnen. Was die Stellung des Weibes anbetrifft, so verräth auch sie eine höhere Cultur in diesen Weingegenden, und man darf wol sagen in der Pfalz überhaupt, wenn auch im Westlich die Frauen häufiger Maurerarbeiten verrichten. Es wird nicht leicht eine Frau die Peitsche zur Hand nehmen oder gar den Dresch¬ flegel, wie besonders in Altbaiern. Man wird auch nie eine im Schubkarren sehen, dafür aber auch keine im Wirthshaus, wie man das besonders wieder in Baiern trifft. Ueberhaupt überlassen die pfälzischen Frauen des Mannes Obliegenheiten dem Mann, indem sie desto eifriger den ihrigen nachgehen und als tüchtige Hausfrauen schon lange bekannt find, — so überlassen sie auch das Trinken den Männern, was diese freilich dafür manchmal doppelt thun. Der Mein mag denn auch vom größten Einfluß auf den Charakter des Volkes sein. Ans seine Rechnung kommt das hitzige, aufbrausende Blut des Weinpfälzers, dessen Stolz und Ehrgefühl sich schnell verletzt fühlt und der — wir sagen dies als Berichtigung vieler gegentheiliger Behauptungen — ebenso rasch mit der Faust dreinzufahren geneigt ist als mit dem Mund. Nur kommt eben das arg'ebvrnc Gcfül)l für Anstand und gute Sitte hinzu, die denn auch seltner übersprungen werden, als anderswo. — An dem ganzen Gebirgssaume bis weit in die Ebene hinab trinkt der pfälzische Land¬ mann das ganze Jahr hindurch bei seiner Arbeit, bei Tische und in der Zwischenzeit Wein. Kein Tagelöhner würde in den Taglohn gehen, wenn er nicht bei jedem Imbiß und dann noch an heißen Sommertagen zwischendrein jedesmal seinen Schoppen (große Pfälzerschoppen) oder doch halben Schoppen Wein bekäme. Besonders die Arbeiter in den Weinbergen selbst leeren viele Fuder Pfälzcrwein alljährlich. Dafür ißt der Mann auch weniger und dem oft gehörten Satz, daß das Bier nähre und der Wein zehre, wird von den Weinpfälzern thatsächlich widersprochen. Sie bemitleiden auch niemand mehr, als die Bauern drunten an? Rhein, wo der Wein gekauft werden muß, oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/158>, abgerufen am 21.12.2024.