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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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nothwendig ist, -- die Gescheitheit legt sich oft zu breit "an den Laden",
und daraus folgt dann, daß die an und für sich nicht tndelnswerthe Mund¬
fertigkeit in "Krischerei" übergeht, die mit dem "großen Maul" über alles
herfällt, alles besser weiß, alles besser macht und alles zu Boden "kreischt",
was nicht in dem Kopfe dieses kleinen Herrgotts von einem Krischer entstan¬
den ist. Der leicht erregbare Charakter des Volkes überstürzt sich dann nur
zu leicht und kennt das rechte Maß nicht mehr, bis er vor den Consequenzen
seines Thuns endlich selbst zurückbebt und nickt selten wieder in die ganz
entgegengesetzte Bahn einlenkt, ehe er zur Besinnung kommt.

Dies sind allgemeine Züge, von denen es natürlich eine Masse Ausnahmen
bei den Einzelnen gibt. Aber auch bei den Bewohnern der einzelnen Landes¬
theile modificirt sich dieses Urtheil.

Die herrlick prangende, wein- und fruchtreiche Vorderpfalz in ihrer glanz¬
vollen landschaftlichen Schönheit, -- das hügelige rauhere Wesirich mit seinen
stillen Thalern und waldigen Bergen, deren Tiefen erzene Schätze bergen, --
beide bilden entsprechende Gegensätze auch im Charakter der Bewohner.

Wie man unter dem Begriff der Pfalz gewöhnlich nur den vordem
Theil im Auge hat, so findet man den pfälzischen Volkscharakter in der
Vorderpfalz und hier wieder vor allem bei dem Bewohner des herrlichen
Weinlandes an der Haardt und den Vogesen am reinsten und ausgeprägtesten.
Dort findet man sowol die Licht- als die Schattenseiten potenzirt. Es gibt
kein gastfreieres, edelsinnigercs, großherzigeres Völkchen als die Wcinpfälzer,
aber auch keines, wo so viel Uebergeschcidtheit bei wirklichem Verstände, so
viel "Krischcrei" bei Wohlberedthcit und gesundem Urtheil herrschte, als
hier. Die Heiterkeit und Zutraulichkeit, das offene, biedere Wesen des Wcin-
länders und seine Uingänglicht'eit machen ihn jedoch noch immer zu einem
liebenswürdigen Menschen, während die Einbildung und das Selbstgefühl
des Gaubnuern, der die reiche Ebene bewohnt, dieses Pochen aus den
Geldsack einen Bauernhochmuth entwickelt, der jr'echt unliebenswürdig sein
kann. Während oben am Gebirg noch jedermann den Fremden auf der
Straße grüßt, thut das der Gaubauer schon nicht mehr oder doch selten.
Der Gaubauer ist eigensinniger, hartköpfiger und geiziger als jeder andere
Pfälzer. Daß in den einzelnen Strichen dieses alles verschieden nüancirt ist, ist
natürlich, und die Bewohner des niedern Wasgaus jenseit der Queich und
des Oberlandes gegen das Elsaß hin sind merklich verschieden von den
Bauern in der Ebene von Frankenthal oder in der idyllischen Landschaft von
Grünstadt. Jenseit der Queich tritt elsässisches d. h. alemannisches Element
hinzu, dort ist noch mehr altes Volksthum als in der übrigen Vorder¬
pfalz und die alten Trachten haben sich dort noch zum Theil erhalten. In
den reichen, stadtähnlichen Dörfern der Haardt und auch im Gau herrschen


nothwendig ist, — die Gescheitheit legt sich oft zu breit „an den Laden",
und daraus folgt dann, daß die an und für sich nicht tndelnswerthe Mund¬
fertigkeit in „Krischerei" übergeht, die mit dem „großen Maul" über alles
herfällt, alles besser weiß, alles besser macht und alles zu Boden „kreischt",
was nicht in dem Kopfe dieses kleinen Herrgotts von einem Krischer entstan¬
den ist. Der leicht erregbare Charakter des Volkes überstürzt sich dann nur
zu leicht und kennt das rechte Maß nicht mehr, bis er vor den Consequenzen
seines Thuns endlich selbst zurückbebt und nickt selten wieder in die ganz
entgegengesetzte Bahn einlenkt, ehe er zur Besinnung kommt.

Dies sind allgemeine Züge, von denen es natürlich eine Masse Ausnahmen
bei den Einzelnen gibt. Aber auch bei den Bewohnern der einzelnen Landes¬
theile modificirt sich dieses Urtheil.

Die herrlick prangende, wein- und fruchtreiche Vorderpfalz in ihrer glanz¬
vollen landschaftlichen Schönheit, — das hügelige rauhere Wesirich mit seinen
stillen Thalern und waldigen Bergen, deren Tiefen erzene Schätze bergen, —
beide bilden entsprechende Gegensätze auch im Charakter der Bewohner.

Wie man unter dem Begriff der Pfalz gewöhnlich nur den vordem
Theil im Auge hat, so findet man den pfälzischen Volkscharakter in der
Vorderpfalz und hier wieder vor allem bei dem Bewohner des herrlichen
Weinlandes an der Haardt und den Vogesen am reinsten und ausgeprägtesten.
Dort findet man sowol die Licht- als die Schattenseiten potenzirt. Es gibt
kein gastfreieres, edelsinnigercs, großherzigeres Völkchen als die Wcinpfälzer,
aber auch keines, wo so viel Uebergeschcidtheit bei wirklichem Verstände, so
viel „Krischcrei" bei Wohlberedthcit und gesundem Urtheil herrschte, als
hier. Die Heiterkeit und Zutraulichkeit, das offene, biedere Wesen des Wcin-
länders und seine Uingänglicht'eit machen ihn jedoch noch immer zu einem
liebenswürdigen Menschen, während die Einbildung und das Selbstgefühl
des Gaubnuern, der die reiche Ebene bewohnt, dieses Pochen aus den
Geldsack einen Bauernhochmuth entwickelt, der jr'echt unliebenswürdig sein
kann. Während oben am Gebirg noch jedermann den Fremden auf der
Straße grüßt, thut das der Gaubauer schon nicht mehr oder doch selten.
Der Gaubauer ist eigensinniger, hartköpfiger und geiziger als jeder andere
Pfälzer. Daß in den einzelnen Strichen dieses alles verschieden nüancirt ist, ist
natürlich, und die Bewohner des niedern Wasgaus jenseit der Queich und
des Oberlandes gegen das Elsaß hin sind merklich verschieden von den
Bauern in der Ebene von Frankenthal oder in der idyllischen Landschaft von
Grünstadt. Jenseit der Queich tritt elsässisches d. h. alemannisches Element
hinzu, dort ist noch mehr altes Volksthum als in der übrigen Vorder¬
pfalz und die alten Trachten haben sich dort noch zum Theil erhalten. In
den reichen, stadtähnlichen Dörfern der Haardt und auch im Gau herrschen


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[0157] nothwendig ist, — die Gescheitheit legt sich oft zu breit „an den Laden", und daraus folgt dann, daß die an und für sich nicht tndelnswerthe Mund¬ fertigkeit in „Krischerei" übergeht, die mit dem „großen Maul" über alles herfällt, alles besser weiß, alles besser macht und alles zu Boden „kreischt", was nicht in dem Kopfe dieses kleinen Herrgotts von einem Krischer entstan¬ den ist. Der leicht erregbare Charakter des Volkes überstürzt sich dann nur zu leicht und kennt das rechte Maß nicht mehr, bis er vor den Consequenzen seines Thuns endlich selbst zurückbebt und nickt selten wieder in die ganz entgegengesetzte Bahn einlenkt, ehe er zur Besinnung kommt. Dies sind allgemeine Züge, von denen es natürlich eine Masse Ausnahmen bei den Einzelnen gibt. Aber auch bei den Bewohnern der einzelnen Landes¬ theile modificirt sich dieses Urtheil. Die herrlick prangende, wein- und fruchtreiche Vorderpfalz in ihrer glanz¬ vollen landschaftlichen Schönheit, — das hügelige rauhere Wesirich mit seinen stillen Thalern und waldigen Bergen, deren Tiefen erzene Schätze bergen, — beide bilden entsprechende Gegensätze auch im Charakter der Bewohner. Wie man unter dem Begriff der Pfalz gewöhnlich nur den vordem Theil im Auge hat, so findet man den pfälzischen Volkscharakter in der Vorderpfalz und hier wieder vor allem bei dem Bewohner des herrlichen Weinlandes an der Haardt und den Vogesen am reinsten und ausgeprägtesten. Dort findet man sowol die Licht- als die Schattenseiten potenzirt. Es gibt kein gastfreieres, edelsinnigercs, großherzigeres Völkchen als die Wcinpfälzer, aber auch keines, wo so viel Uebergeschcidtheit bei wirklichem Verstände, so viel „Krischcrei" bei Wohlberedthcit und gesundem Urtheil herrschte, als hier. Die Heiterkeit und Zutraulichkeit, das offene, biedere Wesen des Wcin- länders und seine Uingänglicht'eit machen ihn jedoch noch immer zu einem liebenswürdigen Menschen, während die Einbildung und das Selbstgefühl des Gaubnuern, der die reiche Ebene bewohnt, dieses Pochen aus den Geldsack einen Bauernhochmuth entwickelt, der jr'echt unliebenswürdig sein kann. Während oben am Gebirg noch jedermann den Fremden auf der Straße grüßt, thut das der Gaubauer schon nicht mehr oder doch selten. Der Gaubauer ist eigensinniger, hartköpfiger und geiziger als jeder andere Pfälzer. Daß in den einzelnen Strichen dieses alles verschieden nüancirt ist, ist natürlich, und die Bewohner des niedern Wasgaus jenseit der Queich und des Oberlandes gegen das Elsaß hin sind merklich verschieden von den Bauern in der Ebene von Frankenthal oder in der idyllischen Landschaft von Grünstadt. Jenseit der Queich tritt elsässisches d. h. alemannisches Element hinzu, dort ist noch mehr altes Volksthum als in der übrigen Vorder¬ pfalz und die alten Trachten haben sich dort noch zum Theil erhalten. In den reichen, stadtähnlichen Dörfern der Haardt und auch im Gau herrschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/157>, abgerufen am 21.12.2024.