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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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konnten deren Stimme weniger ignoriren, als die vielen kleinen Dynasten,
deren Gewalt im Lehnsreckt wurzelte und die in solchen Dingen wenigstens
niemandem verantwortlich waren, als ihrem eignen Gewissen.

So entwickelten in den Städten die Obrigkeiten nach dieser Seite hin eine
große, man möchte sagen eine allzugroße Thätigkeit. Auch wenn keine Theu-
rung herrschte, war man eifrig bemüht, zu verhindern, daß den Bürgern ihre
Lebensbedürfnisse in irgend einer Weise verthcuert würden. Unsere Haus¬
frauen der mittlern und niedern Classe, welche den Vätern ihrer Stadt oft
bitterböse sind, weil diese den Aufkäufer" nicht wehren, welche andern ehr¬
lichen Menschen auf dein Marne das Beste vor der Nase weglaufen und alle
Preise ungebührlich steigern, würden mit den damaligen Herrn Bürgermeistern
und Nathmännern äußerst zufrieden gewesen sein; denn die Händler mit
Lebensnntteln hatten damals keine gvldncZeit; sie durften meistens erst dann
taufen, wenn der Strohwisch oder die Fahne, die als Zeichen des Marktes
aufgesteckt wurde, heruntergenommen war und wurden streng bestraft, wenn
sie etwa den Leuten vom Lande entgegenliefen und vor dem Thore kauften;
ebenso wenig durften sie bei den Gutsbesitzern herumreisen und dort Ein¬
käufe machen. Alles Getreide mußte durchaus auf den Markt der Stadt
kommen und dort verkauft werden, und hier war die Marktpolizei verpflichtet,
darauf zu seben, daß der Bürger, der Korn für seinen Hausbedarf kaufte,
unbedingt den Vorrang hatte z. B. vor dem Bäcker. Diese letzteren wurden
überhaupt streng beaufsichtigt und wenn sie unbillige Forderungen machten,
strafte man sie sogleich, indem man ihnen durch Eröffnung freien Brodmarktes
für die Landbäcker Concurrenz machte. Außerdem finden wir seit dem 13. Jahr¬
hundert fast überall Brodtaxen, welche das Gewicht des Brotes je nach dem
damaligen Getreidepreise genau bestimmten; deir. Bäcker, der sich nicht darnach
richtete, traf die schimpfliche Strafe des Schupfcns d. h. des Untertauchens
in eine Pfütze, eine Strafe, welche die Bäcker vergebens in eine Geldbuße
umzuwandeln versuchten.

Damit auch die Landleute nicht durch langes Hinziehen und Abwarten
die Preise steigerten, hatte man die raffinirtesten Mittel erfunden. An manchen
Orten hieß es, wer Korn zur Stadt bringe, dürfe nicht eher vom Pferde ab¬
steigen, bis er dasselbe verkauft, in Wien gab es eine Verordnung, wonach
gewisse Händler keinen Mantel, kein Oberkleid, keine Kopfbedeckung tragen
dursten, damit diese die Ungunst der Witterung schwerer empfindend zu desto
schnellerem Verkaufe geneigt wären. Wir glauben nicht, daß auf Grund
dieser Verbote der Bürger sich damals besonders gut befunden hat. Veschrän-
kungen des Handels und Verkehrs haben sich niemals als wohlthätig erwie¬
sen und überdies findet der menschliche Eigennutz hundert Schleichwege und
Hinterthüren, um auch die besten Gesetze zu umgehen. Die Räthe der Städte


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konnten deren Stimme weniger ignoriren, als die vielen kleinen Dynasten,
deren Gewalt im Lehnsreckt wurzelte und die in solchen Dingen wenigstens
niemandem verantwortlich waren, als ihrem eignen Gewissen.

So entwickelten in den Städten die Obrigkeiten nach dieser Seite hin eine
große, man möchte sagen eine allzugroße Thätigkeit. Auch wenn keine Theu-
rung herrschte, war man eifrig bemüht, zu verhindern, daß den Bürgern ihre
Lebensbedürfnisse in irgend einer Weise verthcuert würden. Unsere Haus¬
frauen der mittlern und niedern Classe, welche den Vätern ihrer Stadt oft
bitterböse sind, weil diese den Aufkäufer» nicht wehren, welche andern ehr¬
lichen Menschen auf dein Marne das Beste vor der Nase weglaufen und alle
Preise ungebührlich steigern, würden mit den damaligen Herrn Bürgermeistern
und Nathmännern äußerst zufrieden gewesen sein; denn die Händler mit
Lebensnntteln hatten damals keine gvldncZeit; sie durften meistens erst dann
taufen, wenn der Strohwisch oder die Fahne, die als Zeichen des Marktes
aufgesteckt wurde, heruntergenommen war und wurden streng bestraft, wenn
sie etwa den Leuten vom Lande entgegenliefen und vor dem Thore kauften;
ebenso wenig durften sie bei den Gutsbesitzern herumreisen und dort Ein¬
käufe machen. Alles Getreide mußte durchaus auf den Markt der Stadt
kommen und dort verkauft werden, und hier war die Marktpolizei verpflichtet,
darauf zu seben, daß der Bürger, der Korn für seinen Hausbedarf kaufte,
unbedingt den Vorrang hatte z. B. vor dem Bäcker. Diese letzteren wurden
überhaupt streng beaufsichtigt und wenn sie unbillige Forderungen machten,
strafte man sie sogleich, indem man ihnen durch Eröffnung freien Brodmarktes
für die Landbäcker Concurrenz machte. Außerdem finden wir seit dem 13. Jahr¬
hundert fast überall Brodtaxen, welche das Gewicht des Brotes je nach dem
damaligen Getreidepreise genau bestimmten; deir. Bäcker, der sich nicht darnach
richtete, traf die schimpfliche Strafe des Schupfcns d. h. des Untertauchens
in eine Pfütze, eine Strafe, welche die Bäcker vergebens in eine Geldbuße
umzuwandeln versuchten.

Damit auch die Landleute nicht durch langes Hinziehen und Abwarten
die Preise steigerten, hatte man die raffinirtesten Mittel erfunden. An manchen
Orten hieß es, wer Korn zur Stadt bringe, dürfe nicht eher vom Pferde ab¬
steigen, bis er dasselbe verkauft, in Wien gab es eine Verordnung, wonach
gewisse Händler keinen Mantel, kein Oberkleid, keine Kopfbedeckung tragen
dursten, damit diese die Ungunst der Witterung schwerer empfindend zu desto
schnellerem Verkaufe geneigt wären. Wir glauben nicht, daß auf Grund
dieser Verbote der Bürger sich damals besonders gut befunden hat. Veschrän-
kungen des Handels und Verkehrs haben sich niemals als wohlthätig erwie¬
sen und überdies findet der menschliche Eigennutz hundert Schleichwege und
Hinterthüren, um auch die besten Gesetze zu umgehen. Die Räthe der Städte


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[0121] konnten deren Stimme weniger ignoriren, als die vielen kleinen Dynasten, deren Gewalt im Lehnsreckt wurzelte und die in solchen Dingen wenigstens niemandem verantwortlich waren, als ihrem eignen Gewissen. So entwickelten in den Städten die Obrigkeiten nach dieser Seite hin eine große, man möchte sagen eine allzugroße Thätigkeit. Auch wenn keine Theu- rung herrschte, war man eifrig bemüht, zu verhindern, daß den Bürgern ihre Lebensbedürfnisse in irgend einer Weise verthcuert würden. Unsere Haus¬ frauen der mittlern und niedern Classe, welche den Vätern ihrer Stadt oft bitterböse sind, weil diese den Aufkäufer» nicht wehren, welche andern ehr¬ lichen Menschen auf dein Marne das Beste vor der Nase weglaufen und alle Preise ungebührlich steigern, würden mit den damaligen Herrn Bürgermeistern und Nathmännern äußerst zufrieden gewesen sein; denn die Händler mit Lebensnntteln hatten damals keine gvldncZeit; sie durften meistens erst dann taufen, wenn der Strohwisch oder die Fahne, die als Zeichen des Marktes aufgesteckt wurde, heruntergenommen war und wurden streng bestraft, wenn sie etwa den Leuten vom Lande entgegenliefen und vor dem Thore kauften; ebenso wenig durften sie bei den Gutsbesitzern herumreisen und dort Ein¬ käufe machen. Alles Getreide mußte durchaus auf den Markt der Stadt kommen und dort verkauft werden, und hier war die Marktpolizei verpflichtet, darauf zu seben, daß der Bürger, der Korn für seinen Hausbedarf kaufte, unbedingt den Vorrang hatte z. B. vor dem Bäcker. Diese letzteren wurden überhaupt streng beaufsichtigt und wenn sie unbillige Forderungen machten, strafte man sie sogleich, indem man ihnen durch Eröffnung freien Brodmarktes für die Landbäcker Concurrenz machte. Außerdem finden wir seit dem 13. Jahr¬ hundert fast überall Brodtaxen, welche das Gewicht des Brotes je nach dem damaligen Getreidepreise genau bestimmten; deir. Bäcker, der sich nicht darnach richtete, traf die schimpfliche Strafe des Schupfcns d. h. des Untertauchens in eine Pfütze, eine Strafe, welche die Bäcker vergebens in eine Geldbuße umzuwandeln versuchten. Damit auch die Landleute nicht durch langes Hinziehen und Abwarten die Preise steigerten, hatte man die raffinirtesten Mittel erfunden. An manchen Orten hieß es, wer Korn zur Stadt bringe, dürfe nicht eher vom Pferde ab¬ steigen, bis er dasselbe verkauft, in Wien gab es eine Verordnung, wonach gewisse Händler keinen Mantel, kein Oberkleid, keine Kopfbedeckung tragen dursten, damit diese die Ungunst der Witterung schwerer empfindend zu desto schnellerem Verkaufe geneigt wären. Wir glauben nicht, daß auf Grund dieser Verbote der Bürger sich damals besonders gut befunden hat. Veschrän- kungen des Handels und Verkehrs haben sich niemals als wohlthätig erwie¬ sen und überdies findet der menschliche Eigennutz hundert Schleichwege und Hinterthüren, um auch die besten Gesetze zu umgehen. Die Räthe der Städte ÄMljl'M'N U. 18SL. 1l,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/121>, abgerufen am 21.12.2024.