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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Besitzer des Stiftes, nur mit einer sehr geringen Mahlzeit aufwarten konnte.
Und auch das Gastgeschenk, das man ihm zur Entschädigung anbot, könnte
nach unsern Begriffen schwerlich ein glänzendes genannt werden, es bestand
in einer kleinen Summe Geldes und -- einem Paar Stiefeln.

Uebrigens lag der großen Wohlthätigkeit des Klerus noch eine wandere
Absicht zu Grunde, als die unmittelbare einer Milderung des Elends; nun,
stellte das Almosengeben mit dem Fasten und Beten zusammen, was man
auch bei Hungersnöthen anzuwenden nicht unterließ, und erwartete so von
ihm, wie von den andern guten Werken auch mittelbar eine Linderung der
Noth, indem man dadurch den himmlischen Zorn zu besänftigen hoffte. So
wird im Leben des Bischofs Benno von Osnabrück berichtet, als zu dessen Zeit
die Mäuse große Verwüstungen im Getreide angerichtet, hätte man vergebens
öffentliche Gebete und ebenso Fasten zur Abwendung des Uebels angestellt.
erst als man die dritte Stufe der guten Werke, die Almosen anzuwenden be¬
gonnen, hätte sich der Himmel erbarmt.

Wenden wir uns nun zu dein, was wir als Thenrungspolitik bezeichnen
tonnen d. h. den Maßregeln, welche der Staat gegenüber solchen Zuständen
zu ergreifen Pflegte, so waren diese nicht immer dieselben. Eines aber läßt
sich im Allgemeinen sagen, daß die ganze Theurungsvolitik des Mittelalters,
wenn wir einen Ausdruck der Heilkunst hier gebrauchen dürfen, wesentlich
symptomatisch war d. h. daß man ohne das Uebel selbst an seiner Wurzel
anzufassen, die Angriffe nur gegen die Symptome desselben richtete, z, B.
gegen die hohen Preise. Die Hauptsache erscheint hier immer das Bestreben
zu verhindern, daß nicht der Eigennutz der Menschen auf irgend eine Weise
eine noch höhere Steigerung der Preise hervorrufe, als das Bedürfniß schon
erheischt, kurz gesagt, die Hauptsache ist der Krieg gegen das, was man Korn-
wucher nannte, und eine große Menge von Maßregeln, eine strenge Ueber-
wachung des Kornhaudels sollte dahin führen, daß die Lebensbedürfnisse auf
die möglichst einfachste und normalste Weise aus den Händen des Producenten
in die des Consumenten übergingen.

In der Art und Weise der Anordnung ruft nun aber die fortschreitende
Entwicklung der Meuscheu mancherlei Verschiedenheiten hervor. Eine einheit¬
liche hierauf bezügliche Gesetzgebung hat Deutschland nur in der kurzen Zelt
gehabt, wo die verschiedenen germanischen Stämme durch einen überlegenen
eilernen Willen wirklich zu einer politischen Einheit gebracht waren, die dem
nahe kommt, was nur jetzt unter einem einheitlichen Staate uns denken, das
ist unter Karl dem Großen. Unter ihm ist die Thenrungspolitik noch Sache
des Reiches, und er faßt dies auch gleich mit einer ungeheuren Energie an.
Er geht so weit, für sein ganzes gewaltiges Staatsgebiet 794 eine Ver¬
ordnung zu verlassen, welche den Preis des Getreides fest normirt, möchte


Besitzer des Stiftes, nur mit einer sehr geringen Mahlzeit aufwarten konnte.
Und auch das Gastgeschenk, das man ihm zur Entschädigung anbot, könnte
nach unsern Begriffen schwerlich ein glänzendes genannt werden, es bestand
in einer kleinen Summe Geldes und — einem Paar Stiefeln.

Uebrigens lag der großen Wohlthätigkeit des Klerus noch eine wandere
Absicht zu Grunde, als die unmittelbare einer Milderung des Elends; nun,
stellte das Almosengeben mit dem Fasten und Beten zusammen, was man
auch bei Hungersnöthen anzuwenden nicht unterließ, und erwartete so von
ihm, wie von den andern guten Werken auch mittelbar eine Linderung der
Noth, indem man dadurch den himmlischen Zorn zu besänftigen hoffte. So
wird im Leben des Bischofs Benno von Osnabrück berichtet, als zu dessen Zeit
die Mäuse große Verwüstungen im Getreide angerichtet, hätte man vergebens
öffentliche Gebete und ebenso Fasten zur Abwendung des Uebels angestellt.
erst als man die dritte Stufe der guten Werke, die Almosen anzuwenden be¬
gonnen, hätte sich der Himmel erbarmt.

Wenden wir uns nun zu dein, was wir als Thenrungspolitik bezeichnen
tonnen d. h. den Maßregeln, welche der Staat gegenüber solchen Zuständen
zu ergreifen Pflegte, so waren diese nicht immer dieselben. Eines aber läßt
sich im Allgemeinen sagen, daß die ganze Theurungsvolitik des Mittelalters,
wenn wir einen Ausdruck der Heilkunst hier gebrauchen dürfen, wesentlich
symptomatisch war d. h. daß man ohne das Uebel selbst an seiner Wurzel
anzufassen, die Angriffe nur gegen die Symptome desselben richtete, z, B.
gegen die hohen Preise. Die Hauptsache erscheint hier immer das Bestreben
zu verhindern, daß nicht der Eigennutz der Menschen auf irgend eine Weise
eine noch höhere Steigerung der Preise hervorrufe, als das Bedürfniß schon
erheischt, kurz gesagt, die Hauptsache ist der Krieg gegen das, was man Korn-
wucher nannte, und eine große Menge von Maßregeln, eine strenge Ueber-
wachung des Kornhaudels sollte dahin führen, daß die Lebensbedürfnisse auf
die möglichst einfachste und normalste Weise aus den Händen des Producenten
in die des Consumenten übergingen.

In der Art und Weise der Anordnung ruft nun aber die fortschreitende
Entwicklung der Meuscheu mancherlei Verschiedenheiten hervor. Eine einheit¬
liche hierauf bezügliche Gesetzgebung hat Deutschland nur in der kurzen Zelt
gehabt, wo die verschiedenen germanischen Stämme durch einen überlegenen
eilernen Willen wirklich zu einer politischen Einheit gebracht waren, die dem
nahe kommt, was nur jetzt unter einem einheitlichen Staate uns denken, das
ist unter Karl dem Großen. Unter ihm ist die Thenrungspolitik noch Sache
des Reiches, und er faßt dies auch gleich mit einer ungeheuren Energie an.
Er geht so weit, für sein ganzes gewaltiges Staatsgebiet 794 eine Ver¬
ordnung zu verlassen, welche den Preis des Getreides fest normirt, möchte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/119>, abgerufen am 30.12.2024.