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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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baren Boden gegeben, grade reiche Getreideländer, die noch viel zur Ausfuhr
zu erübrigen Pflegen, haben solche Scenen im furchtbarsten Grade erlebt, z. B.
Böhmen und das Ordensland Preußen. Immer waren dann schreckliche
Seuchen im Gefolge der Hungersnot!); die schlechten Lebensmittel, der Hunger
selbst erzeugte sie und sie räumten noch gewaltig unter den Ueberlebenden auf.
Viele Dörfer lagen dann verwüstet, ein Tummelplatz für die Naubthiere des
Waldes.

Daß solche Zeiten so häusig eintreten, wird uns bald einleuchtend, wenn
wir bedenken, einmal den noch äußerst unvollkommnen Betrieb des Ackerbaues,
wobei das Getreide noch weit weniger gegen die verderblichen Folgen von
Nässe oder Dürre geschützt war als jetzt, dann die Schwierigkeit der Communi-
cation, die unzureichende Ausdehnung des Getreidehaudels. ja selbst das
Schwanken der Preise. Die Wohlfeilheit der vorigen Jahre verdoppelt die
Not!,/in den folgenden; wir lesen oft. wie in wohlfeilen Jahren gar kein
Gesinde zu haben ist, weil bei der Billigkeit der Lebensmittel die schwere Feld¬
arbeit zu lästig schien; so mußten denn viele Felder unbebaut bleiben, und
trat dann im folgenden Jahre Mißwachs ein, so war der, Mangel doppelt
groß. Endlich denke man an die damalige Art der Kriegführung, wo es bei
den fast nie abreißenden Fehden ohne Brennen und Verwüstung nicht abging,
wie sich noch 1450 ein Gras Harras rühmen konnte, er habe an einem Tage
"0 thüringsche Dörfer in Asche gelegt, wo der durch die Uhlandschcn Balladen
gefeierte Graf Eberhard der Greiner 1371 den Krieg gegen die Städte in
der Weise führte, daß er nicht uur Dörfer und Marktflecken niederbrannte,
sondern auch Korn, Kraut, Kohl und andere Feldfrüchte mit dem Schwerte
abhauen, den Erdboden umpflügen und dann ihn mit Senf, der in vielen
Jahren nicht auszurotten war, besäen und die Bäume umhauen oder wenig¬
stens abschälen ließ, um sie unfruchtbar zu machen, ja sogar Ziegen von der
Alp hinabzutreibcn befahl, damit sie die eßlinger Weinberge verwüsteten. Hier
war ganz unmittelbar die Folge solches unsinnigen Verfahrens eine allgemeine
Theurung, die beide Theile zum Frieden zwang.

Solche Zeiten allgemeinen Elends hätten, sollte man meinen, ein geeig¬
neter Boden sür communistische Bestrebungen sein müssen; wer wollte nicht
die Leute entschuldigen, welche den sichern Hungertod vor Augen selbst zur
Gewaltthat schreiten? Und doch ist von so etwas nicht die Rede; es kommen
wol Aufstände vor, aber sie haben einen praktischen Zweck. z. B. ein Ausfuhr¬
verbot zu bewirken. Es mehren sich wol in solcher Zeit die Diebstähle und
Verbrechen, aber von einem Kriege der Armen gegen die Reichen ist nirgend
die Rede; ja selbst das Naheliegendste, ein Angriff auf die Bäckerladen kommt
selten vor und wenn man I3ki> in Magdeburg klagt, es müßten die Bäcker
mit Stöcken bei ihren Läden stehen, damit man ihnen das Brot nicht ohne


baren Boden gegeben, grade reiche Getreideländer, die noch viel zur Ausfuhr
zu erübrigen Pflegen, haben solche Scenen im furchtbarsten Grade erlebt, z. B.
Böhmen und das Ordensland Preußen. Immer waren dann schreckliche
Seuchen im Gefolge der Hungersnot!); die schlechten Lebensmittel, der Hunger
selbst erzeugte sie und sie räumten noch gewaltig unter den Ueberlebenden auf.
Viele Dörfer lagen dann verwüstet, ein Tummelplatz für die Naubthiere des
Waldes.

Daß solche Zeiten so häusig eintreten, wird uns bald einleuchtend, wenn
wir bedenken, einmal den noch äußerst unvollkommnen Betrieb des Ackerbaues,
wobei das Getreide noch weit weniger gegen die verderblichen Folgen von
Nässe oder Dürre geschützt war als jetzt, dann die Schwierigkeit der Communi-
cation, die unzureichende Ausdehnung des Getreidehaudels. ja selbst das
Schwanken der Preise. Die Wohlfeilheit der vorigen Jahre verdoppelt die
Not!,/in den folgenden; wir lesen oft. wie in wohlfeilen Jahren gar kein
Gesinde zu haben ist, weil bei der Billigkeit der Lebensmittel die schwere Feld¬
arbeit zu lästig schien; so mußten denn viele Felder unbebaut bleiben, und
trat dann im folgenden Jahre Mißwachs ein, so war der, Mangel doppelt
groß. Endlich denke man an die damalige Art der Kriegführung, wo es bei
den fast nie abreißenden Fehden ohne Brennen und Verwüstung nicht abging,
wie sich noch 1450 ein Gras Harras rühmen konnte, er habe an einem Tage
»0 thüringsche Dörfer in Asche gelegt, wo der durch die Uhlandschcn Balladen
gefeierte Graf Eberhard der Greiner 1371 den Krieg gegen die Städte in
der Weise führte, daß er nicht uur Dörfer und Marktflecken niederbrannte,
sondern auch Korn, Kraut, Kohl und andere Feldfrüchte mit dem Schwerte
abhauen, den Erdboden umpflügen und dann ihn mit Senf, der in vielen
Jahren nicht auszurotten war, besäen und die Bäume umhauen oder wenig¬
stens abschälen ließ, um sie unfruchtbar zu machen, ja sogar Ziegen von der
Alp hinabzutreibcn befahl, damit sie die eßlinger Weinberge verwüsteten. Hier
war ganz unmittelbar die Folge solches unsinnigen Verfahrens eine allgemeine
Theurung, die beide Theile zum Frieden zwang.

Solche Zeiten allgemeinen Elends hätten, sollte man meinen, ein geeig¬
neter Boden sür communistische Bestrebungen sein müssen; wer wollte nicht
die Leute entschuldigen, welche den sichern Hungertod vor Augen selbst zur
Gewaltthat schreiten? Und doch ist von so etwas nicht die Rede; es kommen
wol Aufstände vor, aber sie haben einen praktischen Zweck. z. B. ein Ausfuhr¬
verbot zu bewirken. Es mehren sich wol in solcher Zeit die Diebstähle und
Verbrechen, aber von einem Kriege der Armen gegen die Reichen ist nirgend
die Rede; ja selbst das Naheliegendste, ein Angriff auf die Bäckerladen kommt
selten vor und wenn man I3ki> in Magdeburg klagt, es müßten die Bäcker
mit Stöcken bei ihren Läden stehen, damit man ihnen das Brot nicht ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/116>, abgerufen am 21.12.2024.