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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Zohmmes Müller und seine Zeit.
2.

Inzwischen wurden die Arbeiten an der Schweizergeschichte eifrig fort¬
gesetzt; ein Foliant nach dem andern wurde ezcerpirt, und je mehr sich die
Perspektiven in die allgemeine Geschichte erweiterten, desto deutlicher wurde
ihm das Colorit für die heimischen Zustände, "Die Geschichte der Eidgenossen."
finden wir in seinen Notizbüchern, "ist eine Geschichte des Mittelalters, das
Beispiel zu großen Sätzen über feinen Geist und seine Art." An seine
Schwester 17. Dec. 1774: "Was mir Vergnügen macht, ist, daß ich vorsehe,
wie bei der Herausgabe alle, welche mich nicht kennen, mich für einen alten
Mann mischn werden. Ich schreibe in der Sprache, mit dem Ernst eines
alten ehrwürdigen Schultheißen oder Bürgermeisters, der seinem Vaterland
die alten Großthaten vorhält, auf daß es dieselben nachahme, der aus einem
Reichstag der europäischen Nationen die großen Vorzüge der Verfassung und
Regierung der Schweizer ausführt, und den jungen Bürgern von Bern oder
Schaffhausen ihre Gesetze und Ordnungen erklärt," Seine Studien wecken
immer von Neuem den schlafenden Patriotismus wieder auf: "Ich gestehe
euch unverhohlen, daß ich eine Zeitlang die Gefahr der Republiken mit Gleich-
giltigkeit betrachtet und eines Fürsten Dienst vielleicht dem traurigen Dienst
eines schwachen, kränkelnden Vaterlandes vorgezogen Hütte. . . aber wenn ich
die Lehren und Exempel der alten Griechen und Römer, besonders auch der
Engländer erwäge, so finde ich es ehrlicher und rühmlicher, der Wahrheit, der
Tugend, der Freiheit auch in diesen Zeiten, da sie aus Europa vertrieben
werden sollen, treu zu bleiben; das Vaterland so lang möglich durch Rath
und That zu unterstützen zu trachten und wenn es untergehn sollte, die Frei¬
heit auf entfernten Küsten zu suchen" (3. Jan. i?7!>). -- Diese letztere Re¬
miniscenz aus dem Horaz wiederholt sich häufig. "Darum sollen wir in den
Eantonen die angeborne Liebe der Freiheit unterhalten, damit, weil doch
Europa untergeht, unsere Nation bedenke, daß unser Vaterland nicht ist, wo
wir geboren sind, sondern wo wir frei sind; und also einst vor dein östreicher
Joch in großen Haufen, die natürliche Freiheit im Herzen, die Waffen in der
Hand, unsere Altvordern vor den Augen, die unterworfenen Alpen verlasse und
einen andern Staat ausrichte." (An Bonstetten, 23. Dec. 1778).

"Mein Zweck ist nicht sowol zu erzählen, als anzuzeigen; nicht sowol zu
lesen zu geben, als zu denken; nicht sowol die Aufmerksamkeit zu befriedigen,
als dieselbe zu reizen. In allem trachte ich den unverdorbenen Theil der Na¬
tion bei derjenigen Vaterlandsliebe zu erhalten, welcher wir unser Dasein
schulden." (An seinen Vater. 29. Jul. 1770). Die schönen Stellen der Alten


Grenzboten II, 1W8. 13
Zohmmes Müller und seine Zeit.
2.

Inzwischen wurden die Arbeiten an der Schweizergeschichte eifrig fort¬
gesetzt; ein Foliant nach dem andern wurde ezcerpirt, und je mehr sich die
Perspektiven in die allgemeine Geschichte erweiterten, desto deutlicher wurde
ihm das Colorit für die heimischen Zustände, „Die Geschichte der Eidgenossen."
finden wir in seinen Notizbüchern, „ist eine Geschichte des Mittelalters, das
Beispiel zu großen Sätzen über feinen Geist und seine Art." An seine
Schwester 17. Dec. 1774: „Was mir Vergnügen macht, ist, daß ich vorsehe,
wie bei der Herausgabe alle, welche mich nicht kennen, mich für einen alten
Mann mischn werden. Ich schreibe in der Sprache, mit dem Ernst eines
alten ehrwürdigen Schultheißen oder Bürgermeisters, der seinem Vaterland
die alten Großthaten vorhält, auf daß es dieselben nachahme, der aus einem
Reichstag der europäischen Nationen die großen Vorzüge der Verfassung und
Regierung der Schweizer ausführt, und den jungen Bürgern von Bern oder
Schaffhausen ihre Gesetze und Ordnungen erklärt," Seine Studien wecken
immer von Neuem den schlafenden Patriotismus wieder auf: „Ich gestehe
euch unverhohlen, daß ich eine Zeitlang die Gefahr der Republiken mit Gleich-
giltigkeit betrachtet und eines Fürsten Dienst vielleicht dem traurigen Dienst
eines schwachen, kränkelnden Vaterlandes vorgezogen Hütte. . . aber wenn ich
die Lehren und Exempel der alten Griechen und Römer, besonders auch der
Engländer erwäge, so finde ich es ehrlicher und rühmlicher, der Wahrheit, der
Tugend, der Freiheit auch in diesen Zeiten, da sie aus Europa vertrieben
werden sollen, treu zu bleiben; das Vaterland so lang möglich durch Rath
und That zu unterstützen zu trachten und wenn es untergehn sollte, die Frei¬
heit auf entfernten Küsten zu suchen" (3. Jan. i?7!>). — Diese letztere Re¬
miniscenz aus dem Horaz wiederholt sich häufig. „Darum sollen wir in den
Eantonen die angeborne Liebe der Freiheit unterhalten, damit, weil doch
Europa untergeht, unsere Nation bedenke, daß unser Vaterland nicht ist, wo
wir geboren sind, sondern wo wir frei sind; und also einst vor dein östreicher
Joch in großen Haufen, die natürliche Freiheit im Herzen, die Waffen in der
Hand, unsere Altvordern vor den Augen, die unterworfenen Alpen verlasse und
einen andern Staat ausrichte." (An Bonstetten, 23. Dec. 1778).

„Mein Zweck ist nicht sowol zu erzählen, als anzuzeigen; nicht sowol zu
lesen zu geben, als zu denken; nicht sowol die Aufmerksamkeit zu befriedigen,
als dieselbe zu reizen. In allem trachte ich den unverdorbenen Theil der Na¬
tion bei derjenigen Vaterlandsliebe zu erhalten, welcher wir unser Dasein
schulden." (An seinen Vater. 29. Jul. 1770). Die schönen Stellen der Alten


Grenzboten II, 1W8. 13
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[0105] Zohmmes Müller und seine Zeit. 2. Inzwischen wurden die Arbeiten an der Schweizergeschichte eifrig fort¬ gesetzt; ein Foliant nach dem andern wurde ezcerpirt, und je mehr sich die Perspektiven in die allgemeine Geschichte erweiterten, desto deutlicher wurde ihm das Colorit für die heimischen Zustände, „Die Geschichte der Eidgenossen." finden wir in seinen Notizbüchern, „ist eine Geschichte des Mittelalters, das Beispiel zu großen Sätzen über feinen Geist und seine Art." An seine Schwester 17. Dec. 1774: „Was mir Vergnügen macht, ist, daß ich vorsehe, wie bei der Herausgabe alle, welche mich nicht kennen, mich für einen alten Mann mischn werden. Ich schreibe in der Sprache, mit dem Ernst eines alten ehrwürdigen Schultheißen oder Bürgermeisters, der seinem Vaterland die alten Großthaten vorhält, auf daß es dieselben nachahme, der aus einem Reichstag der europäischen Nationen die großen Vorzüge der Verfassung und Regierung der Schweizer ausführt, und den jungen Bürgern von Bern oder Schaffhausen ihre Gesetze und Ordnungen erklärt," Seine Studien wecken immer von Neuem den schlafenden Patriotismus wieder auf: „Ich gestehe euch unverhohlen, daß ich eine Zeitlang die Gefahr der Republiken mit Gleich- giltigkeit betrachtet und eines Fürsten Dienst vielleicht dem traurigen Dienst eines schwachen, kränkelnden Vaterlandes vorgezogen Hütte. . . aber wenn ich die Lehren und Exempel der alten Griechen und Römer, besonders auch der Engländer erwäge, so finde ich es ehrlicher und rühmlicher, der Wahrheit, der Tugend, der Freiheit auch in diesen Zeiten, da sie aus Europa vertrieben werden sollen, treu zu bleiben; das Vaterland so lang möglich durch Rath und That zu unterstützen zu trachten und wenn es untergehn sollte, die Frei¬ heit auf entfernten Küsten zu suchen" (3. Jan. i?7!>). — Diese letztere Re¬ miniscenz aus dem Horaz wiederholt sich häufig. „Darum sollen wir in den Eantonen die angeborne Liebe der Freiheit unterhalten, damit, weil doch Europa untergeht, unsere Nation bedenke, daß unser Vaterland nicht ist, wo wir geboren sind, sondern wo wir frei sind; und also einst vor dein östreicher Joch in großen Haufen, die natürliche Freiheit im Herzen, die Waffen in der Hand, unsere Altvordern vor den Augen, die unterworfenen Alpen verlasse und einen andern Staat ausrichte." (An Bonstetten, 23. Dec. 1778). „Mein Zweck ist nicht sowol zu erzählen, als anzuzeigen; nicht sowol zu lesen zu geben, als zu denken; nicht sowol die Aufmerksamkeit zu befriedigen, als dieselbe zu reizen. In allem trachte ich den unverdorbenen Theil der Na¬ tion bei derjenigen Vaterlandsliebe zu erhalten, welcher wir unser Dasein schulden." (An seinen Vater. 29. Jul. 1770). Die schönen Stellen der Alten Grenzboten II, 1W8. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/105>, abgerufen am 21.12.2024.