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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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haben, so enthält die ganze Literatur doch nicht eine einzige Schilderung der
scheinlosem, aber beglückenden Wirksamkeit der Frauen als Gattinnen und
Mütter; nicht etwa weil es an Mustern der echt weiblichen Tugenden gefehlt
Hütte, sondern weil sie der Satire und der Rhetorik keinen so pikanten und
dankbaren Stoff boten. Dagegen hat die Geschichte manches leuchtende Bei¬
spiel von weiblicher Seelengröße und Hochherzigkeit gerade aus den Zeiten
aufbewahrt, die im Ganzen betrachtet nur ein abschreckendes Bild tiefster Ent¬
artung und erbärmlichen Knechtsinus zeigen. Derselbe Druck, der gewöhnliche
Naturen beugte oder brach, hob und verdoppelte die Widerstandskraft großer
Seelen. In den furchtbarsten Zeiten der kaiserlichen Schreckensherrschaft blieben
auch die Frauen von der Gefahr nicht verschont. Da man sie nicht anklagen
konnte, sagt Tacitus. nach der höchsten Gewalt zustreben, wurden sie um der
Thränen willen verfolgt, die sie ihren geopferten Angehörigen nachweinten. In
den letzten Zeiten Tibers wurde eine alte Frau zum Tode verurtheilt, weil sie
ihren Hingerichteten Sohn betrauert hatte. In jener Zeit, wo Verrath. Feig¬
heit und niedrige Selbstsucht nur zu allgemein waren, gaben die Frauen den
Männern nicht selten das Beispiel des Muthes, der Treue und Aufopferung.
Mütter folgten ihren Söhnen, Gattinnen ihren Männern ins Exil. Familia,
die Gemahlin des Helvidius, eines Führers der senatorischen Opposition unter
Nero, ging zweimal mit ihm in die Verbannung. Nach seinem Tode litt sie
dieselbe Strafe um seinetwillen zum dritten Mal. Ein Freund des Verstorbenen
hatte sein Leben geschrieben; wegen dieses Buches angeklagt, sagte er zu seiner
Vertheidigung, die Witwe habe ihn aufgefordert; auf die drohende Frage des
Anklägers, ob sie das wirtlich gethan, erwiederte Familia "ja", ob sie ihm die
Papiere ihres Mannes zur Benutzung gegeben, "ja", ob mit Wissen ihrer
Mutter, "nein;" und so konnte die Gefahr, in der sie schwebte, ihr überhaupt
sein Wort abpressen. Ihr Vermögen ward confiscire, sie selbst verbannt.
Das Buch, das die Ursache des Urtheils war, obwol auf Senatsbeschluß ver¬
boten und vernichtet, hegte und bewahrte sie, und nahm es mit ins Exil.
Oft sind Frauen welche die Ihren mit Thränen und Bitten nicht retten konnten,
mit ihnen gestorben. Nur eine von den vielen Jammergcschichten. die Tacitus
berichtet, sei hier erzählt. Nubellius Plautus, ein hochgestellter Mann, dessen
Ansehen Neros Furcht erregte, wurde in den Armen seiner Gemahlin ermordet;
sie bewahrte die bluttriefenden Kleider und. lebte fortan in beständiger Trauer,
ohne mehr Nahrung zu sich zu nehmen, als die Abwehr des Hungertodes
verlangte. Nach drei Jahren ward auch ihr Vater angeklagt; vergebens suchte
sie Zutritt bei Nero, ihr Flehen, ihre Klagen und Verwünschungen blieben
gleich unerhört^ nun beschloß sie mit ihrem Vater zu sterben, und die bejahrte
Schwiegermutter des Angeklagten wollte das Schicksal Beider theilen. Sie
vertheilen ihr Vermögen ein die Sklaven und behalten nur drei Betten zurück.


haben, so enthält die ganze Literatur doch nicht eine einzige Schilderung der
scheinlosem, aber beglückenden Wirksamkeit der Frauen als Gattinnen und
Mütter; nicht etwa weil es an Mustern der echt weiblichen Tugenden gefehlt
Hütte, sondern weil sie der Satire und der Rhetorik keinen so pikanten und
dankbaren Stoff boten. Dagegen hat die Geschichte manches leuchtende Bei¬
spiel von weiblicher Seelengröße und Hochherzigkeit gerade aus den Zeiten
aufbewahrt, die im Ganzen betrachtet nur ein abschreckendes Bild tiefster Ent¬
artung und erbärmlichen Knechtsinus zeigen. Derselbe Druck, der gewöhnliche
Naturen beugte oder brach, hob und verdoppelte die Widerstandskraft großer
Seelen. In den furchtbarsten Zeiten der kaiserlichen Schreckensherrschaft blieben
auch die Frauen von der Gefahr nicht verschont. Da man sie nicht anklagen
konnte, sagt Tacitus. nach der höchsten Gewalt zustreben, wurden sie um der
Thränen willen verfolgt, die sie ihren geopferten Angehörigen nachweinten. In
den letzten Zeiten Tibers wurde eine alte Frau zum Tode verurtheilt, weil sie
ihren Hingerichteten Sohn betrauert hatte. In jener Zeit, wo Verrath. Feig¬
heit und niedrige Selbstsucht nur zu allgemein waren, gaben die Frauen den
Männern nicht selten das Beispiel des Muthes, der Treue und Aufopferung.
Mütter folgten ihren Söhnen, Gattinnen ihren Männern ins Exil. Familia,
die Gemahlin des Helvidius, eines Führers der senatorischen Opposition unter
Nero, ging zweimal mit ihm in die Verbannung. Nach seinem Tode litt sie
dieselbe Strafe um seinetwillen zum dritten Mal. Ein Freund des Verstorbenen
hatte sein Leben geschrieben; wegen dieses Buches angeklagt, sagte er zu seiner
Vertheidigung, die Witwe habe ihn aufgefordert; auf die drohende Frage des
Anklägers, ob sie das wirtlich gethan, erwiederte Familia „ja", ob sie ihm die
Papiere ihres Mannes zur Benutzung gegeben, „ja", ob mit Wissen ihrer
Mutter, „nein;" und so konnte die Gefahr, in der sie schwebte, ihr überhaupt
sein Wort abpressen. Ihr Vermögen ward confiscire, sie selbst verbannt.
Das Buch, das die Ursache des Urtheils war, obwol auf Senatsbeschluß ver¬
boten und vernichtet, hegte und bewahrte sie, und nahm es mit ins Exil.
Oft sind Frauen welche die Ihren mit Thränen und Bitten nicht retten konnten,
mit ihnen gestorben. Nur eine von den vielen Jammergcschichten. die Tacitus
berichtet, sei hier erzählt. Nubellius Plautus, ein hochgestellter Mann, dessen
Ansehen Neros Furcht erregte, wurde in den Armen seiner Gemahlin ermordet;
sie bewahrte die bluttriefenden Kleider und. lebte fortan in beständiger Trauer,
ohne mehr Nahrung zu sich zu nehmen, als die Abwehr des Hungertodes
verlangte. Nach drei Jahren ward auch ihr Vater angeklagt; vergebens suchte
sie Zutritt bei Nero, ihr Flehen, ihre Klagen und Verwünschungen blieben
gleich unerhört^ nun beschloß sie mit ihrem Vater zu sterben, und die bejahrte
Schwiegermutter des Angeklagten wollte das Schicksal Beider theilen. Sie
vertheilen ihr Vermögen ein die Sklaven und behalten nur drei Betten zurück.


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[0101] haben, so enthält die ganze Literatur doch nicht eine einzige Schilderung der scheinlosem, aber beglückenden Wirksamkeit der Frauen als Gattinnen und Mütter; nicht etwa weil es an Mustern der echt weiblichen Tugenden gefehlt Hütte, sondern weil sie der Satire und der Rhetorik keinen so pikanten und dankbaren Stoff boten. Dagegen hat die Geschichte manches leuchtende Bei¬ spiel von weiblicher Seelengröße und Hochherzigkeit gerade aus den Zeiten aufbewahrt, die im Ganzen betrachtet nur ein abschreckendes Bild tiefster Ent¬ artung und erbärmlichen Knechtsinus zeigen. Derselbe Druck, der gewöhnliche Naturen beugte oder brach, hob und verdoppelte die Widerstandskraft großer Seelen. In den furchtbarsten Zeiten der kaiserlichen Schreckensherrschaft blieben auch die Frauen von der Gefahr nicht verschont. Da man sie nicht anklagen konnte, sagt Tacitus. nach der höchsten Gewalt zustreben, wurden sie um der Thränen willen verfolgt, die sie ihren geopferten Angehörigen nachweinten. In den letzten Zeiten Tibers wurde eine alte Frau zum Tode verurtheilt, weil sie ihren Hingerichteten Sohn betrauert hatte. In jener Zeit, wo Verrath. Feig¬ heit und niedrige Selbstsucht nur zu allgemein waren, gaben die Frauen den Männern nicht selten das Beispiel des Muthes, der Treue und Aufopferung. Mütter folgten ihren Söhnen, Gattinnen ihren Männern ins Exil. Familia, die Gemahlin des Helvidius, eines Führers der senatorischen Opposition unter Nero, ging zweimal mit ihm in die Verbannung. Nach seinem Tode litt sie dieselbe Strafe um seinetwillen zum dritten Mal. Ein Freund des Verstorbenen hatte sein Leben geschrieben; wegen dieses Buches angeklagt, sagte er zu seiner Vertheidigung, die Witwe habe ihn aufgefordert; auf die drohende Frage des Anklägers, ob sie das wirtlich gethan, erwiederte Familia „ja", ob sie ihm die Papiere ihres Mannes zur Benutzung gegeben, „ja", ob mit Wissen ihrer Mutter, „nein;" und so konnte die Gefahr, in der sie schwebte, ihr überhaupt sein Wort abpressen. Ihr Vermögen ward confiscire, sie selbst verbannt. Das Buch, das die Ursache des Urtheils war, obwol auf Senatsbeschluß ver¬ boten und vernichtet, hegte und bewahrte sie, und nahm es mit ins Exil. Oft sind Frauen welche die Ihren mit Thränen und Bitten nicht retten konnten, mit ihnen gestorben. Nur eine von den vielen Jammergcschichten. die Tacitus berichtet, sei hier erzählt. Nubellius Plautus, ein hochgestellter Mann, dessen Ansehen Neros Furcht erregte, wurde in den Armen seiner Gemahlin ermordet; sie bewahrte die bluttriefenden Kleider und. lebte fortan in beständiger Trauer, ohne mehr Nahrung zu sich zu nehmen, als die Abwehr des Hungertodes verlangte. Nach drei Jahren ward auch ihr Vater angeklagt; vergebens suchte sie Zutritt bei Nero, ihr Flehen, ihre Klagen und Verwünschungen blieben gleich unerhört^ nun beschloß sie mit ihrem Vater zu sterben, und die bejahrte Schwiegermutter des Angeklagten wollte das Schicksal Beider theilen. Sie vertheilen ihr Vermögen ein die Sklaven und behalten nur drei Betten zurück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/101>, abgerufen am 21.12.2024.