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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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sodann öffnen sie sich in demselben Gemach mit demselben Messer die Adern
und lassen sich, in Gewänder gehüllt, in ein warmes Bad tragen, um den
Tod durch Einathmen von Wasserdämpfen zu beschleunigen. "Der Vater
schaute auf die Tochter, die Großmutter auf die Enkelin, diese auf sie Beide,
und wetteifernd flehten sie um schnelles Ende für ihr eignes schwindendes
Leben, daß sie die Ihrigen noch lebend zurücklassen möchten. Das Schicksal
bewahrte die Ordnung der Natur. Das Leben der beiden Eltern erlosch
zuerst, das der Jüngsten zuletzt." Unter so vielen Frauen, deren Heldenmuth
die Männer beschämte, ist der höchste Ruhm jener Arria geworden, die ihrem
zaubernden Gemahl den Dolch, den sie sich in die Brust gestoßen, mit den un¬
sterblichen Worten reichte, "Palus es schmerzt nicht." Andere minder bekannte,
aber kaum minder denkwürdige Züge von der Seelengröße dieser seltenen Frau
erzählt der jüngere Plinius. Ihr Gemahl und ihr Sohn lagen zu gleicher
Zeit an lebensgefährlicher Krankheit darnieder. Der Sohn, die Hoffnung der
Eltern starb, und Arria trug ihn zu Grabe, ohne daß Palus es erfuhr. Seine
Fragen beantwortete sie mit erheuchelter Ruhe: es gehe besser, er habe ge¬
schlafen, Speise zu sich genommen. Wenn dann die---4ange zurückgehaltenen
Thränen mit Gewalt hervorbrachen, verließ sie das Krankenzimmer und über¬
ließ sich ihrem Schmerz; hatte sie sich gesättigt, so kehrte sie mit trocknen Augen
und ruhigem Antlitz zurück. So nach dem Verlust des Sohnes die Mutter spielen,
sagt Plinius, war größer als ihrem Gatten jenes Beispiel der Todesverachtung
geben. Der Grund zu Palus Verurtheilung war seine Theilnahme an der
Verschwörung des Legaten Scribonianus gegen den Kaiser Claudius in Jlly-
rien. > Scribonianus wurde getödtet, und Palus gefangen nach Rom geführt.
Arria bat vergebens, das Schiff mit ihm besteigen zu dürfen; sie wollte die
Stelle der Sklaven vertreten, die man einem Manne von seinem Range nicht
werde versagen wollen. Als dies abgeschlagen wurde, miethete sie einen
Fischerkahn, aus dem sie dem Schiffe folgte. Zu der Gemahlin des Scribonianus.
die vor Claudius als Leugin vernommen wurde, sagte sie: ich soll auf dich
hören, die du lebst, nachdem Scribonianus in deinem Schoße getödtet ist?
Ihr Schwiegersohn Thrasca beschwor sie sich zu erhalten, und sagte unter
andern: "Wünschest du denn, daß deine Tochter mit mir sterbe, wenn ich
sterben muß?" "Wenn sie so lange und so einträchtig mit dir gelebt hat. wie
ich mit Palus. ja." Die Sorge der Ihrigen um sie wurde durch diese Antwort
vermehrt. Man bewachte sie aufmerksamer, sie wurde es gewahr und sagte:
"Ihr richtet nichts aus; ihr könnt bewirken, daß ich einen harten Tod leide,
daß ich sterbe könnt ihr nicht hindern." Mit diesen Worten sprang sie vom
Sessel auf und rannte mit solcher Gewalt ihre Stirn gegen die Wand, daß
sie zusammenstürzte. Als sie wieder ins Leben zurückgebracht war. sprach sie:
"Ich hatte euch gesagt, daß ich einen Weg in den Tod finden würde, wenn-


sodann öffnen sie sich in demselben Gemach mit demselben Messer die Adern
und lassen sich, in Gewänder gehüllt, in ein warmes Bad tragen, um den
Tod durch Einathmen von Wasserdämpfen zu beschleunigen. „Der Vater
schaute auf die Tochter, die Großmutter auf die Enkelin, diese auf sie Beide,
und wetteifernd flehten sie um schnelles Ende für ihr eignes schwindendes
Leben, daß sie die Ihrigen noch lebend zurücklassen möchten. Das Schicksal
bewahrte die Ordnung der Natur. Das Leben der beiden Eltern erlosch
zuerst, das der Jüngsten zuletzt." Unter so vielen Frauen, deren Heldenmuth
die Männer beschämte, ist der höchste Ruhm jener Arria geworden, die ihrem
zaubernden Gemahl den Dolch, den sie sich in die Brust gestoßen, mit den un¬
sterblichen Worten reichte, „Palus es schmerzt nicht." Andere minder bekannte,
aber kaum minder denkwürdige Züge von der Seelengröße dieser seltenen Frau
erzählt der jüngere Plinius. Ihr Gemahl und ihr Sohn lagen zu gleicher
Zeit an lebensgefährlicher Krankheit darnieder. Der Sohn, die Hoffnung der
Eltern starb, und Arria trug ihn zu Grabe, ohne daß Palus es erfuhr. Seine
Fragen beantwortete sie mit erheuchelter Ruhe: es gehe besser, er habe ge¬
schlafen, Speise zu sich genommen. Wenn dann die---4ange zurückgehaltenen
Thränen mit Gewalt hervorbrachen, verließ sie das Krankenzimmer und über¬
ließ sich ihrem Schmerz; hatte sie sich gesättigt, so kehrte sie mit trocknen Augen
und ruhigem Antlitz zurück. So nach dem Verlust des Sohnes die Mutter spielen,
sagt Plinius, war größer als ihrem Gatten jenes Beispiel der Todesverachtung
geben. Der Grund zu Palus Verurtheilung war seine Theilnahme an der
Verschwörung des Legaten Scribonianus gegen den Kaiser Claudius in Jlly-
rien. > Scribonianus wurde getödtet, und Palus gefangen nach Rom geführt.
Arria bat vergebens, das Schiff mit ihm besteigen zu dürfen; sie wollte die
Stelle der Sklaven vertreten, die man einem Manne von seinem Range nicht
werde versagen wollen. Als dies abgeschlagen wurde, miethete sie einen
Fischerkahn, aus dem sie dem Schiffe folgte. Zu der Gemahlin des Scribonianus.
die vor Claudius als Leugin vernommen wurde, sagte sie: ich soll auf dich
hören, die du lebst, nachdem Scribonianus in deinem Schoße getödtet ist?
Ihr Schwiegersohn Thrasca beschwor sie sich zu erhalten, und sagte unter
andern: „Wünschest du denn, daß deine Tochter mit mir sterbe, wenn ich
sterben muß?" „Wenn sie so lange und so einträchtig mit dir gelebt hat. wie
ich mit Palus. ja." Die Sorge der Ihrigen um sie wurde durch diese Antwort
vermehrt. Man bewachte sie aufmerksamer, sie wurde es gewahr und sagte:
„Ihr richtet nichts aus; ihr könnt bewirken, daß ich einen harten Tod leide,
daß ich sterbe könnt ihr nicht hindern." Mit diesen Worten sprang sie vom
Sessel auf und rannte mit solcher Gewalt ihre Stirn gegen die Wand, daß
sie zusammenstürzte. Als sie wieder ins Leben zurückgebracht war. sprach sie:
„Ich hatte euch gesagt, daß ich einen Weg in den Tod finden würde, wenn-


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[0102] sodann öffnen sie sich in demselben Gemach mit demselben Messer die Adern und lassen sich, in Gewänder gehüllt, in ein warmes Bad tragen, um den Tod durch Einathmen von Wasserdämpfen zu beschleunigen. „Der Vater schaute auf die Tochter, die Großmutter auf die Enkelin, diese auf sie Beide, und wetteifernd flehten sie um schnelles Ende für ihr eignes schwindendes Leben, daß sie die Ihrigen noch lebend zurücklassen möchten. Das Schicksal bewahrte die Ordnung der Natur. Das Leben der beiden Eltern erlosch zuerst, das der Jüngsten zuletzt." Unter so vielen Frauen, deren Heldenmuth die Männer beschämte, ist der höchste Ruhm jener Arria geworden, die ihrem zaubernden Gemahl den Dolch, den sie sich in die Brust gestoßen, mit den un¬ sterblichen Worten reichte, „Palus es schmerzt nicht." Andere minder bekannte, aber kaum minder denkwürdige Züge von der Seelengröße dieser seltenen Frau erzählt der jüngere Plinius. Ihr Gemahl und ihr Sohn lagen zu gleicher Zeit an lebensgefährlicher Krankheit darnieder. Der Sohn, die Hoffnung der Eltern starb, und Arria trug ihn zu Grabe, ohne daß Palus es erfuhr. Seine Fragen beantwortete sie mit erheuchelter Ruhe: es gehe besser, er habe ge¬ schlafen, Speise zu sich genommen. Wenn dann die---4ange zurückgehaltenen Thränen mit Gewalt hervorbrachen, verließ sie das Krankenzimmer und über¬ ließ sich ihrem Schmerz; hatte sie sich gesättigt, so kehrte sie mit trocknen Augen und ruhigem Antlitz zurück. So nach dem Verlust des Sohnes die Mutter spielen, sagt Plinius, war größer als ihrem Gatten jenes Beispiel der Todesverachtung geben. Der Grund zu Palus Verurtheilung war seine Theilnahme an der Verschwörung des Legaten Scribonianus gegen den Kaiser Claudius in Jlly- rien. > Scribonianus wurde getödtet, und Palus gefangen nach Rom geführt. Arria bat vergebens, das Schiff mit ihm besteigen zu dürfen; sie wollte die Stelle der Sklaven vertreten, die man einem Manne von seinem Range nicht werde versagen wollen. Als dies abgeschlagen wurde, miethete sie einen Fischerkahn, aus dem sie dem Schiffe folgte. Zu der Gemahlin des Scribonianus. die vor Claudius als Leugin vernommen wurde, sagte sie: ich soll auf dich hören, die du lebst, nachdem Scribonianus in deinem Schoße getödtet ist? Ihr Schwiegersohn Thrasca beschwor sie sich zu erhalten, und sagte unter andern: „Wünschest du denn, daß deine Tochter mit mir sterbe, wenn ich sterben muß?" „Wenn sie so lange und so einträchtig mit dir gelebt hat. wie ich mit Palus. ja." Die Sorge der Ihrigen um sie wurde durch diese Antwort vermehrt. Man bewachte sie aufmerksamer, sie wurde es gewahr und sagte: „Ihr richtet nichts aus; ihr könnt bewirken, daß ich einen harten Tod leide, daß ich sterbe könnt ihr nicht hindern." Mit diesen Worten sprang sie vom Sessel auf und rannte mit solcher Gewalt ihre Stirn gegen die Wand, daß sie zusammenstürzte. Als sie wieder ins Leben zurückgebracht war. sprach sie: „Ich hatte euch gesagt, daß ich einen Weg in den Tod finden würde, wenn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/102>, abgerufen am 21.12.2024.