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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Ihr Pomp war auf die Sinnlichkeit wohl berechnet, ihr umständliches Ceremo¬
nie! imponirte der Einfalt; in ihren Symbolen, Wundern und Geheimnissen
wähnten gläubige Gemüther eine höhere Offenbarung, durch ihre Leistungen
hoffte man sich von Sünde zu reinigen und einer höhern Seligkeit theilhaft
zu werden. Dieselbe Schwäche, welche die Verschuldung herbeigeführt hatte,
glaubte auch durck äußerliche Bußen sich von der Schuld befreien zu können.
Es war natürlich, daß das schwächere Geschlecht am sehnsüchtigster nach
diesen angeblichen religiösen Tröstungen verlangte. Unter den Frauen hatten
die orientalischen Gottheiten ihre andächtigsten Beterinnen, und deren Prie¬
ster ihre leichtgläubigsten, gehorsamsten und freigebigsten Anhängerinnen.
Bald ließen sie sich von einer herumziehenden Bande von Bettelpriestern der
großen Mutter einreden, daß der Sirocco im September ihnen unfehlbar ein
Fieber zuziehen würde, falls sie sich nicht mit einem Geschenk von hundert
Eiern und abgelegten Purpurtunikcn führten, dann würde die bevorstehende
Gefahr in die Kleider fahren, und sie für dies Jahr sicher sein. Auf prie-
sterliche Vorschrift tauchten sie dreimal am frühen Morgen in der Tiber unter,
wenn sie mit Eis ging, und rutschten eine bestimmte Strecke in der noth-
dürftigsten Kleidung vor Kälte und Seelenangst zitternd auf den Knieen.
Wenn Isis ihnen im Traum erschien, und in ihrem Tempel mit Nilwasser
zu sprengen befahl, reisten sie unverzüglich an die Grenze von Oberägypten.
Die große Göttin Isis wurde von den Frauen am eifrigsten verehrt. Zu'
ihren Tempeln strömten in Masse die Beterinnen in den unerläßlichen leine¬
nen Gewändern, sangen zweimal am Tage mit aufgelöstem Haar in den
Chören zum Preise der Göttin mit, ließen sich mit Nilwasser besprengen, be¬
obachteten die Fasten und die sonstige Enthaltsamkeit, die die Priester für
gut fanden ihnen aufzuerlegen; hatten sie aber gefehlt, dann legten die Prie¬
ster für gute Bezahlung ihre Fürbitte bei Osiris ein, und durch ihr Gebet
oder durch das Opfer eines Kuchens und einer fetten Gans ließen sich die
erzürnten Götter beschwichtigen. Uebrigens wurden die Tempel der ägyptischen
Gottheiten auch zu sehr unheiligen Zwecken benutzt. Die Priester und Tem¬
peldiener trieben häusig die Kuppelei gewerbsmäßig, und wenn die christlichen
Apologeten buchstäblichen Glauben verdienen, waren diese wie alle heidnischen
Heiligthümer Schauplätze der ärgsten Ausschweifungen. Uebrigens hatte neben
den Götzendiensten Aegyptens, Vorderasiens, Syriens und Persiens auch das
Judenthum zahlreiche Proselytinnen in Rom. Vornehme Römerinnen sendeten
alljährlich die Tempclsteuer nach Jerusalem und von einer Kaiserin wenigstens,
von Poppaea, Neros Gemahlin, wissen wir, daß sie entschieden zum Juden¬
thum neigte.

So oft und ausführlich die Zeitgenossen die Schwächen und Thorheiten,
die Verirrungen und Laster des weiblichen Geschlechts bewitzelt und bejammert


Ihr Pomp war auf die Sinnlichkeit wohl berechnet, ihr umständliches Ceremo¬
nie! imponirte der Einfalt; in ihren Symbolen, Wundern und Geheimnissen
wähnten gläubige Gemüther eine höhere Offenbarung, durch ihre Leistungen
hoffte man sich von Sünde zu reinigen und einer höhern Seligkeit theilhaft
zu werden. Dieselbe Schwäche, welche die Verschuldung herbeigeführt hatte,
glaubte auch durck äußerliche Bußen sich von der Schuld befreien zu können.
Es war natürlich, daß das schwächere Geschlecht am sehnsüchtigster nach
diesen angeblichen religiösen Tröstungen verlangte. Unter den Frauen hatten
die orientalischen Gottheiten ihre andächtigsten Beterinnen, und deren Prie¬
ster ihre leichtgläubigsten, gehorsamsten und freigebigsten Anhängerinnen.
Bald ließen sie sich von einer herumziehenden Bande von Bettelpriestern der
großen Mutter einreden, daß der Sirocco im September ihnen unfehlbar ein
Fieber zuziehen würde, falls sie sich nicht mit einem Geschenk von hundert
Eiern und abgelegten Purpurtunikcn führten, dann würde die bevorstehende
Gefahr in die Kleider fahren, und sie für dies Jahr sicher sein. Auf prie-
sterliche Vorschrift tauchten sie dreimal am frühen Morgen in der Tiber unter,
wenn sie mit Eis ging, und rutschten eine bestimmte Strecke in der noth-
dürftigsten Kleidung vor Kälte und Seelenangst zitternd auf den Knieen.
Wenn Isis ihnen im Traum erschien, und in ihrem Tempel mit Nilwasser
zu sprengen befahl, reisten sie unverzüglich an die Grenze von Oberägypten.
Die große Göttin Isis wurde von den Frauen am eifrigsten verehrt. Zu'
ihren Tempeln strömten in Masse die Beterinnen in den unerläßlichen leine¬
nen Gewändern, sangen zweimal am Tage mit aufgelöstem Haar in den
Chören zum Preise der Göttin mit, ließen sich mit Nilwasser besprengen, be¬
obachteten die Fasten und die sonstige Enthaltsamkeit, die die Priester für
gut fanden ihnen aufzuerlegen; hatten sie aber gefehlt, dann legten die Prie¬
ster für gute Bezahlung ihre Fürbitte bei Osiris ein, und durch ihr Gebet
oder durch das Opfer eines Kuchens und einer fetten Gans ließen sich die
erzürnten Götter beschwichtigen. Uebrigens wurden die Tempel der ägyptischen
Gottheiten auch zu sehr unheiligen Zwecken benutzt. Die Priester und Tem¬
peldiener trieben häusig die Kuppelei gewerbsmäßig, und wenn die christlichen
Apologeten buchstäblichen Glauben verdienen, waren diese wie alle heidnischen
Heiligthümer Schauplätze der ärgsten Ausschweifungen. Uebrigens hatte neben
den Götzendiensten Aegyptens, Vorderasiens, Syriens und Persiens auch das
Judenthum zahlreiche Proselytinnen in Rom. Vornehme Römerinnen sendeten
alljährlich die Tempclsteuer nach Jerusalem und von einer Kaiserin wenigstens,
von Poppaea, Neros Gemahlin, wissen wir, daß sie entschieden zum Juden¬
thum neigte.

So oft und ausführlich die Zeitgenossen die Schwächen und Thorheiten,
die Verirrungen und Laster des weiblichen Geschlechts bewitzelt und bejammert


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[0100] Ihr Pomp war auf die Sinnlichkeit wohl berechnet, ihr umständliches Ceremo¬ nie! imponirte der Einfalt; in ihren Symbolen, Wundern und Geheimnissen wähnten gläubige Gemüther eine höhere Offenbarung, durch ihre Leistungen hoffte man sich von Sünde zu reinigen und einer höhern Seligkeit theilhaft zu werden. Dieselbe Schwäche, welche die Verschuldung herbeigeführt hatte, glaubte auch durck äußerliche Bußen sich von der Schuld befreien zu können. Es war natürlich, daß das schwächere Geschlecht am sehnsüchtigster nach diesen angeblichen religiösen Tröstungen verlangte. Unter den Frauen hatten die orientalischen Gottheiten ihre andächtigsten Beterinnen, und deren Prie¬ ster ihre leichtgläubigsten, gehorsamsten und freigebigsten Anhängerinnen. Bald ließen sie sich von einer herumziehenden Bande von Bettelpriestern der großen Mutter einreden, daß der Sirocco im September ihnen unfehlbar ein Fieber zuziehen würde, falls sie sich nicht mit einem Geschenk von hundert Eiern und abgelegten Purpurtunikcn führten, dann würde die bevorstehende Gefahr in die Kleider fahren, und sie für dies Jahr sicher sein. Auf prie- sterliche Vorschrift tauchten sie dreimal am frühen Morgen in der Tiber unter, wenn sie mit Eis ging, und rutschten eine bestimmte Strecke in der noth- dürftigsten Kleidung vor Kälte und Seelenangst zitternd auf den Knieen. Wenn Isis ihnen im Traum erschien, und in ihrem Tempel mit Nilwasser zu sprengen befahl, reisten sie unverzüglich an die Grenze von Oberägypten. Die große Göttin Isis wurde von den Frauen am eifrigsten verehrt. Zu' ihren Tempeln strömten in Masse die Beterinnen in den unerläßlichen leine¬ nen Gewändern, sangen zweimal am Tage mit aufgelöstem Haar in den Chören zum Preise der Göttin mit, ließen sich mit Nilwasser besprengen, be¬ obachteten die Fasten und die sonstige Enthaltsamkeit, die die Priester für gut fanden ihnen aufzuerlegen; hatten sie aber gefehlt, dann legten die Prie¬ ster für gute Bezahlung ihre Fürbitte bei Osiris ein, und durch ihr Gebet oder durch das Opfer eines Kuchens und einer fetten Gans ließen sich die erzürnten Götter beschwichtigen. Uebrigens wurden die Tempel der ägyptischen Gottheiten auch zu sehr unheiligen Zwecken benutzt. Die Priester und Tem¬ peldiener trieben häusig die Kuppelei gewerbsmäßig, und wenn die christlichen Apologeten buchstäblichen Glauben verdienen, waren diese wie alle heidnischen Heiligthümer Schauplätze der ärgsten Ausschweifungen. Uebrigens hatte neben den Götzendiensten Aegyptens, Vorderasiens, Syriens und Persiens auch das Judenthum zahlreiche Proselytinnen in Rom. Vornehme Römerinnen sendeten alljährlich die Tempclsteuer nach Jerusalem und von einer Kaiserin wenigstens, von Poppaea, Neros Gemahlin, wissen wir, daß sie entschieden zum Juden¬ thum neigte. So oft und ausführlich die Zeitgenossen die Schwächen und Thorheiten, die Verirrungen und Laster des weiblichen Geschlechts bewitzelt und bejammert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/100>, abgerufen am 21.12.2024.