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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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civilisirte Welt zu finden wäre," wol aber das Staatswesen, das nach Rom
in der Geschichte als das bedeutendste dasteht; wir bewundern in seiner Ver¬
waltung und Verfassung jene Erbweisheit, welche einen Quader auf den an¬
dern fügend das stolzeste Gebäude für eine würdige und männliche Freiheit
aufgeführt hat. Wir wollen nicht englische Institutionen, für welche uns die
Materialien fehlen, copiren, aber wir wollen von ihnen lernen, um die großen
Ziele: repräsentative Verfassung, Schutz der Persönlichkeit. Selbstverwaltung,
unabhängige und volksthümliche Rechtspflege in unsrer Weise und aus unserm
Wege nach Möglichkeit zu erreichen. Ein englischer Staatsmann wird für die
Erhaltung von Manchem kämpfen, was sich historisch gebildet hat und deshalb
für England von Werth ist, was aber ohne jene geschichtlichen Vorgänge
nachzuahmen sinnlos wäre; die großen Institutionen aber, welche die eigent¬
lichen Pfeiler der englischen Freiheit sind, werden wir nach Maßgabe unsrer
eigenthümlichen Verhältnisse nachzubilden uns nicht schämen dürfen. Daß im
Oberhause nur ein Minister, der auch Pair ist, sprechen darf, ist eigenthümlich
englisch und deshalb nicht von uns nachzuahmen, daß aber ein Minister der
Landesvertretung verantwortlich sei, ist die Bedingung jeder ernsten repräsen¬
tativen Negierung, und wenn wir jenen Hauptbedingungen eines freien Staats¬
wesens nachgehen, so werden wir finden, daß sie Grundlage aller der altger¬
manischen Institutionen waren, welche, wie Burke sagt, einst das gemeine
Recht Europas bildeten. Die Partei des Hrn. Wagner verspottet jede Berufung
auf England, außer wenn es gilt, eine kirchliche Unduldsamkeit zu rechtfertigen,
sie verlacht die deutschen Liberalen, aber was bietet sie uns Eignes, um dazu das
Recht zu haben? Die Verfassung zuerst, auf deren Boden sie doch in der Landes¬
vertretung kämpft, ist nicht ihr Werk, sondern das ihrer Gegner. Sie arbeitet nun
dahin, die Verfassung auszubauen, was in ihrem Sinne gründlich umwerfen heißt.
Wol war die preußische Verfassung in.höherm Grade verbesserungsbedürftig als
manche andre, aber laßt das Gebahren der Kreuzzeitungspartei auf die ehr¬
liche Absicht schließen, die gegebenen Grundlagen zu entwickeln? Wenn ich ein
Haus gemiethet habe, mit der Bedingung, es ausbauen zu dürfen, halte
ich meinen Miethsvertrag. wenn ich dasselbe einreiße und einen chine¬
sischen Pavillon hinsetze? Wenn jene Herren die Constitution von 1849 ver¬
abscheuten, weshalb beschworen sie dieselbe? Weshalb sitzen sie in den von
dieser Verfassung eingesetzten Kammern? Beziehen sie ihre Diäten, um die
Grundlagen dessen, was sie beschworen, zu vernichten? Die Partei spricht wol
viel von organischer Entwicklung und Selbstregierung im Gegensatz zu einem
schematischen Liberalismus. Hr. Wagner sagt auch in seiner Vorrede, die
Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung sei etwas so Natürliches und
Gegebenes, daß es der ganzen Verkehrtheit des revolutionären Liberalismus
bedürfte, um sie in Mißcredit zu bringen, aber es ist nur schade, daß, wenn


civilisirte Welt zu finden wäre," wol aber das Staatswesen, das nach Rom
in der Geschichte als das bedeutendste dasteht; wir bewundern in seiner Ver¬
waltung und Verfassung jene Erbweisheit, welche einen Quader auf den an¬
dern fügend das stolzeste Gebäude für eine würdige und männliche Freiheit
aufgeführt hat. Wir wollen nicht englische Institutionen, für welche uns die
Materialien fehlen, copiren, aber wir wollen von ihnen lernen, um die großen
Ziele: repräsentative Verfassung, Schutz der Persönlichkeit. Selbstverwaltung,
unabhängige und volksthümliche Rechtspflege in unsrer Weise und aus unserm
Wege nach Möglichkeit zu erreichen. Ein englischer Staatsmann wird für die
Erhaltung von Manchem kämpfen, was sich historisch gebildet hat und deshalb
für England von Werth ist, was aber ohne jene geschichtlichen Vorgänge
nachzuahmen sinnlos wäre; die großen Institutionen aber, welche die eigent¬
lichen Pfeiler der englischen Freiheit sind, werden wir nach Maßgabe unsrer
eigenthümlichen Verhältnisse nachzubilden uns nicht schämen dürfen. Daß im
Oberhause nur ein Minister, der auch Pair ist, sprechen darf, ist eigenthümlich
englisch und deshalb nicht von uns nachzuahmen, daß aber ein Minister der
Landesvertretung verantwortlich sei, ist die Bedingung jeder ernsten repräsen¬
tativen Negierung, und wenn wir jenen Hauptbedingungen eines freien Staats¬
wesens nachgehen, so werden wir finden, daß sie Grundlage aller der altger¬
manischen Institutionen waren, welche, wie Burke sagt, einst das gemeine
Recht Europas bildeten. Die Partei des Hrn. Wagner verspottet jede Berufung
auf England, außer wenn es gilt, eine kirchliche Unduldsamkeit zu rechtfertigen,
sie verlacht die deutschen Liberalen, aber was bietet sie uns Eignes, um dazu das
Recht zu haben? Die Verfassung zuerst, auf deren Boden sie doch in der Landes¬
vertretung kämpft, ist nicht ihr Werk, sondern das ihrer Gegner. Sie arbeitet nun
dahin, die Verfassung auszubauen, was in ihrem Sinne gründlich umwerfen heißt.
Wol war die preußische Verfassung in.höherm Grade verbesserungsbedürftig als
manche andre, aber laßt das Gebahren der Kreuzzeitungspartei auf die ehr¬
liche Absicht schließen, die gegebenen Grundlagen zu entwickeln? Wenn ich ein
Haus gemiethet habe, mit der Bedingung, es ausbauen zu dürfen, halte
ich meinen Miethsvertrag. wenn ich dasselbe einreiße und einen chine¬
sischen Pavillon hinsetze? Wenn jene Herren die Constitution von 1849 ver¬
abscheuten, weshalb beschworen sie dieselbe? Weshalb sitzen sie in den von
dieser Verfassung eingesetzten Kammern? Beziehen sie ihre Diäten, um die
Grundlagen dessen, was sie beschworen, zu vernichten? Die Partei spricht wol
viel von organischer Entwicklung und Selbstregierung im Gegensatz zu einem
schematischen Liberalismus. Hr. Wagner sagt auch in seiner Vorrede, die
Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung sei etwas so Natürliches und
Gegebenes, daß es der ganzen Verkehrtheit des revolutionären Liberalismus
bedürfte, um sie in Mißcredit zu bringen, aber es ist nur schade, daß, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/78>, abgerufen am 22.07.2024.