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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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in Deutschland, wofür Thomas Carlyle ein redendes Beispiel ist. Wo sollten
die Männer, denen eine politische Fortbildung Deutschlands am Herzen lag,
ihre Hebel von 1815--48 ansetzen als wesentlich im Geistesleben? So viel sie
es in den Kammern konnten, haben sie es redlich gethan, und wenn wir jetzt
trotz aller Reaction die ewigen Lasten von Grund und Boden abgelöst haben,
wenn noch Geschwornengerichte und eine gewisse Freiheit der Presse bestehen,
so ist dies wesentlich jenen Liberalen zu danken, welche dafür im Schweiße
ihres Angesichtes gegen eine übermächtige Bureaukratie, einen unaristokratischen
Adel und die Gleichartigkeit der großen Menge kämpften. Sie hatten
wenigstens den Muth, Bewegung und Heraustreten aus der politischen Stag¬
nation zu fordern und zu vertreten, während diejenigen, welche jetzt hoch-
müthig den Stab über sie brechen, damals nicht etwa etwas Eignes, Prak¬
tisches und Lebensvolleres boten, sondern eigensinnig in der Verneinung beharrten,
ihre Privatrechte möglichst zu wahren suchten und daneben sich den Polizei¬
staat sehr gut gefallen ließen. Daß die Liberalen sich in diesem Kampfe viele
Irrthümer zu Schulden kommen ließen, daß sie zu sehr nach dem damaligen
französischen Constitutionalismus ihre Ideen zuschritten, soll nicht geleugnet
werden, und sie selbst sahen dies vollkommen ein; die Zeit, wo der erste Ver¬
such gemacht ward, ihre Ideen in größerem Maßstabe zu verwirklichen, ist nicht
fruchtlos an ihnen vorübergegangen, und man braucht nur ein Werk desselben
Schriftstellers dieser Partei aus den letzten Jahren mit einem frühern zu ver¬
gleichen, um den Fortschritt handgreiflich zu sehen. Welcher Partei gehört
die neueste historische Literatur an, welche sich den besten englischen und fran¬
zösischen Werken zur Seite stellen darf, wo stehen Hauffer, Beitzke. Sybel,
Mommsen? Was sind dagegen Leo und Menzel? Das Ausland zollt jetzt den
erstem gerechte Anerkennung, es weiß wenig von den Verdiensten der letzter".
Das Werk der Liberalen in 1848 und 49 ist gescheitert, dies ist nicht zu leug¬
nen, aber ebenso gewiß ist, daß ihre Gegner nichts mehr und wol Schlimmeres
zu Stande gebracht haben; sie hatten keinen Ruf des Unwillens für Holstein
und Hessen, für den Verkauf der deutschen Flotte, sür die Abhängigkeit Preu¬
ßens von Rußland, sie predigten Buße wo die nationale Schmach Vergeltung
forderte, sie haben in den innern Angelegenheiten unter dem Namen einer kon¬
servativen Politik stets ihre eignen Interessen verfochten und dieselbe über alles
gestellt. Wir sind einer Nachahmung des Auslandes ebenso entgegen wie
Herr Wagner, aber wir wollen es nicht verschmähen, von den Erfolgen und
Irrungen andrer Staaten zu lernen. Wir dürfen gewiß sein, daß Frankreich
jetzt nicht mehr der Gegenstand blinder Bewunderung in Deutschland ist. es
wird uns seine Entwicklung dazu dienen, zu lernen, wie man es nicht machen
müsse, um zur Freiheit zu kommen. Was England betrifft, so ist es uns
allerdings nicht "eine gewisse Insel, wo die Normalverfassung für die ganze


in Deutschland, wofür Thomas Carlyle ein redendes Beispiel ist. Wo sollten
die Männer, denen eine politische Fortbildung Deutschlands am Herzen lag,
ihre Hebel von 1815—48 ansetzen als wesentlich im Geistesleben? So viel sie
es in den Kammern konnten, haben sie es redlich gethan, und wenn wir jetzt
trotz aller Reaction die ewigen Lasten von Grund und Boden abgelöst haben,
wenn noch Geschwornengerichte und eine gewisse Freiheit der Presse bestehen,
so ist dies wesentlich jenen Liberalen zu danken, welche dafür im Schweiße
ihres Angesichtes gegen eine übermächtige Bureaukratie, einen unaristokratischen
Adel und die Gleichartigkeit der großen Menge kämpften. Sie hatten
wenigstens den Muth, Bewegung und Heraustreten aus der politischen Stag¬
nation zu fordern und zu vertreten, während diejenigen, welche jetzt hoch-
müthig den Stab über sie brechen, damals nicht etwa etwas Eignes, Prak¬
tisches und Lebensvolleres boten, sondern eigensinnig in der Verneinung beharrten,
ihre Privatrechte möglichst zu wahren suchten und daneben sich den Polizei¬
staat sehr gut gefallen ließen. Daß die Liberalen sich in diesem Kampfe viele
Irrthümer zu Schulden kommen ließen, daß sie zu sehr nach dem damaligen
französischen Constitutionalismus ihre Ideen zuschritten, soll nicht geleugnet
werden, und sie selbst sahen dies vollkommen ein; die Zeit, wo der erste Ver¬
such gemacht ward, ihre Ideen in größerem Maßstabe zu verwirklichen, ist nicht
fruchtlos an ihnen vorübergegangen, und man braucht nur ein Werk desselben
Schriftstellers dieser Partei aus den letzten Jahren mit einem frühern zu ver¬
gleichen, um den Fortschritt handgreiflich zu sehen. Welcher Partei gehört
die neueste historische Literatur an, welche sich den besten englischen und fran¬
zösischen Werken zur Seite stellen darf, wo stehen Hauffer, Beitzke. Sybel,
Mommsen? Was sind dagegen Leo und Menzel? Das Ausland zollt jetzt den
erstem gerechte Anerkennung, es weiß wenig von den Verdiensten der letzter».
Das Werk der Liberalen in 1848 und 49 ist gescheitert, dies ist nicht zu leug¬
nen, aber ebenso gewiß ist, daß ihre Gegner nichts mehr und wol Schlimmeres
zu Stande gebracht haben; sie hatten keinen Ruf des Unwillens für Holstein
und Hessen, für den Verkauf der deutschen Flotte, sür die Abhängigkeit Preu¬
ßens von Rußland, sie predigten Buße wo die nationale Schmach Vergeltung
forderte, sie haben in den innern Angelegenheiten unter dem Namen einer kon¬
servativen Politik stets ihre eignen Interessen verfochten und dieselbe über alles
gestellt. Wir sind einer Nachahmung des Auslandes ebenso entgegen wie
Herr Wagner, aber wir wollen es nicht verschmähen, von den Erfolgen und
Irrungen andrer Staaten zu lernen. Wir dürfen gewiß sein, daß Frankreich
jetzt nicht mehr der Gegenstand blinder Bewunderung in Deutschland ist. es
wird uns seine Entwicklung dazu dienen, zu lernen, wie man es nicht machen
müsse, um zur Freiheit zu kommen. Was England betrifft, so ist es uns
allerdings nicht „eine gewisse Insel, wo die Normalverfassung für die ganze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/77>, abgerufen am 22.07.2024.