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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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sich die Gelegenheit einmal bietet, praktisch für Selbstregierung, gegen Polizei¬
willkür, für Controle der Regierung aufzutreten, jedesmal das verhängnißvolle
"dennoch" des Hrn. Gerlach kommt und das Votum anders fällt als die vor¬
gegebene Sympathie. Freilich, heißt es. sei die Theilnahme an der Gesetz¬
gebung nur dann ersprießlich. wenn sie von social und politisch selbstständigen,
sich selbst regierenden und verwaltenden Corporationen getragen und zugleich
von einer Art Rechtspflege begleitet werde, welche nicht die schlimmste Art des
eximirten Gerichtsstandes für die Beamten reservirt. Mit letztrer Bemerkung
sind wir ungemein einverstanden; wann aber hat denn Hr. Wagner oder einer
seiner Freunde etwas dafür gethan, die Beamten verantwortlich zu machen?
Wir haben nie gehört, daß von dieser Seite aus die Sache zur Sprache ge¬
kommen sei. Die selbstständigen Corporationen sind sehr vortrefflich, nur sollten
sie nicht dazu dienen, den Rittergutsbesitzern unter dieser Firma die ganze
Macht über das platte Land zu geben und das Zunftwesen zu restauriren.
Wir halten die Kreistage für eine sehr gute 'Vertretung örtlicher Interessen,
aber es sollen auch wirklich die Interessen des ganzen Kreises, nicht blos einiger
Einsassen desselben darin vertreten sein. Wie Hr. Wagner in den Geschwornen¬
gerichten eine Gefahr sehen kann, mag er mit seinem germanischen Gewissen
abmachen, er findet, da dasselbe, des Instituts der Staatsanwaltschaft zu geschwei-
gen, an die Stelle fester, bindender Formen, dieses Bollwerkes wahrer bürger¬
licher Freiheit, die moralische Ueberzeugung treten läßt, die Institution höchst
bedenklich, denn dieser richterliche Grund sei in politisch erregten Zeiten ziem¬
lich identisch mit Willkür.

Einer der Hauptgreuel für die Partei des Hrn. Wagner ist bekanntlich der
moderne Jndustriaüsmus. Zwar wird uns in der Vorrede versichert, daß man
nicht die Concurrenz an sich verwerfe, sondern nur die unsittlich ausbeutende
Concurrenz. "die Fußgänger, Wagen und Reiter auf denselben Weg zusammen¬
drängt" und den Schwachen schutzlos in den Kampf mit dem Starken treibt.
Was man sich hierbei denken soll, ist schwer zu sagen; ob der Vorredner wol
einmal einen Blick in Bastiats KarinoiuLS Leonvmiques geworfen hat.
Er würde dort den überzeugendsten Beweis finden, daß jener so entsetzlich
ausgemalte Kampf des Schwachen mir dem starken gar nicht existirt, und
daß. wenn man die volle Freiheit läßt, alle scheinbaren Widersprüche auf
Gesetzen beruhen, nach denen sie sich im Einklang mit den Interessen der
Gesellschaft auflösen müssen. Nach Wagners Theorie hätte man von vorn¬
herein alle Maschinen verbieten müssen, um den Handarbeiter, der nicht das
Capital hatte, sich eine Maschine zu kaufen, vor der übermächtigen unsittlichen
und ausbeutenden Concurrenz zu beschützen. In der Einleitung heißt es noch
weiter: "Die Theorie des laisso^ tÄre und laisseii altfr ist nichts anders als die
Emancipation des materiellen und socialen Volkslebens aus der Macht und


sich die Gelegenheit einmal bietet, praktisch für Selbstregierung, gegen Polizei¬
willkür, für Controle der Regierung aufzutreten, jedesmal das verhängnißvolle
„dennoch" des Hrn. Gerlach kommt und das Votum anders fällt als die vor¬
gegebene Sympathie. Freilich, heißt es. sei die Theilnahme an der Gesetz¬
gebung nur dann ersprießlich. wenn sie von social und politisch selbstständigen,
sich selbst regierenden und verwaltenden Corporationen getragen und zugleich
von einer Art Rechtspflege begleitet werde, welche nicht die schlimmste Art des
eximirten Gerichtsstandes für die Beamten reservirt. Mit letztrer Bemerkung
sind wir ungemein einverstanden; wann aber hat denn Hr. Wagner oder einer
seiner Freunde etwas dafür gethan, die Beamten verantwortlich zu machen?
Wir haben nie gehört, daß von dieser Seite aus die Sache zur Sprache ge¬
kommen sei. Die selbstständigen Corporationen sind sehr vortrefflich, nur sollten
sie nicht dazu dienen, den Rittergutsbesitzern unter dieser Firma die ganze
Macht über das platte Land zu geben und das Zunftwesen zu restauriren.
Wir halten die Kreistage für eine sehr gute 'Vertretung örtlicher Interessen,
aber es sollen auch wirklich die Interessen des ganzen Kreises, nicht blos einiger
Einsassen desselben darin vertreten sein. Wie Hr. Wagner in den Geschwornen¬
gerichten eine Gefahr sehen kann, mag er mit seinem germanischen Gewissen
abmachen, er findet, da dasselbe, des Instituts der Staatsanwaltschaft zu geschwei-
gen, an die Stelle fester, bindender Formen, dieses Bollwerkes wahrer bürger¬
licher Freiheit, die moralische Ueberzeugung treten läßt, die Institution höchst
bedenklich, denn dieser richterliche Grund sei in politisch erregten Zeiten ziem¬
lich identisch mit Willkür.

Einer der Hauptgreuel für die Partei des Hrn. Wagner ist bekanntlich der
moderne Jndustriaüsmus. Zwar wird uns in der Vorrede versichert, daß man
nicht die Concurrenz an sich verwerfe, sondern nur die unsittlich ausbeutende
Concurrenz. „die Fußgänger, Wagen und Reiter auf denselben Weg zusammen¬
drängt" und den Schwachen schutzlos in den Kampf mit dem Starken treibt.
Was man sich hierbei denken soll, ist schwer zu sagen; ob der Vorredner wol
einmal einen Blick in Bastiats KarinoiuLS Leonvmiques geworfen hat.
Er würde dort den überzeugendsten Beweis finden, daß jener so entsetzlich
ausgemalte Kampf des Schwachen mir dem starken gar nicht existirt, und
daß. wenn man die volle Freiheit läßt, alle scheinbaren Widersprüche auf
Gesetzen beruhen, nach denen sie sich im Einklang mit den Interessen der
Gesellschaft auflösen müssen. Nach Wagners Theorie hätte man von vorn¬
herein alle Maschinen verbieten müssen, um den Handarbeiter, der nicht das
Capital hatte, sich eine Maschine zu kaufen, vor der übermächtigen unsittlichen
und ausbeutenden Concurrenz zu beschützen. In der Einleitung heißt es noch
weiter: „Die Theorie des laisso^ tÄre und laisseii altfr ist nichts anders als die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/79>, abgerufen am 22.07.2024.