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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Seligkeit bewußte Heerlager, welche ein Zusammenwirken beider für die Natio¬
nalarbeit fernerhin unmöglich machte, aber allerdings jedes derselben den
etwaigen selbstständigen Entwicklungen des andern zum feindlichen Wächter
setzte. Ferner um den Preis der Erschütterung des nationalen Gemeinde¬
lebens, dessen sociale Einrichtungen die Entstehung eines ländlichen Proletariats
bis da unmöglich gemacht hatten. Weiter um den Preis einer Erschaffung
von bäuerlichen Rangnerschiedenheiten. welche die grundbesitzlichen und poli¬
tischen Aristokratien der bevorrechteten Classen in Bevölkerungsdichten wieder¬
holten, denen doch diejenigen Interessen entgehen, welche in höheren Ständen
gewisse patriotische Solidaritäten erzeugen. Endlich um den Preis einer Ver¬
armung 'und materiellen Unsicherheit im eigentlichen gvundbesitzenden Adel,
welcher aber dadurch aushört, mit seinen persönlichen Interessen zugleich das
conservative Element des Staates zu vertreten.

Diese schweren, gradezu zerrüttenden Verhältnisse, welche durch die an¬
geblichen Schritte zur Bauernbefreiung und Adelsbeschränkung erzeugt waren,
würden die Bedeutung einer Uebergangsepoche gewonnen haben, wenn der
Staat nach beiden Seiten hin auch die nothwendigen Consequenzen anerkannt
und gestattet hätte, wodurch dem Adel und den Bauern ermöglicht worden
wäre, die octroyirten Umgestaltungen ihrer materiellen und socialen Zustände
wieder zu einer organischen Gestaltung zusanunenzusassen. Aber dies war
nicht der Fall. Hätte ein Adeliger, oder vollends eine Familiengeneration
eingehend aus die Veränderungen im Leibeigenschaftswesen und in dem Ge¬
meindeleben, die Verwaltung ihrer Besitzthümer den neuen volkswirthschaftlichen
und socialpolitischen Verhältnissen accommodiren, Hütte sich ein festbegvündeter
Besitzadel ausbilden wollen -- die Gesetze erlaubten es dem Einzelnen nicht,
sein Leben dieser schönen Aufgabe zu widmen, denn jeder Adelige mußte den
vollen Besitz der Adelsrechte erst durch einen Staatsdienstrang erwerben.
Aber auch dem Adelsgeschlechte gehen seine Sonderrechte gänzlich ver¬
loren, wenn drei Generationen hindurch keines seiner Mitglieder sie mit einem
Tschin wieder erwarb. Wollte aber der Adelige selbst eine Reihe von Lebens¬
jahren dem Staate widmen und nachher im Auslande die bessern ökonomischen
Einrichtungen studiren, um sie daheun in Anwendung zu bringen -- der
Staat gewährte ihm nicht die genügende Zeit zum Aufenthalt im Ausland,
ja er untersagte ihm später die Reise beinahe absolut. Wollte der Adel seine
jungem Söhne auf den russischen Hochschulen zu tüchtigen Fachmännern aus¬
bilden und den ältern, den zukünftigen Grundherren, die allgemeine Vorbildung
gewähren, damit sie rationelle Landwirthe, tüchtige Geschäftsmänner würden
-- auch darin trat der Staat hemmend entgegen, indem er auf den Hoch¬
schulen die Zahl der Studirenden auf ein unüberschreitbarcs Minimum herab¬
setzte, ohne die Zahl der Universitäten selbst zu vermehren. Acht Universitäten


Seligkeit bewußte Heerlager, welche ein Zusammenwirken beider für die Natio¬
nalarbeit fernerhin unmöglich machte, aber allerdings jedes derselben den
etwaigen selbstständigen Entwicklungen des andern zum feindlichen Wächter
setzte. Ferner um den Preis der Erschütterung des nationalen Gemeinde¬
lebens, dessen sociale Einrichtungen die Entstehung eines ländlichen Proletariats
bis da unmöglich gemacht hatten. Weiter um den Preis einer Erschaffung
von bäuerlichen Rangnerschiedenheiten. welche die grundbesitzlichen und poli¬
tischen Aristokratien der bevorrechteten Classen in Bevölkerungsdichten wieder¬
holten, denen doch diejenigen Interessen entgehen, welche in höheren Ständen
gewisse patriotische Solidaritäten erzeugen. Endlich um den Preis einer Ver¬
armung 'und materiellen Unsicherheit im eigentlichen gvundbesitzenden Adel,
welcher aber dadurch aushört, mit seinen persönlichen Interessen zugleich das
conservative Element des Staates zu vertreten.

Diese schweren, gradezu zerrüttenden Verhältnisse, welche durch die an¬
geblichen Schritte zur Bauernbefreiung und Adelsbeschränkung erzeugt waren,
würden die Bedeutung einer Uebergangsepoche gewonnen haben, wenn der
Staat nach beiden Seiten hin auch die nothwendigen Consequenzen anerkannt
und gestattet hätte, wodurch dem Adel und den Bauern ermöglicht worden
wäre, die octroyirten Umgestaltungen ihrer materiellen und socialen Zustände
wieder zu einer organischen Gestaltung zusanunenzusassen. Aber dies war
nicht der Fall. Hätte ein Adeliger, oder vollends eine Familiengeneration
eingehend aus die Veränderungen im Leibeigenschaftswesen und in dem Ge¬
meindeleben, die Verwaltung ihrer Besitzthümer den neuen volkswirthschaftlichen
und socialpolitischen Verhältnissen accommodiren, Hütte sich ein festbegvündeter
Besitzadel ausbilden wollen -- die Gesetze erlaubten es dem Einzelnen nicht,
sein Leben dieser schönen Aufgabe zu widmen, denn jeder Adelige mußte den
vollen Besitz der Adelsrechte erst durch einen Staatsdienstrang erwerben.
Aber auch dem Adelsgeschlechte gehen seine Sonderrechte gänzlich ver¬
loren, wenn drei Generationen hindurch keines seiner Mitglieder sie mit einem
Tschin wieder erwarb. Wollte aber der Adelige selbst eine Reihe von Lebens¬
jahren dem Staate widmen und nachher im Auslande die bessern ökonomischen
Einrichtungen studiren, um sie daheun in Anwendung zu bringen — der
Staat gewährte ihm nicht die genügende Zeit zum Aufenthalt im Ausland,
ja er untersagte ihm später die Reise beinahe absolut. Wollte der Adel seine
jungem Söhne auf den russischen Hochschulen zu tüchtigen Fachmännern aus¬
bilden und den ältern, den zukünftigen Grundherren, die allgemeine Vorbildung
gewähren, damit sie rationelle Landwirthe, tüchtige Geschäftsmänner würden
— auch darin trat der Staat hemmend entgegen, indem er auf den Hoch¬
schulen die Zahl der Studirenden auf ein unüberschreitbarcs Minimum herab¬
setzte, ohne die Zahl der Universitäten selbst zu vermehren. Acht Universitäten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/66>, abgerufen am 22.07.2024.