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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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übertrug. Man darf dabei abermals nicht ganz außer Acht lassen, daß dieser
Mas fast am gleichen Tage mit jenem Manifest bekannt gemacht wurde, wo¬
durch Kaiser Nikolaus sein Volk zum Kampfe gegen die Revolution und die
"Heiden" ausrief; und daß, wenn die politische Erregung Europas in Nußland
Eingang fand, dies zunächst beim Adel zu befahren war. In Litthauen,
Volhynien. Podolien und Kiew, wo bald nachher große Truppenmassen an¬
gesammelt waren, zeigte sich die eigentliche Tendenz dieses Ukases auch noch
deutlicher. Es folgte nämlich demselben die Anordnung zur Verzeichnung
des Gutsinventars auf dein Fuße. d. h. zur genauen Fixirung der gegen¬
seitigen Rechte und Pflichten zwischen Gutsherren und Bauern. Man ging
in einer Eile und mit einer Strenge an die Ausführung, daß'der Adel,
trotz der drohenden Bajonette eine energische Protestaüon wagen zu müssen
glaubte. Natürlich war sie nutzlos und ließ dem Volke die Krone nur in
noch hellerem Lichte der Befreierin erscheinen. Gewitzigt beantragte nun der
Utthauische Adel, um sich wenigstens auch jene Volkssympathien zu sichern,
deren Kosten er tragen sollte, die völlige Aufhebung der Leibeigenschaft.
Aber eine volksfreundliche Stellung des Adels wünschte man in Petersburg
gar nicht und ließ allgemach die ganze Sache wieder einschlummern. Da¬
gegen wurde der Ankauf oder Erwerb von Land durch einen Leibeigenen
(Menschen dürfte er nicht erwerben) an die ausdrückliche Erlaubniß des
Grundherrn gebunden -- es war vorauszusehen, daß der Adel nur in den
seltensten Fällen sein bisheriges Sonderrecht einem Eigenhörigen zugestehen
werde. Ferner wurde bestimmt, daß "keine Einwände der Leibeigenen zuge¬
lassen und keinerlei Untersuchungen vorgenommen" werden, falls Leibeigene
sich etwa "auf frühern Besitz des unbeweglichen, doch auf den Namen des
Leibherrn erworbenen Immobiliarvermögens berufen, um es nunmehr auf
den eignen Namen cinregistriren zu lassen." Hieß dies nicht, zum frivolen
Bruche solcher und ähnlicher Verträge herausfordern, wie wir sie oben zwischen
armen Adeligen und leibeigenen Gemeinden entstehen sahen, und wie sie auch
tausendmal zwischen einzelnen millionenreichen Eigenhörigen und Mitgliedern
der zum Grundbesitz berechtigten Elassen bestanden?

Mre diesen Anordnungen stehen wir nun am Schlüsse der unter Nikolaus
"mit größerer Kühnheit erlassenen Gesetze, welche die Gewalt der Gutsbesitzer
über die Bauern beschränkten." Allerdings waren es Annäherungen an die
Emancipation. Auf ihre einzelnen Veranlassungen, auf ihre Nebenumstände,
auf die momentanen Zwecke, auf die regelmäßig jedem Vorschritt nachfolgenden
Beschränkungen wurde bereits hingewiesen. Vergegenwärtigen wir uns nun
noch einmal die Preise, um welche die höchst geringen positiven Annäherungen
an die Bauernbefreiung erreicht wurden. Zunächst um den Preis einer Zer-
spaltung des nationalen Bcvölkeruugskernes in zwei sich ihrer gegenseitigen Feind-


Grmzbotm III. 1353. 2

übertrug. Man darf dabei abermals nicht ganz außer Acht lassen, daß dieser
Mas fast am gleichen Tage mit jenem Manifest bekannt gemacht wurde, wo¬
durch Kaiser Nikolaus sein Volk zum Kampfe gegen die Revolution und die
„Heiden" ausrief; und daß, wenn die politische Erregung Europas in Nußland
Eingang fand, dies zunächst beim Adel zu befahren war. In Litthauen,
Volhynien. Podolien und Kiew, wo bald nachher große Truppenmassen an¬
gesammelt waren, zeigte sich die eigentliche Tendenz dieses Ukases auch noch
deutlicher. Es folgte nämlich demselben die Anordnung zur Verzeichnung
des Gutsinventars auf dein Fuße. d. h. zur genauen Fixirung der gegen¬
seitigen Rechte und Pflichten zwischen Gutsherren und Bauern. Man ging
in einer Eile und mit einer Strenge an die Ausführung, daß'der Adel,
trotz der drohenden Bajonette eine energische Protestaüon wagen zu müssen
glaubte. Natürlich war sie nutzlos und ließ dem Volke die Krone nur in
noch hellerem Lichte der Befreierin erscheinen. Gewitzigt beantragte nun der
Utthauische Adel, um sich wenigstens auch jene Volkssympathien zu sichern,
deren Kosten er tragen sollte, die völlige Aufhebung der Leibeigenschaft.
Aber eine volksfreundliche Stellung des Adels wünschte man in Petersburg
gar nicht und ließ allgemach die ganze Sache wieder einschlummern. Da¬
gegen wurde der Ankauf oder Erwerb von Land durch einen Leibeigenen
(Menschen dürfte er nicht erwerben) an die ausdrückliche Erlaubniß des
Grundherrn gebunden — es war vorauszusehen, daß der Adel nur in den
seltensten Fällen sein bisheriges Sonderrecht einem Eigenhörigen zugestehen
werde. Ferner wurde bestimmt, daß „keine Einwände der Leibeigenen zuge¬
lassen und keinerlei Untersuchungen vorgenommen" werden, falls Leibeigene
sich etwa „auf frühern Besitz des unbeweglichen, doch auf den Namen des
Leibherrn erworbenen Immobiliarvermögens berufen, um es nunmehr auf
den eignen Namen cinregistriren zu lassen." Hieß dies nicht, zum frivolen
Bruche solcher und ähnlicher Verträge herausfordern, wie wir sie oben zwischen
armen Adeligen und leibeigenen Gemeinden entstehen sahen, und wie sie auch
tausendmal zwischen einzelnen millionenreichen Eigenhörigen und Mitgliedern
der zum Grundbesitz berechtigten Elassen bestanden?

Mre diesen Anordnungen stehen wir nun am Schlüsse der unter Nikolaus
„mit größerer Kühnheit erlassenen Gesetze, welche die Gewalt der Gutsbesitzer
über die Bauern beschränkten." Allerdings waren es Annäherungen an die
Emancipation. Auf ihre einzelnen Veranlassungen, auf ihre Nebenumstände,
auf die momentanen Zwecke, auf die regelmäßig jedem Vorschritt nachfolgenden
Beschränkungen wurde bereits hingewiesen. Vergegenwärtigen wir uns nun
noch einmal die Preise, um welche die höchst geringen positiven Annäherungen
an die Bauernbefreiung erreicht wurden. Zunächst um den Preis einer Zer-
spaltung des nationalen Bcvölkeruugskernes in zwei sich ihrer gegenseitigen Feind-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/65>, abgerufen am 22.07.2024.